Homophobie in Europa: Im Hass vereint
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Effy Gromann27 Mitgliedsstaaten bieten 27 Gründe, sich der Homophobie in der EU bewusst zu werden, sie anzusprechen und zu bekämpfen. Tonio Borg, seit November 2012 EU-Gesundheitskommissar, fiel in der Vergangenheit wiederholt durch schwulenfeindliche Bemerkungen auf. Ein Grund mehr, die Abneigung gegen sexuelle Vielfalt und tagtägliche Diskriminierungen zu entlarven.
„Macskos buzik!“ („Scheißschwule!“), schrie eine hasserfüllte Menschenmenge an der Oktogon-Kreuzung, erinnere ich mich. Skinheads, gemeinsam mit ebenso überzeugten Rentnern und einigen weiblichen „Kameraden“ begrüßten so die Teilnehmer der Gay-Pride im September 2009 in Budapest. Diese Brutalität veränderte vermutlich, was ich seither unter „Homophobie“ verstehe. Solch eine offene Wut zeigte sich zuerst 2009 in Malta, personifiziert durch den damaligen Außenminister Tonio Borg. Seit November 2012 ist dieser neuer EU-Kommissar für Gesundheits- und Verbraucherpolitik.
„Ich habe niemals herabwürdigende Bemerkungen [über Homosexuelle] gemacht“, verteidigte sich Borg vor einigen Wochen im Europäischen Parlament. Drei Jahre zuvor hatte er, angesichts des Vorschlags der maltesischen Opposition, homosexuelle Paare beim Wohnrecht gleichzustellen, nicht mit homophoben Bemerkungen gespart: “Mich wundert der Vorwurf, dass wir 'die gleichgeschlechtlichen Paare vergessen, die nicht vom Schutzbereich dieses Gesetzes berücksichtigt werden'. Das fehlte uns ja gerade noch!“ Weiter stellte er in Frage, „auf wen außer das traditionelle Ehepaar aus Mann und Frau denn dieses Wohnrecht noch angewandt werden sollte“.
Europäischer Hass auf Geschlechtervielfalt
Die Inselgruppe Malta, auf der Scheidungen erst seit Mai 2011 gesetzlich möglich sind, stellt allerdings nur ein kleines Rädchen im Getriebe des Hasses auf Geschlechtervielfalt dar, das Europa durchzieht.
Wie erklärt man sich sonst den Tod des Bulgaren Mihail Stoyanow, dessen Leichnam mit zerfetzter Luftröhre und mit Blutergüssen übersät, 2008 in Sofía aufgefunden wurde? Die gewalttätigen Übergriffe der griechischen Neonaziorganisation „Goldene Morgenröte“? Den Selbstmord des fünfzehnjährigen Andrea in Italien, dem zur Last gelegt wurde, rosafarbene Hosen zu tragen? Und was ist mit der Slowakei, in der Aktivisten der extremen Rechten die erste Gay-Pride in diesem Land gewaltsam störten? Oder mit Polen, wo sich eine Initiative für mehr Toleranz mit der Gleichgültigkeit der Breslauer Behörden konfrontiert sah, die nur vorschlugen, zum Schutz vor Übergriffen eine andere Demonstrationsroute zu wählen?
Was hat die EU bislang für die LGBT-Rechte getan?Die fünfTopsundFlops
Bei der Stigmatisierung Homosexueller in der Verwaltung sieht es nicht besser aus: Darf Zypern das Asylgesuch einer lesbischen Iranerin abweisen, nachdem Zweifel an ihrer sexuellen Orientierung aufkamen? Ist es zulässig, dass Litauen Informationsmaterial zugunsten der Homo-Ehe verbietet? Wie erklärt man sich, dass nur zwei Prozent der Rumänen angeben, freundschaftliche Beziehungen zu Nicht-Heterosexuellen zu unterhalten und 20 Prozent nicht wissen, ob Homophobie im Land weit verbreitet ist oder nicht? Kann man verstehen, dass einer Studie zufolge in Lettland mehr als die Hälfte der Befragten homosexuelle Beziehungen verurteilen und 28 Prozent Homosexualität sogar offen missbilligen? Dass die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften in Estland nichts als ein unerreichbarer Traum zu sein scheint?
Auch zurück in Malta hören diese Grausamkeiten nicht auf: Was bringt Tonio Borg dazu, 2008 einem EU-Richtlinienentwurf zum Schutze vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung seine Unterstützung zu verweigern? Vielleicht der gleiche Grund, der ihn versuchen ließ, die Personenfreizügigkeit für Homosexuelle so stark einzuschränken, dass dieses Grundprinzip der Europäischen Union bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt wäre?
Lebenspartnerschaft statt Ehe: ein Klassensystem der Partnerschaften
Viele Staaten fahren eine politische Linie, die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften gestattet. Allerdings sind darin in vielen Fällen nicht die gleichen Rechte erhalten wie in der Ehe. Somit wird die Unterscheidung der sexuellen Orientierung institutionalisiert: es entsteht ein Klassensystem der Partnerschaften.
Kann es sein, dass die Institution der Ehe nicht der ganzen Gesellschaft offen steht?
