Halloween und Vampirmania: Liebe, aber bloß kein Sex
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Katha KlossUrban horror, supernatural teen drama und new gothic: wie auch der Name dieses zuerst literarischen und später kinematografischen Mikrokosmus lauten mag, eine Sache ist sicher - Junge Menschen zwischen 13-28 Jahren fühlen sich in einer Fantasiewelt, irgendwo zwischen Vampir und Werwolf, wohler als in der wirklichen Welt.
Ob Twilight-Saga oder die daraus resultierenden Serienabkömmlinge True Blood, Vampire Diaries und Co., das Schema bleibt immer das gleiche: knackige, blasse Jungs mit dunkler Seele; faszinierende, unberührte Mädels - aber kein Sex! Zumindest nicht gleich…
Fragt man einen Regisseur nach der besten Methode für ein Bomben-Szenario, wird er höchstwahrscheinlich mit einer Antwort dieser Art auffahren: Man nehme einen Protagonisten, lasse ihn sich Hals-über-Kopf verlieben und warte dann so lange wie möglich auf das erste tatsächliche Treffen mit dem Objekt seiner Begierde, indem man ihm einen ganzen Haufen Steine in den Weg legt. Nichts leichter als das. Die Anhänger des Coitus Interruptus können ein Liedchen davon singen. Um das Rezept abzurunden, gebe man ein bisschen Übernatürliches hinzu und lasse die Mischung daraufhin auf besonders niedriger Flamme köcheln - Buch für Buch, Film für Film, Serie für Serie.
So schnell wird urban horror geboren, das literarische Genre, welches von der Twilight-Saga der Amerikanerin Stephenie Meyers ausging, und nicht nur die Taschen der amerikanischen Filmindustrie gefüllt hat, sondern auch dabei ist, die Vorstellungswelt der Jugendlichen zu monopolisieren. Es ist bekannt: jugendliche Leidenschaft ist nur schwer zügelbar.
Die Grenze zwischen Realität und Fiktion - besonders unter Vampir-Fans - verwischt somit zunehmend. Das bestätigt auch einer der größten Filmemacher Europas, der Österreicher Michael Haneke, im Rahmen einer Konferenz im Pariser Goethe-Institut Ende Oktober: „In meinen Filmen, zum Beispiel in Funny Games (1997), versuche ich den Unterschied zwischen der Realität und Bildern, die Realität nur abbilden, darzustellen. Oft verhält es sich jedoch so, dass die täglich vorbeiflimmernden Bilder die Illusion in uns hervorrufen, es handle sich dabei um die Realität. Doch das stimmt nicht.“ Das Ganze potenziert sich zudem, wenn die Zuschauer Jugendliche sind.
Maria Nikolajeva, Professorin an der University of Cambridge und Expertin für Jugendliteratur, zufolge sei „das Gehirn der Jugendlichen wie ein Schwamm, der neues Wissen und Erfahrungen aufsaugen will. Junge Menschen lernen eifrig, haben aber nicht die Werkzeuge, um die Information auch zu filtern.“
Es erscheint schon etwas sonderbar, dass im Zuge der Twilight-Welle in einem Klassement der bestaussehendsten Männer weltweit 2 Vampire und 1 Werwolf auftauchen… Star-Vampir Robert Pattinson, Kino-Protagonist der Stephenie Meyer-Saga, ist die ungeschlagene Nummer eins des Klassements. Brad Pitt, der in der Vergangenheit eigentlich auch mal Vampir war, spielt darin gar keine Rolle mehr. Keine Spur von George Clooney oder Leonardo DiCaprio. Anhänger des Blutsaugerkults weltweit würden das Unmögliche tun, nur um es ihren Helden gleich zu tun und unsterblich zu werden. Davon zeugen auch die neue, speziell für Halloween aus dem Boden gestampfte iPhone Application I am Vampire oder die neuerdings freiwilligen Besuche Jugendlicher beim Zahnarzt für die permanente Verlängerung der Schneidezähne.
Blutsaugen und Blutspenden
Aber der Wahnsinn hört hier längst nicht auf und kann sich auch positiv entladen. Das ist beispielsweise der Fall für Newton&Compton und dessen aktuelle Werbekampagne “Adotta un Vampiro” für Halloween 2010. Mit der „Adoptier einen Vampir“-Kampagne greift das italienische Verlagshaus den globalen Hype um die blassen Blutsauger auf, um das neueste Buch Setta dei Vampiri (im Original: Night World) von Lisa Jane Smith zu vermarkten. Die Saga der Urban Fantasy US-Jugendautorin gab 2009 den Anlass für eine weitere Erfolgsserie, The Vampire Diaries.
