Generation Startklar - Athens Jugend zwischen Aufbruch und Enttäuschung
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Bertram LangDie Krise in Griechenland hat kaum jemanden verschont. Eltern suchen nach einem Zweitjob um für die Bildung ihrer Kinder aufzukommen, die Jugend ist gezwungen das Land zu verlassen, Beziehungen gehen kaputt, ständig sinkende Löhne erhöhen die Prekarität. Ausgehen wird zum unerschwinglichen Luxus. Eltern drängen ihre Kinder zu Studentenjobs. Das Ergebnis: Zorn, Enttäuschung und Machtlosigkeit.
Der kürzlich von der Bertelsmann-Stiftung veröffentlichte Index der Sozialen Gerechtigkeit identifizierte Griechenland als das sozial ungerechteste Land der Europäischen Union. „Die von der Krise hervorgerufenen Einschnitte werden nicht in einer ausgeglichenen Art und Weise auf die Bevölkerung verteilt", urteilen die Autoren der Studie. Eine der gravierendsten Veränderungen ist der Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit, die den jüngsten Eurostat-Daten zufolge in Griechenland inzwischen 52% erreicht hat.
Die Gesichter hinter den Zahlen
„Wenn du in Griechenland einen guten Job bekommst, ist das wie ein Gewinn im Lotto", sagt Eva lachend. Die junge Frau hat bereits in Paris gearbeitet, ist aber aus Heimweh wieder nach Athen zurückgekommen. Ihr wurde zunächst ein Job angeboten, doch als sie kurz davor war ihren Arbeitsvertrag zu unterschreiben, senkten ihre Arbeitgeber in spe das ihr in Aussicht gestellte Monatsgehalt auf die vage Summer von „etwa 700 Euro". Ähnlich ging es einer Freundin von ihr, die 6 Monate unbezahlt für ein Unternehmen arbeitete, das ihr einen guten Job versprochen hatte. „Sie war außer sich, als sie herausfand, dass ihr Arbeitgeber sie für nur 600 Euro im Monat übernehmen wollte", erzählt Eva. Unabhängig vom Niveau des Abschlusses ist dies inzwischen das Durchschnittsgehalt in Griechenland.
Nikos arbeitet als Freiwilliger für GloVo, einem Start-up-Unternehmen, das Freiwilligenarbeit organisiert. Kürzlich erhielt er ein Jobangebot. „Am härtesten ist es für die, die gerade ihren Abschluss gemacht haben, als Griechenland von der Krise getroffen wurde", erklärt er, „sie waren immer noch der Meinung, dass sie einfach nur einen Abschluss zu machen bräuchten und dann einfach einen Job finden würden. Sie haben nicht so wie wir erkannt, dass es vor allem aufs Networken und die Erfahrung ankommt."
Hey, zumindest sind wir fit?
Depressionen sind inzwischen weit häufiger in Griechenland, und damit auch die Suizidrate. „Ich merke, dass immer mehr Leute mit Sport anfangen um überhaupt irgendetwas zu tun, um gegen die Depression zu kämpfen", erklärt Eva.
Sofia ist Mitte zwanzig und Event-Managerin, auch sie sucht derzeit nach einem Job. Sie erzählt von den persönlichen Spannungen, die die Krise in Griechenland mit sich gebracht hat. „Wenn junge Leute nach ihrem Universitätsabschluss zurück zu ihrer Familie ziehen müssen, nachdem sie lange Zeit alleine gelebt haben, kann das natürlich zu Spannungen führen", erklärt sie, „oder auch, wenn in einer Beziehung die Frau einen Job findet, der Mann aber noch keinen hat."
Jungunternehmertum als Ausweg?
Seit der Krise haben immer mehr junge Griechen entschieden, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen und ihr eigenes Unternehmen zu gründen. The Cube und der Impact Hub Athens sind zwei jüngere Initiativen, die jungen Unternehmern die Möglichkeit bieten, Unterstützung und Finanzierung vor allem von ausländischen Investoren zu erhalten. The Cube bietet günstige Büroräumlichkeiten, Workshops und Networking-Veranstaltungen für nationale und internationale Start-ups an. Ein Beispiel für ein erfolgreiches Start-up-Unternehmen, das aus dieser Initiative hervorging, ist Incrediblue, eine App und Website, auf der Yachtbesitzer ihre Boote vermieten können.
Während The Cube protzig und cool daherkommt, setzt Impact Hub Athens auf Ernsthaftigkeit und Klasse. Der Hub bringt Sozialunternehmer zusammen: „Wir wollen ein Umfeld schaffen, das unsere Unternehmer antreibt und weiter bringt", sagt Dimitris Kokkinakis, einer der Gründer des Impact Hub Athens. Ein Beispiel für eines der Projekte, die von Impact Hub Athens betreut und unterstützt werden, ist Filisia, ein Musikprogramm, das speziell an den Bedürfnissen autistischer Kinder ausgerichtet ist.
Dennoch ist die Erfolgsrate der Start-ups insgesamt niedrig. „Besser, man hat es versucht und ist gescheitert, als es erst gar nicht versucht zu haben. Die Erfahrung ist das Wichtigste", glaubt Stavros Messini, the Gründer von The Cube. Eine Überzeugung, die auch Dimitris Kokkinakis teilt.
