Influx: Eine Reise in das italienische London
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cafébabel DEImmer mehr Italiener packt das Fernweh. Sie machen sich in Hoffnung auf eine bessere Zukunft auf den Weg ins Ausland. Luca Vallo hat mit Influx einen Film über sie in London gedreht. Interview.
2013 lag die Zahl italienischer EmigrantenInnen offiziell bei 94 000; zum ersten Mal war die Zahl damit höher als der Einwandererzustrom. Großbritannien, allen voran London, ist einer der Hauptanlaufpunkte dieser neuen Migrationswelle.
Der im sizilianischen Caltanissetta geborene Regiesseur Luca Vullo arbeitet zu diesem Thema an Influx, einer Dokumentation über die italienische Community in London, der er selbst seit zwei Jahren angehört. Auch in früheren Arbeiten, beispielsweise in der Dokumentation Dallo Zolfo al Carbone (Von Sulfur zu Kohle) aus dem Jahr 2008, greift Luca das Thema Migration auf. Der Film untersucht "die geheime Vereinbarung zwischen Italien und Belgien aus dem Jahr 1946, die eine große italienische Migrationswelle von Minenarbeitern, Bauern und Rebellen in Belgien zur Folge hatte".
„Wenn wir uns dem Thema der 'gegenwärtigen Migration', zu der auch ich gehöre, nähern, ist festzustellen, dass die Ziele von heute und damals nicht viel anders waren. Immer noch heißt es: einen Job zu finden, nach neuen Chancen zu suchen oder sogar eine Familie zu gründen. Aber heute haben wir es mit einer neuen Typologie zu tun.“ Die neue Migrationswelle zählt besonders viele junge, gut ausgebildete Menschen.
"Sie unterscheiden sich maßgeblich von ihren VorgängernInnen, die nach dem Zweiten Weltkrieg nach Belgien auswanderten, aber auch von denen, die vor 50 bis 60 Jahren nach Großbritannien kamen. Die meisten von ihnen waren damals Elektriker oder Maurer." Die einzige Gemeinsamkeit der vorangegangenen Migranten-Generationen war gleichzeitig auch ihre Malaise: „Wir haben nicht wie die Generationen vor uns die Erfahrung eines Weltkrieges gemacht, aber unser Land ist aus den Fugen geraten und die Menschen halten es einfach nicht mehr aus. Es ist wirklich sehr kompliziert, die Identität der ItalienerInnen in London klar zu definieren. Wir sind eigenartige Menschen mit einer schizophrenen Identitität.“
Natürlich gibt es Ausnahmenspersönlichkeiten wie den Bürgermeister von Camden: Lazzaro Pietragnoli, die Al Jazeera-Moderatorin Barbara Serra oder die Journalistin und Schriftstellerin Caterina Soffici (Autorin des Buches Italia Yes, Italia No, Feltrinelli). Sie repräsentieren "die Generation, die es geschafft hat, und verfolgen aufmerksam die Tendenzen und Entwicklungen der neuen Ankömmlinge in London".
„London ist keine einfache Stadt - die Doku will ebenfalls das Leben dort aus der Perspektiv von jenen zeigen, die es nicht geschafft haben und trotzdem weiterkämpfen. Wir ItalienerInnen hinterlassen auf der einen Seite überall unsere Spuren: Vom Essen, Mode, Stil und Design bis zu weiteren gängigen aber netten Stereotypen. Auf der anderen Seite klafft aber ein riesiger Graben zwischen Gesellschaft und Familie in unserer Gemeinschaft, wie die Interviews mit den Psychologen in der Doku deutlich machen.
Al Jazeera-Journalistin Barbara Serra erklärt beispielsweise im Trailer, dass die Wettbewerbsfähigkeit ein Problem für den jungen Italiener von heute darstellt oder inwiefern sich der Wortschatz durch neue Wörter wie Leistungsgesellschaft erweitert hat. Vullo fügt hinzu: "Bei uns heißt es: So lange wir uns nicht an einer Leistungsgesellschaft orientieren, kann sich Köpfchen noch durchsetzen. In Großbrittanien haben wir aber gelernt, dass du mit gewissen Skills im Spiel der realen Möglichkeiten mitspielen kannst."
Um die Produktionskosten von INFLUX zu decken, startete das Team eine Crowdfunding-Aktion über Indiegogo, die im Januar endete. 20.000 Pfund konnten damit eingesammelt werden. „Der Vorteil von solchen Kampagnen ist es, einen gewissen Teamgeist und Synergien mit dem Publikum entstehen zu lassen. Das kann man mit einer Mainstream-Produktion nur selten erreichen", sagt Vullo.
In diesen Hochzeiten des Euroskeptismus in Großbritannien und den anstehenden Parlamentswahlen im Mai betont der Regiesseur „Wir sind so viele. Unter uns gibt es aber auch Menschen, die vom Sozialstaat profitieren oder auf die schiefe Bahn gekommen sind - das verwirrt die britische Gesellschaft sehr."
In puncto Zahlen können die ItalierInnen mit den PolenInnen Schritt halten. „Immigrationstechnisch belegen wir den zweiten Platz hinter Polen und vor Spanien. INFLUX will die italienische Gemeinde in London und ihre innere Struktur portraitieren. Die Doku ist ach für uns eine Form der Selbstanalyse.“
Deshalb ist INFLUX auch interessant für anderen Migrationsgruppen. Der Dokumentationsfilm zielt darauf ab, auch das Interesse der britischen Bevölkerung für dieses Thema zu wecken. Für uns war es deshalb entscheidend, ein italienisches Team zu bilden, um Geschichten von Menschen aus und über unser Land zu erzählen.“ Hinzu kamen Sequenzen aus verschiedenen internationalen Festivals, von der italiensichen Botschaft oder dem italienischen Kulturinstitut in London.
London ist kein Eldorado, aber wie Samuel Johnson sagte: Wenn ein Mann müde an London wird, ist er müde am Leben, denn es gibt in London alles, was das Leben bieten kann. Und das gilt auch für die hier gestrandeten jungen Italiener, die versuchen aus diesen unendlichen Möglichkeiten in London ihr Glück zu bauen.
Translated from Influx: A Journey into the Pulse of Italian London