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Jeta Xharra: 'Status kann nicht für alles die Lösung sein'

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Default profile picture Nele Yang

BrunchGesellschaft

Dramaturgin, Journalistin und das kosovarische Pendant zu Sabine Christiansen - die "penetrante, irritierende" Moderatorin (29), wie sich Jeta Xharra selbst bezeichnet, stellt Politiker einer Gesellschaft bloß, die "die Nase gestrichen voll hat".

Eine Gruppe Großmütter aus Mitrovica schwirren im spärlich beleuchteten Foyer des AA-Restaurants um eine junge Braut, der zur Heirat gratuliert wird. Einige von ihnen schimpfen auf den starken Regen, der hinter ihnen auf Prištinas löchrige Straßen herabprasselt. Jeta Xharra erhebt ihre Stimme über den Trubel: "Wenn ich jemanden auf der Straße ansprechen würde, würde er mich nie als Dramaturgin erkennen", beginnt die 29-Jährige. "Sie würden in mir die penetrante Fernsehmoderatorin sehen, die die heutigen Medien als das entlarvt, was sie sind."

Xharra war schon immer Aktivistin. Als 18-Jährige dolmetschte sie für die BBC und schlich mit schlammigen Schuhen nach Hause. So verdienten sie und ihr Bruder während des Krieges von 1998 bis 1999 etwas Geld. Sie erinnert sich an eine Welt wie aus Alice im Wunderland zwischen Flüchtlingen und brennenden Häusern im Kosovo. "Wie kann man im Unterricht sitzen, um für das Theater zu schreiben und Kunst zu machen, wenn zehn Kilometer von Priština entfernt Krieg ist?" In Jetas Heimatstadt lebte man fortan in Teilung, behielt sich aber trotz alledem die relaxte Atmosphäre einer Art "Café-Gesellschaft" bei. Als ihre Eltern nicht mehr als Rechtsberater arbeiten durften, weil sie Albaner waren, war für sie "der größte, einfachste, banalste Schock, dass Slobodan Miloševi meine Mutter zur Hausfrau machte."

Kandidieren für nichts

Xharra finanzierte sich Master-Abschlüsse in Politik- ('War Studies') und Medienwissenschaften und schrieb ihr erstes Theaterstück Warless (2004), während sie für die BBC in London arbeitete. Über einen großen Latte Macchiato gebeugt erklärt sie eine Art "Brain Re-Drain", der so typisch für viele Kosovaren sei, die ihr Land verließen, um im Ausland Bildung und Fähigkeiten zu erwerben, jedoch alsbald wieder in die Heimat zurückkehrten. "Arbeite zehn Jahre lang an deiner Beförderung in einer Fabrik, die auch ohne dich weiterfunktioniert - oder mach große Schritte in einem kleinen Land." 2005 hat Jeta zwei solcher Schritte getan: Sie wurde Leiterin der Landesabteilung für den "neuesten europäischen Staat" und Leiterin des Balkan Investigative Reporting Network (BIRN), einer Wohlfahrtsorganisation, welche Ausbildung in Medienberufen fördert und auch ein Medienprojekt für Frauen betreibt. "Wir müssen uns mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegen, damit wir uns bis zu dem Punkt entwickeln können, an dem wir sein sollten", betont Xharra.

Das ist das Stichwort für Xharras Nachrichtenprogramm 'Jeta në Kosovë', das nun im zweiten Jahr auf Kanal RTK läuft. Der Titel des Programms ist ein Wortspiel auf den Namen der Moderatorin: "Leben im Kosovo", sagt sie und zählt Städte ohne Sanitäranlagen, Straßenbauprojekte und mit hoher Arbeitslosigkeit auf. Nicht zu vergessen: der Mangel an Elektrizität in den Straßen, denn "alle Straßenlaternen sind kaputt". Was hat sie zu dieser Sendung inspiriert? "London. Es hat die Kultur des Journalismus' in mir verankert. Ich vermisse Zeitungen, Debatten. Ich gestalte meine Sendung nach dem Vorbild der britischen Sendung Newsnight. Jeremy Paxman ist mein Vorbild - obwohl er nervig ist!" Ihre absichtlich kämpferische, penetrante Persönlichkeit hat zur allgemeinen Überraschung Anklang gefunden. Die abendlich ausgestrahlten Wahldebatten ziehen ein Live-Publikum von 900 Zuschauern an - neunmal mehr als die erste Sendung.

