Ehrenamt: Freiwillig in Europa unterwegs
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Ein Berliner Nordlicht unterwegs mit dem „Spümo“, eine Portugiesin, die in Polen zum Lesen animiert, Patientenpflege in der Slowakei und Nähkurse für Analphabeten in Nancy: Europas Freiwillige plaudern aus dem Nähkästchen.
Christiane, 28 Jahre, Berlin
Der Rest war männlich und zivildienstleistend!
Als geborenes Großstadtkind war ich mit 18 Jahren von der romantischen Vision besessen, einmal am Meer leben und „nebenher“ etwas für die Umwelt tun zu wollen. Das „nebenher“ entwickelt sich natürlich zur Hauptbeschäftigung, wenn man sich für ein ‚Freiwilliges Ökologisches Jahr‘ auf der Insel Föhr in der Nordsee entscheidet. Ich teilte mir meine erste WG mit Blick auf das Meer mit einer anderen FÖJlerin. Sie war das einzige weibliche Lebewesen in meinem Alter weit und breit; der Rest war männlich und zivildienstleistend. Die Aufgaben bei meinem Arbeitgeber Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) waren klar definiert: im Sommer Wattführungen für Kinder und Geschirrmobileinsätze am Wochenende (extra bezahlt). Das sogenannte „Spümo“ war ein Anhänger, den mein Chef zum Fischmarkt oder zu Feuerwehrfesten fuhr und auf dem ich das dreckige Geschirr spülte. Den Geruch von Ketchup, Senf und Fisch an den Händen wurde ich den ganzen Sommer lang nicht mehr los.
Im Winter wurden Zäune repariert, Projekte geplant und Wattkartierungen und Vogelzählungen mit den Zivis gemacht. Bis dahin konnte ich nicht einmal eine Gans von einer Ente unterscheiden. Nun erkannte ich Nonnengänse und Lachmöwen an ihrem merkwürdigen Geschrei. Im Frühjahr ging die Saison mit dem Aufbau des Krötenzaunes los, der entlang der einzigen Schnellstraße die wandernden Kröten vor dem Unfalltod schützen sollte. Ökologisches Engagement auf Föhr ist ein politisches Statement; einige Anwohner sehen die Arbeit der Naturschützer als Eingriff in die Traditionen. Neben diesen verschiedenen politischen Positionen, der Flora und Fauna des Wattenmeeres und was ich als Einzelperson tun kann, um meine Umwelt so wenig wie möglich zu belasten (immer den Deckel auf den Topf!), lernte ich vor allem: das Leben kennen…und selbstständig zu arbeiten und mit Menschen zu kommunizieren. In meiner jetzigen Arbeit als Projektassistentin im Kulturbereich mache ich eigentlich nichts anderes.
Cândida Salgado Silva, 28 Jahre, Portugal
Ich habe mich schon zu Schulzeiten in unserer kleinen Stadtgemeinde engagiert. An der Universität wurde ich dann aktive Ehrenamtliche in der Studentenbewegung und im politischen Bereich. Nach meiner fünfjährigen akademischen Ausbildung an einer juristischen Fakultät in Portugal habe ich mir ein Jahr lang eine Auszeit genommen, weil ich unbedingt im Ausland sozio-kulturelle Freiwilligenarbeit leisten wollte. Der Europäische Freiwilligendienst (EFD), der von der Europäischen Kommission finanziert wird, war eine einmalige Gelegenheit, die ich mir nicht entgehen lassen wollte. In Olsztyn, einem Ort im Nordosten Polens, habe ich an einem Projekt mitgearbeitet, das Jugendlichen den Zugang zu einer multimedialen Stadtbibliothek ermöglicht. Sie dient nicht nur als gewöhnliche Bibliothek, sondern auch als Mehrzweckraum für Workshops, Kurse und Festivals. Zusammen mit einheimischen Freiwilligen hatte ich die Aufgabe, Veranstaltungen zu konzipieren und zu leiten, die das Interesse und das Wissen junger Leute auf kultureller, politischer, sozialer und sprachlicher Ebene erweitern sollten.
Als Freiwillige zu arbeiten bedeutet, der Gesellschaft etwas zu geben und über seinen engen Horizont hinaus zu schauen. Es geht darum, sich innerhalb einer Gemeinschaft zu engagieren und etwas zu ihrem Wohl beizutragen. Es bedeutet, dass man offen ist und auf Solidarität Wert legt. Es heißt auch, dass man seine Rolle als Bürger und aktiv Handelnder in der Entwicklung unserer Welt wahrnimmt.
Freiwilligenarbeit ist ein Teil meiner Persönlichkeit.
Sie hat mein Leben nicht verändert, aber sie ist ein Teil meines Lebens. Die ehrenamtliche Tätigkeit hat zweifelsohne mich als Person und meinen Lebenslauf bereichert, indem ich Berufserfahrung gesammelt habe, die ich sonst nicht bekommen hätte. Jetzt arbeite ich im European Volunteer Center, einem europäischen Netzwerk aus Freiwilligenzentralen, die zusammen arbeiten, um das Ehrenamt zu stärken.
Milan Mikuš, 68 Jahre, Slowakei
Nach seiner Pensionierung widmete Milan seine Zeit der Begleitung von Patienten in einem Hospiz. Seit fast einem Jahr ist er nun ehrenamtlich tätig. „Ich bin auf eine Anzeige der Freiwilligenorganisation „Vŕba“ (Weide) gestoßen, während ich in der katholischen Zeitung las. Ich habe mich als Freiwilliger eingetragen, um Krebspatienten zu helfen, wurde aber abgelehnt, weil sich der Aufruf nur an Leute richtete, die in Bratislava wohnen. Es freute mich jedoch zu hören, dass ein Hospiz in meiner Stadt auch nach Freiwilligen suchte und dass ich mich dort nützlich machen konnte.
