Ethnische Quotenregelung: ein überholtes Tabu?
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christiane witekEthnische Quoten oder positive Diskriminierung: Beides Ausdrücke, die oft Zähneknirschen verursachen. An diesem Thema scheiden sich in Frankreich und auf der anderen Seite des Ärmelkanals die Geister.
Integrieren, um die Immigranten zu verstehen: Seit Jahren denken sowohl Großbritannien als auch Frankreich über grundsätzliche Vorgehensweisen und Lösungsansätze einer sinnvollen Integration von Einwanderern nach. Beide Länder nähern sich dem Thema auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Während man in Frankreich noch skeptisch auf ethnische Quotenregelung und die damit verbundene positive Diskriminierung blickt, ist Großbritannien Vorreiter auf dem Gebiet - trotz zahlreicher Probleme.
Zögerliches Frankreich
Seit einigen Jahren diskutiert Frankreich die Frage ethnischer Quoten. Die Idee provoziert bei vielen Zähneknirschen. Die Quoten sollen kulturell bedingte Ungleichbehandlungen und Diskriminierungen beheben. Die Aufnahme außereuropäischer Bevölkerungsgruppen hat sowohl bei den Briten als auch in Frankreich Tradition. Trotzdem, so scheint es, treten in der französischen Gesellschaft immer häufiger Integrationsschwierigkeiten auf.
Nach Patrick Simon, Forscher für Bevölkerungsentwicklung am Nationalen Institut für demografische Studien (INED), ist völlig klar, dass ethnische Statistiken "solange verboten sind, wie sie nicht präzise begründet werden können. Bei uns existiert ein historisches Misstrauen im Hinblick auf die so genannte kulturspezifische Datenerhebung. So etwas erinnert immer an die Schatten der Vergangenheit: die Judenregistrierungen unter Vichy oder auch die kolonialen Statistikerhebungen am Ende der Rassenverfolgungen. Es erinnert an Ausschluss und Diskriminierung! Tatsächlich handelt es sich aber um europäisches Recht - namentlich um die EU-Richtlinie 95 -, die die französische Integrationspraxis bestimmt. Selbige stuft spezifisches Informationsmaterial zu Kultur und ethnischem Hintergrund überhaupt erst als sensibles Datenmaterial ein. Wir sind also, im Vergleich zu anderen Ländern, weder über- noch unterdurchschnittlich streng."
Ethnische Quoten hängen demnach in Frankreich genau im selben Maße mit der berühmten positiven Diskriminierung zusammen, als auch in anderen Ländern. Die positive Diskriminierung bezeichnet die Gesamtheit der Maßnahmen, die einer ethnischen Bevölkerungsgruppe bewusst Vorteile zugestehen, um Benachteiligung zu verhindern. Das Prinzip scheint in Frankreich jedoch absolut fehl am Platz, denn es beinhaltet die Möglichkeit, die Gleichheit aller vor dem Gesetz wenigstens temporär aufzuheben und damit ein grundlegendes Prinzip der französischen Verfassung zu entkräften.
Für den Anwalt Patrick Klugman, Mitglied im Repräsentativen Rat der jüdischen Institutionen Frankreichs (CRIF) und Vize-Präsident der Vereinigung SOS Racisme, beruht "die positive Diskriminierung auf willkürlichen Klassifikationen, die Frustration bei den Menschen verursachen. Keine Identitätskategorie ist völlig begründet oder zutreffend. Somit müsste sich die durch diese Kategorien begünstigte, farbige Bevölkerung entscheiden: Stammt ihre Familie aus Afrika oder von den Antillen? Sind sie Muslime oder Katholiken? Ganz zu schweigen von den Problemen, die sich aus den Schnittmengen der einzelnen Kategorien ergeben…"
Frankreich will versuchen die Probleme seiner Einwanderer besser zu begreifen. Zu diesem Zweck richtete das Land gleich mehrere neue Institutionen ein: eine Agentur zum Empfang von Immigranten, die Nationale Agentur zur Chancengleichheit, oder die Hohe Instanz zum Kampf gegen Diskriminierung und für Gleichheit (HALDE). Trotz dieser zahlreichen Initiativen hat man das eigentliche Problem jedoch noch lange nicht in den Griff bekommen.
Großbritannien: Anhänger der gesteuerten positiven Diskriminierung
Auf der anderen Seite des Ärmelkanals hat Großbritannien einen anderen Weg eingeschlagen. Grundlegend dafür war die Abstimmung zum "Race Relations Act" von 1976. Dieses Gesetz verpflichtet alle Arbeitnehmer sowie Angestellte öffentlicher Einrichtungen, sich gegen Ungleichbehandlung und jegliche Form der Diskriminierung zur Wehr zu setzen. Die Idee der positiven Diskriminierung setzt sich mehr und mehr durch und orientiert sich dabei an dem, was in den USA bereits gängige Praxis ist.
Auch die Beobachtung ethnischer Bevölkerungsgruppen spielt eine zunehmende Rolle im Rahmen des britischen Integrationssystems. Großbritannien sichert das ethnische Quotensystem zwar zu, allerdings unter strengen Auflagen. Für Politikwissenschaftler John Crowley "zeigen sich aber bereits jetzt die Grenzen dieser ethnischen Beobachtung. So ist es zum Beispiel verboten - in Anbetracht der Islamphobie der britischen Bevölkerung - Muslime zu zählen. Und was ist mit den Kosten ethnischer Statistiken, gerade für kleine Unternehmen? Auch der Nutzen solcher zweifelhaften Messungen scheint fragwürdig. Lassen sich ethnische Statistiken also überhaupt sinnvoll erheben?", fragt sich Crowley.
Eine Untersuchung des Pew Instituts vom letztem Sommer zeigt, dass sich 81 Prozent der britischen Muslime zuerst ihrer Glaubensgemeinschaft zugehörig fühlen, bevor sie sich in einem zweiten Schritt als Bürger des Landes bezeichnen. In Frankreich sind es nur 41 Prozent.
Die Einführung ethnischer Quoten ist demnach ein komplexes Problem, das nach progressiven Vorschlägen und Lösungsansätzen verlangt. Ein möglicher Ansatz in der Arbeitsmarktpolitik könnte zum Beispiel der anonyme Lebenslauf sein. Dieser würde den Arbeitgebern eine objektive und vorurteilsfreihe Einstellungspolitik ermöglichen.
Translated from Quotas ethniques : un tabou dépassé