Aufnahmen zeigen, wie während der Wahlen am 17. November Wahlzettel gestohlen werden. Xharra schwenkt unbezahlte Stromrechnungen in Höhe von 3000 bis 5000 Euro unter den Nasen schamrot werdender Politiker - geladene Gäste ihrer Sendung. "Wir haben drei Wahlen gehabt, aber irgendwie fühlt sich diese Wahl hier wie die erste richtige an", urteilt sie. "Der durchschnittliche Parteislogan ist immer 'die Unabhängigkeit'. Aber jetzt ist klar, dass sie nicht für Unabhängigkeit kandidieren, sondern für ihre Stromrechnung. Und wenn ihr Parteien eure Versprechen nicht einhaltet, werden wir eine Aufnahme dieses Gesprächs vor euren Ohren abspielen und euch auch zukünftig so richtig in Verlegenheit bringen."

Rechtsstaatlichkeit kommt vor Serbien und Statutsfragen

Xharra gibt offen zu, dass sie eine "irritierende" Moderatorin ist. Und dies in einer Gesellschaft, die es nicht gewohnt ist, dass eine junge weibliche Herausforderin ihre älteren 'ehrenwerten' Gäste unterbricht - und die manchmal gleich klingende Namen verwechselt! "Ich könnte das nicht machen, wenn ich ein Mann wäre. Dann hätte mir schon längst jemand in den Hintern getreten. Ich nutze die Tatsache, dass ich eine Frau bin, zu meinem Vorteil - Sie wissen nicht, wie sie einer Frau in die Augen schauen sollen. Aber ich habe mich anfänglich bemüht, älter zu wirken." Die Jeta Xharra ohne Make-up, die mir gegenüber sitzt, mag patriarchalische Konventionen herausgefordert haben, indem sie die Sendung auf einem Teil ihrer Persönlichkeit aufbaute. Aber sie ruht sich nicht auf ihren Lorbeeren aus. Gerade ist sie auf der Suche nach neuen Moderatorentalenten, "die zur Abwechslung mal netter sein sollen als ich."

Sogar Frauen haben etwas gegen die Moderatorin, weil sie hauptsächlich männliche Gäste einzuladen pflegt. "Meine Priorität muss ich danach richten, wer das Sagen hat", sagt sie. "Wir sind noch immer an die kommunistische Art zu regieren gewöhnt und nicht daran, dass man den Menschen gegenüber eine demokratische Verantwortung hat. Wenn Politiker damit davonkommen, dass sie ihre Rechnungen nicht bezahlen, dann liegt das daran, dass der Staat schon immer der Feind gewesen ist. 90 Prozent der Albaner hatten nie einen eigenen Staat", sinnt sie.

Für die Unabhängigkeit

Kommentare wie diese verwandeln Xharra in eine Art Voodoo-Puppe. Wie kommt sie mit den Sticheleien zurecht, die behaupten, sie sei gegen die Unabhängigkeit? "Nichts hält mich davon ab, auf Sendung zu gehen. Die Leute haben versucht mich abzusetzen. Andere musste ich dazu zwingen, mich zu unterstützen." Nehmen wir Blog-Kommentare zu einer Rezension, die Xharra über die erste Spielfilmpremiere im Kosovo im Oktober 2005 verfasste. In der Rezension lobte sie die auf der Leinwand dargestellten hässlichen Wahrheiten des Nachkriegs-Kosovo. Der Blog behauptet, sie hätte stets "überdramatisiert" und sei immer geneigt dazu gewesen von "anti-albanisch und anti-Kosovo" zu sprechen. Diese Wertungen verneint Jeta Xharra jedoch vehement.

"Ich bin so heftig für die Unabhängigkeit, wie man es nur sein kann. Weil ich darauf dränge, einen Staat zu schaffen. Status ist nicht für alles die Lösung. Das hier ist keine Einbahnstraße; wir müssen in so vielerlei Hinsicht die Kurve kriegen." Sie spricht schneller, erinnert sich an ihren Großvater, der im Alter von 97 Jahren im letzten Jahr verstorben ist. In den vierziger Jahren war er als albanischer Lehrer angestellt worden. Er eröffnete eine Abendschule im Kosovo und setzte sich dafür ein, dass Dörfler ihre Töchter zur Schule schicken konnten. "Unsere Regierenden versprechen, die Bildung zu verbessern, sobald der Status erreicht sei." Aber nach nunmehr acht Jahren kauft die von Konflikten müde Gesellschaft den Politikern das Spiel nicht mehr ab."

Es herrscht Einigkeit darüber, dass diese Ansicht gerade auch die gegensätzlichen Argumente der Anti-Unabhängigkeitsgruppierungen oder der Serben unterstreicht. "Natürlich ist es keine Alternative, in serbischer Abhängigkeit zu leben. Sie haben uns gewissermaßen umgebracht. Aber auch wir haben unsere Rechnungen zu zahlen." Im Kosovo hat sich die kritische Diskussion inzwischen auf Mainstream eingependelt.

(Intext-Fotos: BIRN)

'Jeta në Kosovë'

Translated from Jeta Xharra: ‘Kosovo's status is not a solution to everything’