Euroskepsis: Dinge, die ich an Europa hasse
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Anne DenkingerUnbezahlte Praktika, Recycling-Hype, der EU-Doppelsitz in Brüssel und Straßburg… Europa ist nicht immer rosig. Zum Europatag sagt die cafebabel-Community auch mal, was sie an der EU nervt. An ebendiesem Europatag - dem 9. Mai 2010 - wird der Schuman-Plan, mit dem Frankreich und Deutschland die gemeinsame Kohle- und Stahlproduktion besiegelten, 60 Jahre alt.
Fast religiöser Euro-Enthusiasmus in Frankreich
„Ich könnte wirklich euroskeptisch sein: Der französische Durchschnitts-Europaenthusiast macht mich krank! Das sind regelrechte Christen, die in derselben Weise an die Europäische Union glauben, wie sie an Gott glauben - fast religiös. Es gibt immer eine Erklärung oder Entschuldigung, wenn in der EU mal wieder etwas schief läuft. Im Allgemeinen ist die EU immer besser als Frankreich. Und „mehr Pädagogik“ sei das Allheilmittel für jedes Problem. Diese Haltung hat in der Tat einen totalitären Nachgeschmack. Vor allem aber könnte ich euroskeptisch sein, weil die EU, offen gesagt, keine Demokratie ist. Zumindest nicht im Sinne von „repräsentativer Demokratie“. Einige politische Prinzipien sind in Verträgen festgelegt, aber das passiert nicht immer im gegenseitigen Einverständnis. Und wir wissen wie Verträge geschlossen und überdacht werden. Die Art selbst, wie der Vertrag von Lissabon in Frankreich angenommen wurde, ist Grund genug euroskeptisch zu sein.“
(Aymeric, Frankreich)
„Kein internationaler Akteur“
„Die Europäer haben genug von der Idee eines machtlosen Europas. Bei vielen internationalen Treffen, wie beispielsweise dem UN-Klimagipfel im Dezember 2009 in Kopenhagen, hat die EU keine einheitliche Stimme. Leider glaubt nicht jeder Premierminister an ein starkes Europa (und die meisten sind daran auch nicht interessiert, da sie so an Macht verlieren würden), also verhandeln sie ihre persönlichen Interessen hinter verschlossenen Türen. Dafür muss man sich nur das Beispiel des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy ansehen, der mit Lula Da Silva [dem aktuellen Präsidenten Brasiliens, A.d.R.] in Kopenhagen fast eine Weltumweltorganisation gegründet hätte.“
(Pablo, Spanien)
„Lästiger Doppelsitz“
„Ich bin Tscheche und definitiv nicht euroskeptisch, aber was mich wirklich verrückt macht im Bezug auf die EU, ist der Sitz des Parlaments in Straßburg. Ich habe im Zuge des Erasmus-Programms in Straßburg studiert, daher weiß ich, wie leer das Gebäude während der Sitzungen ist. Geld um dahin zu reisen ist herausgeschmissenes Geld. Außerdem verstehe ich die Gemeinsame Agrarpolitik nicht. Warum sind Subventionen für französische Bauern so hoch, wenn ihre Produkte so teuer sind? Lasst uns die Verträge umschreiben; ein Land (Frankreich, um genau zu sein) kann nicht die Wünsche von 26 anderen ignorieren.“
(Jakub, Tschechien)
„Soziale Kluft“
„Wir rühmen uns mit aufgeklärten Prinzipien, wie zum Beispiel unserer Vielfalt, aber ich sehe keinen Wandel von oben, keine Bemühungen, etwas an der sozialen und wirtschaftlichen Kluft zwischen Arm und Reich zu ändern. Die Regierungen in vielen Ländern, wie in Irland, wo ich vier Jahre lang gelebt habe, lassen die Leute horrende Wasserrechnungen zahlen, nur weil die Regierung nichts investiert hat, um die Wasserleitungen, die noch aus der Viktorianischen Zeit stammen und in jedem kalten Winter platzen, zu erneuern. Dann wird gesagt, dass wir Geld brauchen um die Krise zu finanzieren, um ihrer Fehler wieder gut zu machen und wir zahlen um die Banken zu retten, die wild spekuliert haben. Sie nehmen das Geld einfacher Leute und geben es an die großen Banken während die großen Unternehmen immer noch eine unglaublich geringe Summe an Unternehmenssteuer zahlen müssen.
Außerdem mag ich es nicht, wie alle Leute plötzlich ganz besorgt sind um unsere Umwelt, obwohl niemand wirklich sehen kann, ob all das Recycling wirklich einen Unterschied macht. Ich habe keine einzige Recyclinganlage in Irland oder Spanien (woher ich komme) gesehen. Existieren die wirklich? Oder wird der ganze Müll nur verbrannt oder verkauft? Ein weiterer Sektor, in den Geld gesteckt werden müsste und wo neue Jobs entstehen könnten.“
(Patricia, Spanien)
„Praktikanten und Osterweiterung“
„Über die EU wird gesagt, dass sie uns neue Jobs bringt, besonders den jungen Leuten. Aber es ist sehr schwierig in die Institutionen hineinzukommen und wenn, sind die Praktika kurz und unbezahlt. Ich würde lieber hart für ein privates Unternehmen arbeiten, das mich bezahlt und mich fördert. Schon aus Prinzip sollte die EU ihre Praktikanten bezahlen, weil sie Europas Zukunft sein werden. Ich dachte zu den europäischen Werten gehöre es, die Bürger zu respektieren - und sie lassen uns umsonst arbeiten? Ich werde im Juni für die EU-Kommission in London arbeiten und anschließend für eine Expertenkommission im Bereich kulturelle Diplomatie, die stark mit den EU-Institutionen vernetzt ist. Keiner der Praktikanten dort wird bezahlt, selbst ich nicht, obwohl ich den ganzen Sommer dort arbeite.
Mit 27 Ländern ist die EU außerdem zu groß geworden im Vergleich zu ihren Anfängen 1957/1992. Die EU-Osterweiterung hat unsere Wirtschaft verlangsamt und vor allem unsere Glaubwürdigkeit und Entscheidungsmöglichkeiten verringert. Es sind einfach zu viele Staaten, um klare Entscheidungen treffen zu können.
Wirtschaftlich gesehen wiegt Westeuropa auch schwerer. Wir akzeptieren immer mehr und mehr Mitgliedsstaaten um a) die USA zu schlagen und b) strategisch auf der Weltbühne agieren zu können. Nur ein Beispiel: Die Türkei würde uns helfen, mit dem Mittleren Osten zu kommunizieren. Ursprünglich war die EU eine kulturelle, ideologische und wirtschaftliche Vereinigung. Heute geht es viel zu sehr um Taktik.“
(Aurelia; Großbritannien/ Frankreich)
Fotos: ©Kinnéidigh Garrett/flickr
Translated from French, Spanish, Czech and British youth on euroscepticism