[ger] die rolle der ideologie in der georgischen politik
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Alexander BrückDie gestrige Einführung von Giorgi Margvelashvili in das Amt des georgischen Präsidenten markierte das Ende des ungewöhnlichsten Ereignisses in der Politik Georgiens – der Kohabitation. Nun kontrolliert das Bündnis Georgischer Traum fast die gesamte Exekutive. Dabei stellt sich unweigerlich die Frage, was genau sich verändern wird und in welchem Ausmaß? Die Antwort auf diese Frage ist zum Teil in der Rolle zu suchen, die die Ideologie in der georgischen Politik spielt (oder gerade nicht spielt).
Keine der beiden wichtigsten politischen Kräfte Georgiens scheinen ideologisch links oder rechts angesiedelt zu sein. Dies ist ein besonderes Merkmal des georgischen Parteiensystems. Die letzte Präsidentschaftswahl, wie auch alle anderen zuvor, war ein Wettbewerb zwischen zwei Catch-All-Parteien mit jeweils einer Person an der Spitze. Diese Parteien werden von einer sehr einflussreichen Person angeführt und versuchen, alle Gesellschaftsschichten anzusprechen. Aufgrund des Mangels an Demokratie und dem sowjetischen Erbe des autoritären Regierungssystems muss eine solche Partei eine weitreichende Ideologie vertreten, die ALLE mit einschließt, um erfolgreich zu sein. Da das Parlament in der Politik Georgiens nie eine große Rolle spielte, würden einige ins Parlament gewählte Parteien auf ihre Sitze verzichten und dafür sorgen, dass der Wettbewerb weiter auf der Straße bleibt. Sogar die Namen der führenden Parteien und Koalitionen zeigen, dass ihr Hauptziel darin besteht, jeden Bürger zu erreichen. Beispielsweise bezeichnete sich Eduard Schewardnadses Partei als "Georgische Bürgerunion". Dies ist hauptsächlich der Grund dafür, dass einige behaupten, dass in der georgischen Politik der Gewinner alles bekommt.
Solche Fakten legen nahe, dass Ideologien in der georgischen Politik keine große Rolle spielen. Dies zeigte sich auch, als der Georgische Traum das neue Arbeitsgesetz entwarf. Der zum Präsidenten gewählte ehemalige Bildungsminister Margvelashvili kritisierte das Gesetz und bezeichnete es als Traum von Rosa Luxemburg und Alptraum für die Unternehmen. Nach Ansicht des Justizministers sei der Gesetzesentwurf nur der erste Schritt in einer Reihe ausstehender Reformen. Wie aus diesen Äußerungen hervorgeht, sind ideologische Differenzen zwischen hochrangigen Regierungsmitgliedern keine Seltenheit, insbesondere innerhalb des parlamentarischen Flügels des Georgischen Traums. Dort sitzen Nationalisten, Rechtsliberale und Sozialdemokraten im selben Boot.
Tatsächlich sind einige der Auffassung, dass Georgischer Traum (GT) und Vereinte Nationale Bewegung (UNM) die gleiche ideologische Basis haben. Der frühere georgische Minister für Umwelt und Schutz der natürlichen Ressourcen und Mitglied der UNM-Fraktion schrieb einmal auf seiner Facebook-Seite scherzhaft, dass der Unterschied zwischen UNM und GT so gering sei, dass die Bevölkerung seiner Meinung nach nur GT wähle, weil ihnen das Aussehen der UNM-Mitglieder nicht passe. Tatsächlich denken viele Menschen, dass die Programme von UNM und der GT-Koalition gleich sind und der Erfolg des GT darauf basiere – er stand im Zentrum der politischen Szene Georgiens und stellte die UNM in die rechte Ecke eines relativ großen Raumes ideologischer Differenzen.
Damit eine solche Koalition funktioniert, muss es natürlich eine Art einende Kraft geben. Der Georgische Traum hatte zwei solche Kräfte – Bidzina Ivanishvili als Held und Michael Saakashvili als Bösewicht. Mittlerweile sind Held und Bösewicht von der politischen Bildfläche verschwunden. Eine unglückliche Entwicklung für die Vereinte Nationale Bewegung, die mit vielen veränderten Realitäten zu kämpfen hat. In der UNM gibt es libertäre, nationalistische und Mitte-Politiker, die zu zahlreichen Themen keine gemeinsame Meinung haben. Beispielsweise sprachen sich einige UNM-Mitglieder offen gegen konservative kirchliche Praktiken aus, während andere Mitglieder diese entweder unterstützten oder ihnen gegenüber neutral blieben.
Für wen oder was gibt das georgische Volk dann seine Stimme ab? Üblicherweise stimmt es bei den Wahlen nicht FÜR, sondern GEGEN bestimmte Ideen und Personen. Als Eduard Schewardnadse mit 70 % zum Präsidenten gewählt wurde, wählte das Volk gegen die Kräfte, die das Land vermeintlich destabilisieren wollten, und Stabilität war einer der zentralen Punkte in Schewardnadses Wahlkampagne. Nach der Rosenrevolution im Jahre 2003 stimmte Georgien gegen Schewardnadse. Auch 2012 wurde eher gegen Saakashvili als für Ivanishvili gewählt.
Der einzige Ausweg aus diesem Ein-Personen-Parteiensystem besteht darin, die Rolle des Parlaments zu stärken und die Kartellisierung der Parteien zu unterbinden. Gewinnt erneut eine Partei mit einem starken Anführer eine Wahl mit 75 %, würde dies das Scheitern des demokratischen Wandels bedeuten, der von Georgien erwartet wird. Deshalb sind die innerhalb der GT-Koalition herrschenden Differenzen zum jetzigen Zeitpunkt als positiv einzustufen.
Translated from The Role of Ideology in Georgian politics