Hip-Hopper Onra: "Anderssein ist in Frankreich out"
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Etienne MayArnaud Bernard alias Onra ist berühmt dafür, chinesische Beats in seinen Aufnahmen zu samplen. Mit seiner Musik ist er durch die Welt gereist und hat es zu beachtlichem Ansehen gebracht. Doch das scheint nun vorbei zu sein. In seiner Wahlheimat Paris sprechen wir mit ihm darüber, wie es einem gelingen kann, seine eigene Musik zu mögen, und wie man mit „schwachsinnigen Stigmata“ umgeht.
Die Beats sind mal ruhig, mal grotesk - je nachdem, welche chinesische Stimme sich summend zu ihnen gesellt. Das Knistern des alten Vinyls wird alsbald durch einen Streichersatz geglättet. Weltweit ist Onra für seinen harten Track „The Anthem“ bekannt: Coca-Cola verwendete das Lied 2008 bei den Olympischen Spielen in Peking. Doch seine Musik ist vielseitiger. Sie wechselt zwischen übellaunig-groben Beats und achtungsvollem Takt, tranceartigen Pausen und verstaubtem Dance. Onra selbst behauptet, nicht der größte Fan seiner letzten Aufnahmen zu sein. Zumindest sagt er das, als wir uns in der Nähe seines Wohnortes im Süden von Paris treffen. Mit seiner schwarzen Mütze, dem roten Schal, Denim Shirt und Cardigan sieht er ganz nach einem Franzosen aus - vom Scheitel bis zur Sohle. Wir mischen uns unter die dunklen Leute, die den Boulevard Saint-Marcel an diesem frühen Winterabend bevölkern.
Asiate, Franzose und Cratedigger
Onra - geboren in Trier, der Vater Vietnamese, die Mutter Französin - zog mit drei Jahren nach Frankreich und verbrachte ein Jahr an der Elfenbeinküste, bis sich seine Mutter aus politischen Gründen gezwungen sah, das Land zu verlassen. Seit zwanzig Jahren pendelt er nun zwischen den beiden Ländern. „Man betrachtet mich als Ausländer", sagt er, "und ich sehe noch nicht einmal vietnamesisch aus.“ Den Stereotyp des 'Asiaten zweiter Generation' macht er damit zunichte. Das sei nur ein Fallstrick, meint er. Die Medien würden ihn nur immer wieder daran 'erinnern'. „Vom Essen abgesehen, gehört das Vietnamesische nicht wirklich zu meiner Kultur“, fügt er hinzu.
Erst auf Reisen entdeckte er die vietnamesische Kultur - und wie er sie für seine Karriere nutzen konnte. 2006 fuhr er mit seiner ehemaligen Freundin nach Vietnam. Dort begann er, die Aufnahmen zu sammeln, die das Material für zwei seiner sechs bemerkenswertesten Instrumentalalben bilden sollten: "Chinoiseries" und "Chinoiseries Part Two". „Egal wo ich war, überall griff ich Sachen auf“, erklärt er. „Es war schwer auf Englisch zu beschreiben, was ich wollte.“ Vietnamesische Ladenbesitzer lachten ihn für gewöhnlich aus, wenn er sich durch die Musik der 60er und 70er wühlte, sich an den „großen, schwarzen Dingern“ zu schaffen machte, die CDs und Kassetten voraus gegangen waren. In der Schule hatte er sich auf Wissenschaft und Mathematik spezialisiert, an der Universität studierte er Marketing und Kommunikation. Und so hatte er auch einen Plan B für die Musikindustrie. Er produzierte zunächst 50 CDs, um sie an Freunde und an seine Familie zu verkaufen. Dann hörte ein Freund, dem eine Onlinefirma für Vinyl gehörte und bei der Onra Praktikant war, einen seiner Tracks . Der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte.
Vietnam hinter sich lassen - und auch Frankreich
Was also hat es mit Onras Musik auf sich, die er selbst als Wiedergeburt "toter Musik" bezeichnet? „Es hat nichts mit dem zu tun, was Popmusik in China heute ausmacht. Zu 90% ist es chinesische Musik, auch wenn ich sie in Vietnam gekauft habe.“ Den Inhalt der Textzeilen, die er zusammenschnitt, verstand er nicht, bis Fans sie ihm übersetzten. Einige beliebte lauten: „Mein Gehalt beträgt nur 600“, „Haha, ist das lustig“ oder „Ich bin Gott.“ Onra führt DJ Jase an, einen aus Vietnam stammenden Promoter. In Städten wie Hanoi ebnet er ausländische Künstler, die sich vom Stil her am Dubstep orientieren, den Weg. „In den südlichen Städten wie Saigon ist man musikalisch gesehen viel offener“, sagt er. Das nördliche Vietnam sei sehr viel stärker abgeschottet, da es mehr unter dem Einfluss des Kommunismus gestanden hatte.