Kann es sein, dass die Institution der Ehe nicht der ganzen Gesellschaft offen steht? Die Antwort scheint in Österreich offensichtlich zu sein, wo homosexuellen Paaren die gesetzliche Adoption oder Elternschaft nicht gestattet ist. Auch in Finnland drängen die Perussuomalaiset (zu Deutsch etwa „echte Finnen“), als drittstärkste politische Kraft in einem Land, das Paaren grundsätzlich die Adoption erlaubt, momentan auf eine Gesetzesänderung, die Partnerschaft nur noch als Beziehung zwischen Mann und Frau versteht. Genauso Ungarn, regiert vom „Gralshüter des christlichen Europas“ Viktor Orbán, das im vergangenen Jahr die Magna Charta des Landes dahingehend änderte, dass unter dem Begriff Familie nur noch der Verbund von Mann und Frau gefasst wird. Und in Luxemburg, das momentan das Prinzip der Lebenspartnerschaft anwendet, ist eine 2010 gestartete Reform mit dem Ziel der Anerkennung der „Homo“-Ehe zwei Jahre später ins Stocken geraten.
Die Tatsache, dass sich das Rechtsprinzip gleichgeschlechtlicher Partnerschaften abseits der Ehe gebildet hat, ist nur ein weiterer Beweis für bestehende Vorurteile. Dazu passt die Empfehlung des Kapitäns der deutschen Fußballnationalmannschaft, Philipp Lahm, der jedem schwulen Fußballer davon abriet, sich offiziell zu outen.
Homophobie und ihre Folgen: Vorurteile, Diskriminierungen, Gewalt
Wie zu erwarten, haben diese Vorurteile breitgefächerte Auswirkungen: vom irischen Unternehmen, das einer Angestellten kündigte, als deren Transsexualität bekannt wurde, bis zur Blutspende im Vereinigten Königreich, wo Männer, die im Vorjahr Geschlechtsverkehr mit anderen Männern hatten, kein Blut spenden dürfen (in Nordirland und Deutschland ist die Zeitspanne sogar unbegrenzt).
In der Tschechischen Republik behauptete ein Berater des Präsidenten, dass es sich bei Menschen, die sich als LGBT (lesbisch, schwul, bi oder transgender) bezeichnen um „eine Bande von Fehlgeleiteten“ handele. Václav Klausverteidigte ihn daraufhin, indem er erklärte, dass „fehlgeleitet“ im Tschechischen ein semantisch wertfreies Wort sei. Die alltäglichen Benachteiligungen und Beleidigungen wurden in Slowenien sogar zu gewalttätigen Übergriffen durch Neonazigruppierungen auf LGBT-Treffpunkte in Ljubljana, auch im alternativen Viertel Metelkova. Ähnliche Gewaltausbrüche gab es kürzlich in Frankreich nach der Ankündigung des Präsidenten François Hollande, die Eheschließung zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern gesetzlich zu erlauben.
Der gemeinsame Hass auf das „Andere“ scheint zur Norm geworden zu sein.
Selbst in den Ländern, die die Homo-Ehe als der Hetero-Ehe gleichwertig anerkannt haben, scheint eine homophobe Tendenz in der Gesellschaft fortzubestehen, die vom Gesetz schon längst überwunden ist. In den Niederlanden, Vorreiter in der Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe, wurden im Jahr 2011 mindestens 34 Fälle bekannt, in denen Menschen ihre Wohnviertel aufgrund von homophoben Übergriffen verlassen mussten. Die gleiche Abneigung gegen Homosexuelle wurde in Belgien spürbar, wo im vergangenen Sommer ein lesbisches Paar aus Lüttich verbal attackiert und ein Freund des Paares sogar verprügelt wurden. In Schweden wurde bisher wenig unternommen, um das homophobe Benehmen eines Polizeibeamten aufzuklären. Und in Dänemark schließlich erklärte ein Journalist in aller Öffentlichkeit, er könne nicht zwischen einer Transgender-Frau und „einem Zirkus aus Fehlgeleiteten mit verkommenen Trieben“ unterscheiden. Der gemeinsame Hass auf das „Andere“ scheint zur Norm geworden zu sein.
Die Gesellschaft in Portugal ihrerseits scheint zu erkennen, dass Transsexuelle die am stärksten diskriminierte Bevölkerungsgruppe sind, dicht gefolgt von den Roma-Gemeinschaften. In Spanien hingegen hatte die momentan regierende Partei Partido popular eine Überprüfung des Gesetzes über die gleichgeschlechtliche Ehe durch das Verfassungsgericht beantragt. Ohne diesen Schritt wäre der Regierungspartei das Urteil vom 6. November 2012 erspart geblieben: denn für das Gericht ist eine Ehe mit Partnern des gleichen Geschlechts nicht verfassungswidrig.
Erst am 27. Januar gingen in Paris rund 125.000 Menschen für die Homo-Ehe und das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare auf die Straße.
Illustrationen: Teaser ©Sztuczne Fiołki basierend auf einem Gemälde von ©David Hockney; im Text: ©ILGA-Europe und mit freundlicher Genehmigung von der Facebookseite von ©Act Up-Paris; Video: atrejuvienna/YouTube und RussiaToday/YouTube.
Translated from En esta Europa homófoba, nada une tanto como el odio