Femen-Gründerin Schewtschenko: „Ich habe mich lange geweigert, oben ohne zu demonstrieren“
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Effy GromannDie 22-jährige Feministin aus der Ukraine hat das Femen-Training – das außerdem das Filmset einer Crew von France 2 ist - im Lavoir Moderne, dem Hauptquartier der Organisation im 18. Distrikt von Paris gerade beendet und hat ein paar Minuten Zeit sich mit mir zu unterhalten. Sie ist anfangs recht kuehl und zurueckhaltend, aber erweist sich dann als herzlich und enthusiastisch bei ihren Antworten.
cafebabel.com: Inna, wie entstand Femen?
Inna Schewtschenko: Als wir 2008 damit begannen – also vor fünf Jahren – war die Femen-Bewegung noch etwas ganz anderes. Wir waren eine Mädchenrunde, die sich abends in einem Café traf, Tee trank und erzählte „Ah, er hat mich mal wieder Hure genannt usw.“ Da haben wir beschlossen, dass etwas unternommen werden muss, dass wir etwas unternehmen müssen. Wir fingen an pinke Kleidung zu tragen und versuchten große Demonstrationen auf die Beine zu stellen, mit großen Bannern und Schildern. Das ging ungefähr zwei Jahre so. Aber niemand hat sich für uns interessiert. Niemand hörte uns zu. Während wir von der Öffentlichkeit ignoriert wurden, wuchs unsere Wut immer weiter. Wir sahen wie die Orange Revolution [Proteste zu den Wahlen in der Ukraine 2004/05; A.d.R.]den Bach runter ging und bemerkten, dass die anderen Leute genauso enttäuscht darüber waren wie wir. Gleichzeitig bemerkten wir aber auch, wie schnell man im Land begann die Revolution zu vergessen und befürchteten eine Diktatur in naher Zukunft.
Unsere erste „Oben-ohne“-Aktion war ein politischer Protest. Wir hatten nicht vor, weiterhin so vorzugehen. Ich habe mich lange geweigert, „oben ohne“ zu protestieren. Das war nicht meine Art. Aber andererseits fiel es uns immer schwerer, die Lage im Land weiter zu ertragen. Somit entschlossen wir uns für etwas wirklich Radikales. Wir waren nicht bereit, zu den Waffen zu greifen, also sagten wir uns: Das hier ist meine Waffe, ich trage sie immer bei mir. Ich werde sie als eine schlagkräftige Waffe nutzen und ihnen Angst machen. Am nächsten Tag fiel uns auf, dass dies die erste feministische Demonstration in der unabhängigen Ukraine war! Wir erhielten Aufmerksamkeit von Menschen aus aller Welt. Uns wurde klar, dass es so tatsächlich funktionieren könnte.
cafebabel.com: Wann seid ihr nach Paris umgezogen?
Inna Schewtschenko: Wir hatten das ursprünglich nicht geplant. Ich musste nach der Kreuz-Zerstörung aus dem Land fliehen. Nach der Flucht verbrachte ich einige Zeit in Polen, dort konnte ich weiter nachdenken über die Zukunft der Bewegung. Was wäre der strategisch am besten gelegenste Ort?
Und hier bot sich Frankreich an. Wir hatten damals viele Unterstützer im Land und viele Aktivisten warteten nur auf uns. Außerdem, wenn man Feminismus weiterentwickeln und neu gestalten will, dann stellt sich Frankreich als einzig logische Alternative dar.
cafebabel.com: Womit beschäftigst du dich heute, abgesehen von deinem Engagement als Aktivistin?
Inna Schewtschenko: Heutzutage habe ich nur meine Existenz als Aktivistin. Natürlich war das nicht immer so. Manchmal, wenn ich nachts die Augen schließe, dann frage ich mich, wie es wäre, eines Morgens aufzuwachen und es gäbe keine Femen-Bewegung. Was würde dann aus mir? Ich wäre nichts ohne sie (lacht). Ich habe keine anderen Interessen, ich kann mir auch nicht vorstellen, etwas anderes zu machen. Ich kann mich voll und ganz mit meiner Tätigkeit hier identifizieren.
cafebabel.com: Hast du auch männliche Freunde? Oder haben alle Männer Angst vor dir?