Onras LP Long Distance, die im Mai 2010 im irischen Label All City Records erschien, stehe viel eher für das, was ihn ausmacht, sagt er. „Diese Aufnahmen gehen mehr in Richtung der 1980er, der Boogie stand Pate dabei. Jedes meiner Alben unterscheidet sich voneinander. Hip Hop hat seine Wurzeln im Jazz, Soul und in anderen Genres. Die Leute wissen nicht, was ich durchmachen musste, um dieses Album zu machen“, eröffnet er. „Für's Erste bin ich mit dem fernen Osten durch. Das zweite Album war wohl zuviel. Ich erhielt schlechte Kritiken. Man schrieb, dass ich so was schon mal gemacht hatte. Dabei war das zweite Album als Nachfolger angelegt.“ Auf Künstlern laste ein hoher Versagensdruck , zumindest in Frankreich. „Ich habe nicht die Unterstützung, die ich mir wünsche. Zu Beginn meiner Karriere war mir allerdings klar, dass ich mich für aufgeschlossenere Länder interessierte: Großbritannien, Deutschland, Osteuropa, Australien und die USA.“ Eine Facebook-Analyse zeigt, dass Onra besonders viele Fans aus Polen hat. Dabei ist er sich nicht einmal sicher, ob dort auf dem Musikmarkt viel verkauft wird. „Sie interessieren sich für neue Musik, sie sind gebildet und haben großartige Jazzmusiker und andere Künstler.“
Es muss wohl daran liegen, dass Onra schon mit 18 Jahren begann spaßeshalber Musik zu machen. Er hatte keinen speziellen Hintergrund oder einen Mentor. Das sei bis heute so geblieben und ist vielleicht auch eine Erklärung für seine Bescheidenheit angesichts des Erfolgs, den er heute hat. „Die Sache wächst mir über den Kopf“, lacht er. „Ich werde wohl einen Manager oder Assistenten brauchen. Zum Glück gibt es Facebook. Ich habe versucht, meinen Freunden Nachrichten zu schicken, um zu zeigen, dass ich mich nicht verändert habe. Sie verstehen das.“ Seinen ersten Auftritt in Frankreich hatte er im Dezember 2011 - nach einer 18 Monate langen Auslandstournee.
Auch wenn ein Sound-Stilwechsel in der Zukunft nahezu sicher ist, hat Onra das Gefühl, nicht genügend gesehen zu werden. Die Pariser müssen sich nach seiner Abwesenheit eventuell erst wieder an ihn gewöhnen. „Anfangs wollte ich wirklich mein Land repräsentieren, aber Anderssein ist hier out. Jeden Tag denke ich darüber nach zu gehen - nach Kanada, nach New York. Ich fahre total auf Neuseeland ab. Ich mag die Insulanermentalität. Sie haben dort ihre eigenen schwachsinnigen Stigmata, aber damit kann ich umgehen. Ich bin seit über einem Jahrzehnt in Frankreich, aber es hat mir nie wirklich gefallen. Wenn ich hier bleibe, werde ich nicht mein volles Potenzial ausschöpfen können, weder menschlich noch musikalisch. Paris ist günstig gelegen im Zentrum Europas. Ich bleibe einfach zu Hause und mache Musik. Jetzt gerade bin ich zum ersten Mal an diesem Tag nach draußen gegangen.“ Er lächelt und holt eine Zigarette hervor. Es ist ein Freitag Abend, und Onra ist außer Haus unterwegs; er schuldet seiner Tante heute noch ein Abendessen in einem Restaurant.
Onras neuesten Track 'Perfect(ed) Cloud' auf soundcloud anhören.
Illustrationen: Homepage ©Mr Mr Mass T; Im Text ©Mr Mikael Colombu und Album-Cover/iwelcom.tv/onra
Translated from Hip hop producer Onra: ‘Difference is not very well accepted in France’