Filmklubs in tunis: Die Alternative Szene leistet Widerstand
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Barbara BraunDie in den 70er Jahren entstandenen Filmklubs in Tunis bieten seit jeher Raum für kreative und intellektuelle Freiheit. Sie sind Nährböden für Jung-Cineasten, Liebhaber der Filmkunst und Aktivisten aller politischen Lager.
Die Kinosäle der tunesischen Hauptstadt kann man an der Hand abzählen. Die meisten davon liegen rund um die Avenue Bourguiba, der Hauptstraße der Stadt: das Mondo, das Rio oder das Colisée sind alte Gebäude im Kolonialstil. Für fremde Augen wirken sie leicht dekadent, in den Augen der Filmliebhaber sind sie traurige Reste der goldenen Jahre des Kinos.
In Schatten der großen Kinos in Tunis versteckt sich eine alternative Bewegung: die Filmklubs. Sie sind der Gegenstrom zur Filmflut aus Hollywood, der Rettungsring des tunesischen Films und Zufluchtsorte von Aktivisten jener Länder, in denen vor drei Jahren die Lunte des arabischen Frühlings gezündet wurde. Sie gehören zu jenen, die unter einem autoritären Regime litten, das Zensur vor Redefreiheit stellte und damit die nationale Filmproduktionen erstickte. Ob sie es wollen oder nicht, Politik ist immer ein Thema in der Kinoklubs. Das war vor der Revolution des 14. Januars so und wird auch weiter so bleiben.
Aus Liebe zum Kino
„Hauptsächlich aus politischen Gründen," antwortet Amel Saadallah nach kaum ein paar Sekunden Bedenktzeit auf unsere Frage, warum sie den Filmklub CinéMadart gegründet hat, der eine der ersten, vom Verband der tunesischen Filmklubs unabhängigen Verein ist. Der Klub wechselt seit sieben Jahren regelmäßig den Ort. Derzeit benutzt er einen Raum in der Nähe der Ruinen des Carthago. Jeden Dienstag werden Filme aller Art gezeigt, die mit dem nationalen Kinoprogramm meistens wenig zu tun haben. Heute sehen wir drei Kurzfilme made in Tunesia. Kaum geht das Licht im Saal wieder an, entfacht sich eine hitzige Debatte unter Filmliebhabern. Hornbrillen, Röhrenjeans, rote Lippen und Baskenmützen geben uns das Gefühl von der schicken, intellektuellen Bohème einer europäischen Hauptstadt umgeben zu sein. Aber die Debatte wird im tunesischem Dialekt des Arabischen geführt. Hier und dort werden ein paar französische Wörter und Ausdrücke eingeworfen. Amel verfolgt die Diskussion zwischen den Filmemachern und dem heiteren Publikum aufmerksam. Später meint sie: „Manchmal habe ich das Gefühl, dass der Film nur der Vorwand für die nachfolgende politische Debatte über den Umschwung ist. Wir würden uns wünschen, dass es anders herum wäre." Die junge Frau mit sanftem und doch kämpferischem Blick ist davon überzeugt, dass das wahre Wesen der Filmklubs verloren geht. Sie hofft, sich der Filmclub bald vom Restmilitantismus lösen wird und wieder die „Liebe zum Kino um des Kinos Willen" in den Vordergrund stellen wird.
Es ist ein Kampf, wenn man in einem Land, in dem die Jahresproduktion an Spielfilmen an einer Hand abgezählt werden kann und es kaum mehr als 100 Kinosäle gibt, von der Filmkunst leben will. Fatma Bchini weiß das nur zu gut. Die 23-järige Medizinstudentin ist die Vorsitzende des ältesten Filmklubs vom Tunis, dem Cinéclub Tunis und Vorstandsmitglied im Dachverband der Filmklubs. „Es ist schon eine Art von Widerstand, in Tunis eine Kinokarte zu kaufen", meint Fatma kategorisch. Sie erzählt voller Begeisterung von den verschiedenen Veranstaltungen der Filmklubs in Tunis und hofft inständig, dass diese Diskussionsräume eine führende Rolle im neuen Tunesien spielen werden. „Wir wollen unbedingt Filmklubs für Kinder ins Leben rufen, um die kommenden Generation vor einer Generalamnäsie zu bewahren. Wir wollen ihnen beibringen, etwas aufzubauen und sich kreativ zu entfalten", meint sie. Derzeit gibt es drei mal mehr Filmklubs als Kinosäle, berichtet Fatma stolz: „Wir erhalten beim Fachverband täglich Gründungsanträge für neue Klubs."
