Ihr Lords, habt Gnade mit uns!
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jgDas nicht gewählte House of Lords macht Britanniens Staatssystem zu einer absoluten Ausnahme in der westlichen Welt. Das Oberhaus in Großbritannien ist mehr als nur ein symbolisches Relikt, denn es bleibt bedeutend bis in die Gegenwart und genießt mehr Macht Gesetze zu verzögern, als die Oberhäuser Frankreichs und Spaniens, welche beide wählbar sind.
Wie also konnte diese Anomalie die Wirren der Zeit überleben und wo stehen die Lords heutzutage?
Ich fand mich neulich in der sehr interessanten Position, die politischen Strukturen meines eigenen Landes in einem ausländischen Bildungssystem zu studieren. Während viele meiner spanischen compadres die Geschichten von Nigel Farage und seinem kleinen Flugzeugunfall oder John Prescotts Prügelein in der Öffentlichkeit einfach genießen, so fesselt sie doch nichts mehr als das Handeln und Wirken des House of Lords. Nach einigen meiner Erklärungsversuche war immer noch ein rechter Unglaube über die Lords geblieben und ich sah ein, dass ich zu lange etwas akzeptiert hatte, dass mich eigentlich hätte empören sollen. Um einzusehen, wie unnormal eine Sache wirklich ist, braucht es manchmal die Fassungslosigkeit anderer.
Das House of Lords ist nicht normal. Damit ist das Vereinigte Königreich eine von zwei Nationen auf der Welt, die dem Klerus Platz in ihrer Gesetzgebung einräumen: das zweite Land ist der Iran. Die Kammer zählt 92 Mitglieder des Erbadels, die die personifizierten Provokationen für Demokratie und Leistungsgesellschaft darstellen. Als kleine Randnotiz bietet es aber auch noch einem Mann Platz, der glaubt, dass, Baked Beans für die Erderwärmung verantwortlich sind. Diese kleinen Stolpersteine werden in Britannien schon gern mal übersehen und die Lords machen eigentlich nur dann Schlagzeilen, wenn es um ihr Geld geht. Das Haus rühmt sich mit über 8000 Kunstwerken. Von einer Büste von Prinz Phillip bis hin zu Werken, die sich bis ins Mittelalter zurückdatieren lassen: die Lords haben sich für ihre Innenausstattung nicht lumpen lassen. Das Auktionshaus Bonhams schätzte den Wert des Möbelinventars der Lords auf 13,5£ Millionen. Wo gerade einmal drei Lords ein richtiges Einkommen haben, ist es nicht verwunderlich, dass man sich dafür recht saftige Zuschüsse gönnt. Vom vergangenem Juli bis Dezember forderten sie 7.724.700£ in Form von daily allowances, also an Aufwandsentschädigungen. Allein für das Erscheinen belaufen sich die daily allowances täglich auf 300£. Natürlich haben das viele der Lords längst begriffen und kreuzen deshalb jeden Tag für ein paar Minuten auf, um dann den finanziellen Verdienst einheimsen zu können.
Trotzdem bleibt der größte Skandal des Hauses immer noch der Mythos von „Geld gegen Ehre“ („cash for honours"), in welchem Tony Blair zum ersten Premierminister wurde, der polizeilich im Rahmen einer Korruptionsermittlung befragt wurde. Trotz des Versprechens, das Haus in seinem damaligen Zustand abzuschaffen zu wollen, war es doch Blair, der in seinen zehn Amtsjahren 374 Mitglieder auf Lebenszeit ernannte. Der Vorwurf lautete ursprünglich, dass seine Partei Anleihen und Spenden im Austausch für Titel akzeptiert habe, was zum Verhör von 136 Personen führte. Letzten Endes verliefen sich die darauffolgenden Ermittlungen aber irgendwo im Sand.
Die unglücklichste Sache dabei ist, dass trotz all dieser Skandale und Exzesse, die Lords nicht weniger schlecht dastehen als unsere gewählten Politiker. So ist es nur fair, wenn wir hier auch auf einige der guten Dinge eingehen, die sie geleistet haben. Gäbe es die Lords nicht, dann könnten wir schon eine Festnahmeregelung für 90 Tage ohne Prozess haben. Das Unterhaus hatte diesen Enwurf im Zuge des 11. Septembers beinahe zum Gesetz erhoben. Auf menschenrechtlicher Ebene wird dieser Entwurf als sehr zweifelhaft angesehen.
Erst vor kurzem beschlossen die Lords die Pläne von Innenministerin Theresa May zur erweiterten Ausbürgerungsbefugnis einem stärkeren Kontrollblick zu unterwerfen. Abgezielt auf britische Staatsbürger, die in ausländischen Konflikten wie in Syrien kämpfen, würde ein Gesetz es ermöglichen, Menschen ihre Staatsbürgerschaft zu entziehen. Es ist eigentlich schon grotesk, da ein verzweifelter Schlag der selben britischen Regierung letztes Jahr eben solche Kämpfer unterstützt hatte.
Das Hauptkriterium zur Ausbürgerung ist sich laut des Entwurfs eines „Verhaltens zu bedienen, welches erheblich zum Schaden entscheidender Interessen des Vereinigten Königreiches beitragen würde."
Schlecht für uns: es werden solche wie Theresa May sein, die entscheiden, wer diese Staatsfeinde sein werden. Diese Gesetze werden ohne Zweifel spätestens dann in Kraft treten, wenn Theresa auf dem Schrotthaufen der Geschichte gelandet ist. Die Ausbürgerungsinitiative wurde lediglich von 34 Abgeordneten im Unterhaus abgelehnt, Gott lobe die Lords!
Trotzdem können wir uns mit dieser seltsamen Bastion des Feudalismus nicht recht anfreunden. Ein kurzer Streifzug durch deren Geschichte auf der Website des Parlaments malt ein Bild eines glitschigen Fisches, der wiederholt jeglicher bedeutender Reform entkommen konnte. Der letzte Versucht einer Veränderung wurde 2012 dank eines äußerst ärgerlichen „wie du mir, so ich dir"-Spielchens in den Sand gesetzt, was auch ein großartiges Beispiel dafür darstellt, dass Politiker eben mehr daran interessiert sind, sich gegenseitig zu blamieren, als ihrem Land zu dienen.
Obwohl wir einige ihrer Entscheidungen sogar als Vorbilder für unsere gewählten Repräsentanten hochhalten können, beschleicht mich das Gefühl, dass ich die Lords lieber im Geschichtsunterricht treffen würde, als im Politikkurs. Denn auch eine zerbrochene Uhr geht am Tag zweimal richtig. Wir hätten die Uhr der Lords schon von langer Zeit stoppen sollen.
Translated from Lords Have Mercy