Weil ich beruflich im technischen Bereich gearbeitet habe, hatte ich vor, mit Hausmeistertätigkeiten zu helfen. Nachdem ich mich ein paar Mal mit der Krankenpflegerin getroffen hatte, die die Freiwilligenarbeit koordiniert, schlug sie vor, ich könne versuchen, immobile Patienten zu begleiten. Sie stattete mich mit der einschlägigen Literatur aus und ich begann nachzuforschen. Ich war nicht sicher, ob ich der Aufgabe gewachsen sein würde, aber so etwas muss man ausprobieren, um herauszufinden, ob man es kann. Zusammen mit anderen Ehrenamtlichen habe ich an kurzen aber sehr nützlichen Fortbildungen teilgenommen, die von der Krankenpflegerin organisiert wurden. Nach einigen Tests fanden wir heraus, auf welcher psycho-emotionalen Ebene wir waren, und von da aus konnten wir unsere Persönlichkeit weiter entwickeln.
Mir wurde die Aufgabe übertragen, einen Komapatienten zu betreuen. Dank der Bücher und Informationen aus dem Internet konnte ich mehr über das menschliche Leben und seinen Wert erfahren. Ohne die Gelegenheit, als Freiwilliger zu arbeiten und den hilflosesten Menschen zu helfen, hätte ich nur an der Oberfläche des enormen Wissens über das menschliche Leben gekratzt. Das Ehrenamt bereichert mich und gibt mir ein gutes, nützliches Gefühl. Ich bin wirklich dankbar für diese Gelegenheit.
Im September 2008 habe ich in Slowenien an einem Austauschprogramm für ältere Ehrenamtliche teilgenommen, das „An die Zukunft denken - gemeinsam Freiwilligenarbeit leisten“ hieß. Das hat mir gezeigt, dass Freiwilligenarbeit ganz verschiedene Tätigkeiten bedeuten kann. Ich war besonders von den Aktivitäten einer Seniorengruppe in der slowenischen Ortschaft Škofja Loka und von dem Programm des Roten Kreuzes zur Unterstützung von Obdachlosen angetan.
Ich möchte denen, die es schlechter haben als ich, helfen.
Ich möchte denen, die es schlechter haben als ich, helfen. Sich freiwillig zu engagieren bedeutet, dass man jenen hilft, die wirklich Unterstützung brauchen. Ich kann nicht behaupten, dass es mein Leben vollständig verändert hat. Aber indem ich meine Zeit mit Leuten verbringe, die auf den Tod warten, merke ich mehr, wie sich jedes einzelne Leben seinem Ende nähert, und ich weiß die alltäglichen Dinge in meinem eigenen Leben mehr zu schätzen.
Zeliha, 24 Jahre, Nancy
Die Freiwilligenarbeit stellt keine Berufung dar, sondern ein quasi obligatorisches Übergangsstadium vor dem berufsmäßigen Engagement bei einem Verein. Über viele Monate hinweg hat Zeliha ihr Studium „Französisch als Fremdsprache“ (FLE) und ihre Mitarbeit in einem Verein unter einen Hut gebracht. Seit über zwei Jahren jongliert sie mutig mit beidem: „Zuerst habe ich mich in einem sozialen Zentrum engagiert, in dem ich Nähkurse für Analphabetinnen gegeben habe. Das war bereichernd und hat mir Professionalität gebracht, weil es mir dazu verholfen hat, mein Studium anders anzugehen und zu begreifen, dass es auch vor Ort nützlich ist.“
Wir waren noch nicht bereit und hatten zu wenig Anleitung.
Durch zufällige Bekanntschaften geriet Zeliha an einen kleinen Nachbarschaftsverein (ESAF), der sich „für die Teilhabe an und die Förderung von Schulbildung“ einsetzt und bei dem sie zeitweise mitarbeitet. Nach nur sechs Monaten hat sie sich auf die Organisation eines Solidaritätsprojektes in Marokko gestürzt. „Ich habe das Vereinswesen und seine Rädchen nicht gekannt. In diesem Bereich habe ich am meisten dazugelernt.“ Allen, die sich ohne Vorerfahrung spontan bei großen humanitären Projekten engagieren wollen, rät die jetzige Angestellte desselben Vereins, „sich erst einmal auf lokaler Ebene einzubringen, bevor man sich in Projekten zur internationalen Solidarität engagiert“. Und das aus gutem Grund, muss man sich doch neben vielen Kniffen auch auf die verschiedenen Akteure einstellen: die Institutionen, die professionellen Sozialarbeiter, die Freiwilligen. Denn guter Wille allein genügt nicht und Zeliha hat das erkannt, als eines ihrer Projekte nicht zustande kam: „Wir waren noch nicht bereit und hatten zu wenig Anleitung.“
Zeliha hat einen Vertrag im Rahmen der Programme zur Beschäftigungsförderung (CAE). Für 24 Stunden pro Woche (bezahlt, nicht gearbeitet) erhält sie den französischen Mindestlohn „Smic“ (8 Euro 71). Auch wenn es am Monatsende zuweilen knapp aussieht, lautet ihr Fazit alles in allem: „Diese Freiwilligenjahre waren auf persönlicher Ebene keine vergeudete Zeit, ich habe viel gelernt und in beruflicher Hinsicht habe ich sehr davon profitiert.“
Translated from Portraits of trans-generational volunteers