Einwanderer in Großbritannien: Feiern statt verteufeln
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Lea CyrusKurz vor den Wahlen im Mai versucht eine Posterkampagne in London die weit verbreitete einwanderungsfeindliche Rhetorik in Großbritannien infrage zu stellen.
In einer Rede in einer Fabrik in Staffordshire versprach der britische Premierminister David Cameron, er werde im Falle seiner Wiederwahl verhindern, dass EU-Einwanderer in den ersten vier Jahren nach ihrer Ankunft in Großbritannien Sozialleistungen, einschließlich Sozialwohnungen und Kindergeld, in Anspruch nähmen. Das war im November 2014. Cameron stützte sein Versprechen auf die Entscheidung, die der Europäische Gerichtshof einen Monat zuvor getroffen hatte. Diese ermöglicht es Regierungen, Bürgern anderer EU-Staaten Sozialleistungen zu verweigern, falls diese "allein mit dem Ziel in den Genuss von Sozialhilfe zu kommen" in ein anderes Land gezogen seien.
Seit Beginn der europäischen Finanzkrise hat sich Großbritannien zu einem attraktiven Ziel für arbeitslose Europäer, insbesondere aus süd- und osteuropäischen Ländern, entwickelt, die auf der Suche nach Jobs außerhalb der stagnierenden Eurozone sind.
Jüngere Studien weisen jedoch darauf hin, dass die britische Wahrnehmung von Immigranten verzerrt ist. Es bestehe eine gewisse Bereitschaft, Einwanderer zu diskriminieren, die auf der Wahrnehmung beruht, dass diese Zugang zu Sozialleistungen haben und offensichtlich vom Staat und öffentlichen Dienst unterstützt werden. Dieses Argument, das sich aus einem gewissen Sinn für Gerechtigkeit und für Rechte der eigenen Bevölkerung speist, verstärkt die Ansicht, dass Immmigranten der "Ursprungsbevölkerung" sogar noch vorgezogen werden.
Einwanderungsfeindliche Parteien, wie zum Beispiel die British National Party (BNP) und die UK Independence Party (UKIP) haben seit ihren Anfängen den Frust der Öffentlichkeit dazu genutzt, eine heftige rassistische und fremdenfeindliche Rhetorik anzuheizen.
Diese Art des Rassismus konzentriert sich darauf, Abneigung zu kultivieren. Die Menschen werden dazu verleitet zu glauben, Immigranten hätten ihnen etwas weggenommen. Das können Jobs, Sozialleistungen oder auch nur öffentliche Unterstützung sein. Es entsteht das Gefühl, bei diesen "Outsidern" und "Eindringlingen" handle es sich um "Schmarotzer", die "unverdient" profitierten.
Es gibt weitere Studien, die darauf hindeuten, dass insbesondere die Arbeiterklasse und die Mittelschicht zu einem von Ressentiments geprägten Nationalismus neigen, da sie sich seit Dekaden auf einem Abwärtspfad befänden.
Während die Popularität der BNP schwindet - bei der Europawahl 2014 gewann sie nur 1,09% der Stimmen und damit 4,95% weniger als 2009, was ihr den Verlust ihrer beiden Sitze im Europaparlament einbrachte - befindet sich die UKIP im Aufwärtstrend: in der Europawahl konnte sie 4,3 Millionen Stimmen auf sich vereinigen und ist laut Umfragen für die Parlamentswahl im Mai weiterhin auf dem Weg nach oben.
Rechtsruck in Großbritannien
Indem sie den EU-Austritt zur einzigen Möglichkeit erklärt, dem Strom von EU-Immigranten und den damit verbundenen ,Unannehmlichkeiten' ein Ende zu bereiten, hat die UKIP mit ihrer Popularität die beiden größten Parteien Großbritanniens - die Labour Party und die Conservative Party - zu einem Rechtsruck in ihren Einstellungen zur EU und zu Einwanderungsfragen gezwungen.
Eine Eurobarometerumfrage vom November 2014 hat ergeben, dass Einwanderung aus anderen EU-Mitgliedsstaaten bei der Mehrheit der britischen Befragten (52%) negative Gefühle auslöst, ähnlich wie auch die Einwanderung von Menschen aus Ländern außerhalb der EU (57%).
Obwohl etwa drei von vier Briten eine Einwanderungsbeschränkung begrüßen würden, haben Umfragen ergeben, dass die meisten Einwanderungsgegner selbst keinerlei schlechte Erfahrung mit Immigration haben. Tatsächlich ist es so, dass Menschen aus Gegenden mit großem Einwandereranteil am seltensten Position gegen Immigranten beziehen. Das enge Zusammenleben mit Einwanderern scheint also gar nicht so schimm, wie immer dargestellt wird.
Ehrgeizige Einwanderer
Einwanderer machen einen großen Teil der britischen Bevölkerung aus: 2012 hatten bis zu 12,4% der Einwohner einen ausländischen Geburtsort (+1%, wenn man auch nicht erfasste Migranten mit einbezieht), und 7,8% waren ausländische Staatsbürger (obwohl Briten diese Zahl fälschlicherweise höher einschätzen). Im Ausland geborene Menschen machten 2011 37% der Bevölkerung von Greater London aus (was unter allen Regionen mit vergleichbaren Daten der höchste Anteil ist).
Es ist also nicht weiter übrraschend, dass Einwanderung in sämtlichen politischen Debatten oben auf der Agenda steht und ein zentrales Thema im Vorfeld der Wahlen im Mai darstellt.
Laut Stephen Tall, Herausgeber der führenden unabhängigen Website für Anhänger der Liberal Democrats (Liberal Democrat Voice), habe die Einwanderung "das Wirtschaftswachstum in London angegtrieben und ist wahrscheinlich [teilweise] für die enorme Verbesserung der dortigen Schulsituation im Laufe der letzten zehn Jahre [verantwortlich], was London zu einer der erfolgreichsten Bildungshauptstädte der Welt gemacht hat - zum Teil ist das den ehrgeizigen Bestrebungen der Einwanderer zu verdanken, die sich hier niedergelassen haben."
Genau diese Auffassung soll durch die Bewegung gegen Fremdenfeindlichkeit (Movement Against Xenophobia - MAX) gefördert werden. Die Gruppe hat es sich zum Ziel gesetzt, mittels Crowdfunding eine Kampagne zu realisieren, die veranschaulicht, dass Einwanderer "nicht nur ihren Beitrag leisten, sondern ein wesentlicher Teil der britischen Gesellschaft und eines multikulturellen Großbritanniens sind."
Die Poster werden im Vorfeld der Parlamentswahlen landesweit an Bahnhöfen und U-Bahn-Stationen ausgehängt und sollen den Einfluss der Einwanderung auf das Leben in Großbritannien "feiern, statt zu verteufeln". Dafür werden echte Menschen aus unterschiedlichen Berufsgruppen abgebildet. Ziel der Aktion ist es, "einen offenen und integrativen Dialog über Einwanderungspolitik zu eröffnen, der auf Menschenrechten und Gleichheit gegründet ist."
In derselben Rede vom November 2014 hatte Cameron sich übrigens auch lobend über Einwanderer geäußert: Großbritannien sei so, wie es sei, gerade wegen, und nicht trotz der Einwanderung. Um diese Offenheit und Multikulturalität zu erhalten, müssten auch Einwanderer eine Stimme haben sowie einen Platz in der Gesellschaft, in der sie leben, arbeiten und zu der sie ihren Beitrag leisten.
Translated from Immigrants in the UK: vilified or celebrated?