„Für unsere Kampagne haben wir eine Strategie ausgeheckt, die sowohl eine Geschichte erzählt als auch eine soziale Komponente enthält“, so Marco Diotallevi, der Initiator der Kampagne. Dabei geht es um Folgendes: Die italienischen Fans wurden dazu aufgefordert, ihr Blut für ihren Lieblingsvampir zu spenden. Die Krux dabei ist jedoch: Ist es möglich, sein Blut einem Fantasy-Charakter zu spenden, wenn man in der Realität eigentlich nie zur Blutspende geht? „Die Fiktion und das Buch beschreiben ein Universum des Verlangens“, so Diotallevi weiter. „Die soziale Message hinter Blutspendeaktionen ist leider häufig uninteressant. Der Erfolg unserer Aktion begründet sich unter anderem damit, dass wir die Sprache der Jugend und ihr Universum berücksichtigt haben.“
Die Blutspende-Vereine - in diesem Fall die italienische Fidas - waren mit dem Resultat der Kampagne äußerst zufrieden. Und sie sind nicht die einzigen. Auch die ansonsten so besorgten Eltern, denen das erwachende Sexleben ihrer Sprösslinge den Schlaf raubt, können aufatmen. Warum? In den Vampir-Filmen spricht man zwar unterschwellig über Sex, praktiziert ihn aber nicht. Die Vampire von Twilight sind indes auch nichts anderes als entfernte Paten ihrer Vorgänger, die Generationen von Lesern erschreckt haben. Passionierte Menschen, und nicht nur sie, wissen vielleicht, dass in den Büchern der Mormonin Stephenie Meyer mehr von unmöglichem Sex als von unmöglicher Liebe die Rede ist. Die Serie der Autorin ist nichts anderes als die unendliche Verzögerung des ersten Mals.
Sex = Gefahr
Während die Gleichung in TwilightSex = Gefahr lautet, bedeuten in einer weiteren US-Vampirserie, True Blood, leichte Mädchen = Tod. Es ist schwer den Ursprung des Erfolgs dieses neuen Genres in den Staaten zu verstehen, wo wir doch in den letzten Jahren an Softporno in Jugendfilmen gewöhnt waren. Für Professorin Nikolajeva kommt das allerdings nicht überraschend: “Man reagiert nicht immer auf die gleiche Weise, wenn man vor einem Text sitzt. Das Wichtige, um Jugendlichen zu erreichen, ist die Essenz des Verbotenen und des Risikos aufrecht zu erhalten.“ Wenn sich zum Konzept der Sexualität die Gefahr gesellt, kann also auch Abstinenz stimulierend sein. Die Vampir-Welle repräsentiere keine Ausnahme für Literaturstudenten. „Alle menschlichen Erfahrungen haben einen Einfluss auf unser Leben. Literarische Erfahrungen sind ein Beweis dafür - auch wenn es Erfahrungswelten aus zweiter Hand sind. Sie ermöglichen uns Experimente, die man sonst nicht erleben könnte - so zum Beispiel das Treffen eines Vampirs“, so die Professorin weiter. Oder aber eine Liebesgeschichte mit einem der gut gebauten Schattenwesen…
Auch der Fakt, dass Edward Cullen (Robert Pattinson in Twilight) als Mann (oder Jüngelchen) das Klassement der attraktivsten Männer anführt, komme nicht von ungefähr: „Edward repräsentiert den perfekten Stereotypen der Jugendliteratur. Dass er ein Vampir ist, ist ein oberflächliches Detail. Er könnte ebenso gut ein Gangster, ein Pirat oder sonst etwas sein.“ Überraschend ist eigentlich nur, dass diese neuen Romanfiguren „extrem platt, eindimensional und die Bücher der Serie allgemein vorhersehbar (das hat vielleicht auch seine Vorteile) und schlecht geschrieben (das eher weniger) sind.“ Diesem letzten Punkt scheint selbst der King of Horror, Stephen King, beizupflichten: „Ich gebe zu, die Schreibe von Rowling ist genial“, erklärt der Autor USA Weekend, „aber die Meyer ist wirklich Horror.“
Fotos: (cc)joshunter/flickr; (cc)i heart him/flickr; (cc)wikimedia; Nayara - Oliveira/flickr; video: YouTube
Translated from Vampiri follia: più amore e meno sesso?