Politik in Kinderschuhen
„Sie waren derat unsympathisch und steif, dass sofort klar war, dass sie vom Geheimdienst sind", spöttelt Maher Ben Khalifa, ein eingefleischter Filmliebhaber und Dauergast der Filmklubs seitdem er neun ist. Geheimdienst? Zivilpolizisten inflitrierten regelmäßig die Vorstellungen und Debatten seines Kinoklubs, um den politischen Puls zu fühlen und festzuhalten, wer was sagte.
Paradoxerweise hat die Staatsmacht diese Dissidenten immer toleriert, wenn auch immer im Auge behalten. Wahrscheinlich einfach deshalb, weil ihre politische Tragweite bei der tunesischen Bevölkerung unbedeutend war. Aber auch, um vor den Augen der westlichen Demokratien den Schein zu wahren. „Eines ist allerdings klar", meint der Maher, der Kommunikationsdesign studiert, „egal ob du politisch engagiert bist oder nicht, in den Filmklubs lernt man debattieren. Und die Entwicklung einer Diskussionskultur ist der erste Schritt in einer Demokratie, die noch in den Kinderschuhen steckt. Du lernst, deine Ideen zu verteidigen und dich zu engagieren."
die Ideenfabrik
Maher ist Mitglied des tunesischen Verbands für Amateurfilmer (Fédération Tunisienne de Cinéastes Amateurs (FTCA), Anm. der Redaktion), mit dessen Unterstützung er als kaum 17-jähriger seinen ersten Kurzfilm gedreht hat. Kari for dogs ist eine Werbepersiflage, die, inspiriert von den gefolterten Gefangenen von Abu Grahib, Werbung für Hundefutter aus Meschenfleisch macht. Maher gibt unbeschämt zu, dass sein erster Ausflug in die Welt der Filmemacher technisch nicht weit am totalen Desaster vorbeigegangen ist.
Seine Erfahrung beschreibt sehr gut, wie die Filmbranche in Tunis funktioniert: die Kinoklubs waren lange Zeit die einzige „Filmschule" für zukünftige Filmemacher im Land. Mehrere Generation von Filmemachern haben dort ihr Handwerk gelernt. Wie einfache Leute, die Lust haben, eine Geschichte zu erzählen. Maher ist heute Vorstandsmitglied der FTCA und meint, dass die Bandbreite der Mitglieder sehr groß sei: „von Studenten, die Technik studieren, über Bäcker bis hin zu Taxifahrern. Unser Prinzip ist einfach. Wir sind der Meinung, dass alle, die es wollen auch Kino machen können sollen." Er fügt noch hinzu, dass auch Minister von Ben Ali Miglieder bei Filmklubs waren.
Der kreative Moment mit wenigen zur Verfügung stehenden Mitteln zwingt zu Einfallsreichtum und Erfindergeist. Man muss nehmen, was man hat. Das gilt für Ideen genauso wie für die Ausrüstung. „Zu Beginn meiner Filmkarriere habe ich zwei Kameras geklaut", erzählt uns der Direktor Sami Tlili nicht ohne Stolz. Noch ein Filmliebhaber, der in seiner Heimatstadt Souss einen Filmklub ins Leben gerufen hat und schließlich selbst Regisseur wurde. Er war zunächst Amateurfilmer und macht sich gerne über große Filmproduktionen lustig: „Wenn irgendwo eine Schraube fehlt, bricht Panik aus und der Dreh wird abgebrochen." Sein erster Streifen, der Dokumentarfilm „Verdammt sei das Phosphat", erzählt den Aufstand der Minenarbeiter von Gafsa im Frühjahr 2008, in dem heute viele den wahren Ursprung des arabischen Frühlings sehen. „Trotz aller Hindernisse, war es die Erfahrung wert. In alternativen Filmkreisen waren wir die Einzigen, die sich des Themas angenommen hatten", stellt Tlili nachdenklich fest. „In der damaligen politische Situation war das System ein wahrer Traumtöter. Das Kino hat uns geholfen unsere Träume zu bewahren."
Dieser artikel ist teil der SPEZIALAUSGABE « EUROMED REPORTER » IN TUNIS. cafébabel Arbeitet hier in kooperation mit iwatch, Search for common Ground und der stiftung anna Lindh. bald findet ihr alle artikel der «EUROMED REPORTER » auf seite eins des magazins.
Translated from Túnez Cinema Club: resistencia en la escena alternativa