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„Die Statistiken zeigen nicht die ganze Wahrheit“

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In einem Interview mit café babel erklärt Johnny Munkhammar vom schwedischen Think-Tank „Timbro“ warum das skandinavische Modell kein Patentrezept ist.

Sie glauben, dass das schwedische Sozialstaatsmodell Wachstum und Fortschritt einschränkt. Warum?

Schweden hatte von 1890 bis 1950 die zweihöchste Wachstumsrate der Welt. Doch seit der Steuersatz von 20% (1950) auf 50% (1980) angestiegen ist, geraten wir in Verzug. Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) war Schweden gemessen am Pro-Kopf-Einkommen 1970 das viert reichste Land der Welt. Heute hingegen steht es auf Platz 14. Es ist kein Zufall, dass Steuererhöhungen und die hohe Staatsquote das wirtschaftliche Wachstum bremsen, in Skandinavien ebenso wie im restlichen Westeuropa. Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens bedeuten hohe Unternehmenssteuern weniger Geld für Investitionen, für neue Arbeitsplätze, für Expansionen usw. Steuern stellen für die Unternehmen, die für Wachstum und Wohlstand sorgen, eine schwere Last dar. Viele Firmen haben deshalb samt den Arbeitsplätzen Skandinavien verlassen. Zweitens erhebt Schweden hohe Steuern auf das persönlichen Einkommen, was das Arbeiten weniger profitabel macht, da sich die Anstrengung kaum bezahlt macht. Drittens werden diese hohen Steuereinkünfte oft genutzt, um diejenigen zu finanzieren, die nicht arbeiten. Somit erscheint es attraktiver arbeitslos zu sein als zu arbeiten. Viertens finanzieren die Steuern die sozialen Leistungen wie das Gesundheits- und Bildungssystem. Diese allerdings werden überwiegend von staatlichen Monopolen angeboten. Für private Firmen ist es daher schwierig, in diesem - im Gegensatz zur Industrie - expandieren Sektor Fuß zu fassen.

Was ist die Alternative zu hohen Steuern und staatlicher Lenkung, wenn man bedenkt, dass die skandinavischen Länder die niedrigste Arbeitslosenrate und den höchsten Lebensstandard in Europa haben?

Unser Lebensstandard ist nicht der höchste in Europa. Richtig ist, dass wir immer noch von dem Erfolg zehren, bevor der Staat und die Steuern wuchsen. Aber wir fallen zurück. Beispielsweise entstand nur eins der 50 größten Unternehmen in Schweden nach 1970. Zudem ist die niedrige Wachstumsrate im alltäglichen Leben deutlich zu spüren: Um beispielsweise eine ärztliche Behandlung im staatlichen Gesundheitssystem zu bekommen, muss man Jahre warten. Außerdem stimmt es nicht, dass wir die niedrigste Arbeitslosenrate haben. Die offiziellen Zahlen von 5-6% sagen nicht die ganze Wahrheit. Eine Studie, die kürzlich im Auftrag von LO (Schwedens größter Gewerkschaft) durchgeführt wurde, zeigt, dass in Wirklichkeit um die 20% arbeitslos sind. Die Differenz entsteht dadurch, dass neben den 5-6% offiziell arbeitslos Gemeldeten, mindestens genauso so viele an verschiedenen staatlichen Programmen teilnehmen. Andere sind auf Jahre krank geschrieben und oder gehen in den immer beliebter werdenden Vorruhestand.

Die Alternative ist ein weniger staatlich gelenktes System mit niedrigeren Steuern. Dies war bereits vorher erfolgreich und ist es noch in den schnell wachsenden Volkswirtschaften Mittel- und Osteuropas.

Aber Sie können nicht verneinen, dass die wirtschaftliche Situation in Ländern wie Frankreich und Deutschland schlechter ist…

Es ist richtig, dass die wirtschaftliche Situation in den großen europäischen Staaten etwas schlechter ist als in Skandinavien. Aber nicht weil wir einen starken Staat mit hohen Steuern haben. Der Grund sind die positiven Wirtschaftsreformen in den 80ern und 9ern. In Schweden wurde zum Beispiel die staatlichen Pensionen um 40% gekürzt, die Leute haben nun eine private Versicherung. Zudem wurde der Telekommunikationssektor dereguliert, worauf Unternehmen wie Nokia und Ericsson expandieren konnten. Reformen dieser Art wären der Weg zum Erfolg – im Sinne von steigendem Wachstum, mehr Arbeitsplätzen und einem höheren Lebensstandard – in Deutschland, Frankreich und anderswo.

Können Sie ein europäisches Land benennen, in dem das Wohlfahrtssystem besser funktioniert als in Schweden?

Dies ist eine äußerst umfassende Frage, die auch die Definition von „Wohlfahrtssystem“ betrifft. Betrachten wir die Beschäftigung, die für den Wohlstand der Leute wichtig ist, hat sie sich innerhalb der letzten vier Jahre in Schweden stetig vermindert. Nur drei von insgesamt neun Millionen Schweden gehen an einem durchschnittlichen Arbeitstag zur Arbeit. Die Beschäftigungssituation ist in den meisten anderen europäischen Staaten besser. Die schwedische Wachstumsrate, Grundlage für jeden Wohlstand, ist momentan die niedrigste in Europa. Im letzten Quartal erreichte sie lediglich 1,4%. Die schwedische Gesundheitsvorsorge ist generell gut, allerdings ist es fast nirgendwo in Europa so schwierig, ärztliche Versorgung tatsächlich in Anspruch zu nehmen. In einigen Bereichen erbringen schwedische Schulen starke Leistungen, aber auch hier lassen wir seit einigen Jahren nach. Tatsächlich ist die Situation in vielen anderen europäischen Staaten besser als in Skandinavien, auch wenn wir noch von den alten Erfolgen zehren. Doch das kann nicht ewig dauern.

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Translated from “Official figures do not tell the whole story”