Bye bye, Griechenland!
Seit 2010 haben 120,000 Berufstätige Griechenland den Rücken gekehrt. Diese Zahl wird in der absehbaren Zukunft nur noch weiter steigen. Junge Griechen beginnen heutzutage ihr Studium bereits mit dem Ziel, nach dem Abschluss ins Ausland zu gehen. Angelo ist 19 Jahre alt und würde gerne Spiele-Designer in Großbritannien werden. Voula und Claudia studieren beide Journalismus und möchten Kriegsberichterstatterinnen für internationale Nachrichtenagenturen werden. Sie glauben nicht daran, in Griechenland irgendein interessantes Angebot zu bekommen.
Athina lebt und arbeitet zurzeit in Amsterdam, würde aber gerne nach Griechenland zurückkehren. „Ursprünglich war der Plan, drei bis fünf Jahre im Ausland zu leben und dann mit mehr Erfahrung nach Griechenland zurückzukommen. Das hat sich jetzt geändert. Ich weiß nicht wann ich wieder zurückgehen kann."
Sofia und George würden gerne in Griechenland leben, aber suchen angesichts der geringen Jobaussichten in ihrem Heimatland derzeit ebenfalls nach Jobs im Ausland. Allerdings mussten sie schnell feststellen, dass es auch im Ausland recht schwierig sein kann einen Job zu finden. „Die meisten Griechen denken, dass es im Ausland viel einfacher ist einen Job zu finden. Aber ich war in London und man kommt sich dort vor wie im Dschungel. Sie bevorzugen englische Muttersprachler und wollen lieber Leute mit Erfahrung als mit einem speziellen Abschluss. Ein Master-Abschluss zählt dort nicht so viel."
„Eine Diktatur der hohen Steuern und niedrigen Löhne"
Infolge der von der griechischen Regierungen umgesetzten Austeritätspolitik finden in Athen weiter regelmäßig Proteste statt. Doch befragt man die jungen Leute zu den Demonstrationen, zucken sie meist nur mit den Achseln und sagen, dass die Leute eigentlich noch viel mehr protestieren sollten als sie dies derzeit tun.
Die jungen Leute sind sauer auf die Regierung. Angelo ist erst 19, doch er klingt viel zu verbittert für sein Alter, wenn er bemerkt, dass er „nicht nur sauer, sondern enttäuscht" ist, „was noch viel schlimmer ist." Er macht sich nicht einmal die Mühe zur Wahl zu gehen. Die Freiwilligen bei GloVo, Nikos, Tina and Vasilis, meinen, dass es bei der Wahl ohnehin nur darum gehe „die am wenigsten Schlimme Option zu wählen"
Die jungen Griechen glauben, dass Wandel erst dann vonstatten gehen kann, wenn ihre Generation das Ruder übernimmt. „Alles sollte ganz von vorne begonnen werden", argumentiert Athina. „All diese Sparmaßnahmen stürzen die Menschen nur ins Elend. Der Mittelklasse und Unterschicht geht es von Tag zu Tag schlechter und sie kommen einfach nicht mehr zurecht mit allem." Irena, eine junge Doktorandin im Fach Chemie-Ingenieurwesen, ist überzeugt, dass die von der derzeitigen Regierung verfolgte Politik nur „die Armen ärmer und die Reichen reicher" macht.
Alle glauben, dass die Korruption tief im griechischen System verankert ist. „Korruption ist überall", sagen Voula und Claudia, „selbst auf den unteren Ebenen." "Im Jahr 2012 haben die Politiker versprochen, die Preise und Steuern zu senken und die Löhne zu erhöhen, aber nichts ist passiert. Es war einfach nur eine dreiste Lüge", beschwert sich Nikos. Die griechische Jugend brandmarkt die Medien als Komplizen des Systems, kontrolliert von den beiden großen Parteien PASOK und Nea Dimocratia, die das Land seit den 1980er-Jahren im Wechsel regiert haben. „Wir nutzen die Sozialen Netzwerke um alternative Nachrichtenquellen zu finden", erklärt Vasilis.
Manch andere Jugendliche gehen weniger hart mit der Regierung ins Gericht. Dimitris vom Impact Hub Athens macht vor allem die Bürokratie für die Trägheit der Fortschritte verantwortlich. George findet, dass die gegenwärtigen Reformen benötigt werden, aber dass die Regierung zu zögerlich bei ihrer Umsetzung war.
Griechenland, das Herz Europas
Sehen die jungen Griechen ihre Zukunft innerhalb der Europäischen Union? Die Meinungen schwanken von „Um Gottes Willen, nein!" bis „Naja, hm". Die meisten wollen die Gemeinschaft beibehalten, aber mit einem neuen Gesicht. Sie machen die EU für die Sparmaßnahmen und die fehlende griechische Wettbewerbsfähigkeit verantwortlich. Sie verweisen auf die Ungleichheit zwischen den EU-Staaten und auf den Vormarsch des Euroskeptizismus. Sie wollen weniger Bürokratie, mehr Solidarität und weniger Fremdenhass.
Dieser Artikel ist Teil unserer offiziellen Sonderreihe EU in Motion. Mit freundlicher Unterstützung von:
Translated from When the Going Gets Tough: Youth in Athens