Inna Schewtschenko: Ich weiß nicht – da müsst ihr die Jungs fragen! Ich habe nicht viel Zeit für Männer. Ich gehe privat eigentlich keine längerfristigen oder ernsthaften Beziehungen ein. Das ist meine Wahl. Natürlich gibt es Männer, die verschreckt flüchten und die nicht unterstützen oder verstehen, was ich mache. Aber ich habe keine Probleme mit den Jungs in meinem Umfeld – denn es gibt auf jeden Fall Männer die meine Arbeit unterstützen und akzeptieren. Es gibt viele Männer, die die Femen-Bewegung mittragen und uns helfen.
cafebabel.com: Du hast mal gesagt, dass euch die Aktionen helfen „die zugestandene Freiheit in den verschiedenen Staaten zu prüfen“. Wie ist die Lage in Frankreich?
Frauen schreiben in Frankreich Bücher, weil sie sonst nichts mehr zu tun haben.
Inna Schewtschenko: Wenn man aus der Ukraine kommt, dann kennt man bis dato nur dieses perfekte Zerrbild des Landes, dass es sehr freiheitlich und feministisch ist, dass Frauen hier schon alles erreicht haben, dass kein Änderungsbedarf mehr besteht. Deshalb schreiben Frauen hier Bücher – weil sie sonst nichts mehr zu tun haben. Wenn man in Osteuropa lebt, dann erwartet man von Frankreich ein perfektes Leben wie im Himmel. Und wenn man dann tatsächlich hier ankommt, dann versteht man erstmal nicht, dass es eben nicht perfekt ist. Das ist verwirrend. Ja, man stellt es sich besser vor als es tatsächlich ist.
Denn als wir mit unseren Aktionen begannen, an der scheinbar perfekten Oberfläche zu kratzen, da fingen wir an zu verstehen, dass die Frage der Säkularisierung reine Theorie ist. Wenn ich mich mit den Mädels unterhalte, höre ich auch hier Geschichten von Männern, die ihnen an den Po grapschen; die ihnen Sex im Tausch für einen Cocktails vorschlagen. Deswegen versuchen wir zu erklären, dass es bis heute keine Gesellschaft gibt, in der Männer und Frauen tatsächlich gleichgestellt sind. Ich kann Frankreich und die Ukraine aber auch nicht vergleichen. Sie sind zu weit voneinander entfernt. Es gibt so viele Dinge, die in Frankreich bereits erzielt wurden, die einen stolz darauf machen, dass man in diesem Land ist. Aber wir wollen die Welt nicht durch eine rosarote Brille sehen – wir wollen weiter dranbleiben.
cafebabel.com: Erhältst du auch Drohungen?
„Scheiß Femen, ihr seid eine Schande für die Frauen und die Welt“
Inna Schewtschenko: Ja, gestern, bevor ich ins Bett ging, habe ich eine SMS gekriegt, gesendet von einer französischen Nummer (sie zeigt mir ihr Handy) „Verreckt!“; „Scheiß Femen, ihr seid eine Schande für die Frauen und die Welt“; „Fick dich Inna, am Tag, an dem du stirbst, werde ich eine Flasche Champagner öffnen!; „Ich hoffe du stirbst bald“. So sieht's aus (lacht).
cafebabel.com: Schüchtert dich das nicht ein?
Inna Schewtschenko: Unser bester Schutz sind die Aktionen und unsere Aktivitäten. Bis dato haben wir immer weiter gemacht und das hat uns geschützt. Denn unsere Gegner werden somit eingeschüchtert. Ich weiß, dass man mich vielleicht umbringen wird. Aber im Endeffekt ist es die Wahl jedes einzelnen und wir denken alle darüber nach. Einmal war ich bereits in der Situation, in der ich mich darauf gefasst machte, sterben zu müssen. Das war in Weißrussland und dauerte 24 Stunden. Man blickt dann auf sein Leben zurück. Dabei habe ich festgestellt, dass ich nichts bereue und dass ich nichts an meinem Leben ändern moechte, nur um zu überleben. Wenn sie versuchen uns umzubringen, dann zeigt das nur, wie sehr sie uns fürchten und welch großes Potenzial in unserer Arbeit steckt.
Illustrationen: Teaser ©offizielle Facebook-Seite Inna Schewtschenko; Im Text: Inna in Frankreich ©Alexandra Kuderski; Video (cc)BanyanHell/YouTube
Translated from Inna Shevchenko: ‘I was against being topless for a long time’