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Die Stadt Barcelona riskiert im Massentourismus Nerven, Seele und Grundrechte - wie lange noch?

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Große Kreuzfahrtschiffe und Banden von Immobilienbetrügern machen den Bewohner:innen von Barcelona zunehmend das Leben schwer. Bürgermeisterin Ada Colau setzt auf “Nachhaltigen Tourismus”. Die Bevölkerung ruft nach radikaleren Konzepten.

«Einmal fragte mich so ein Kreuzfahrer, wie er hier zum Eiffelturm kommt» Blöd nur, dass der Ankunftshafen Barcelona heißt. Eli ist offizielle Touristenführerin der Stadt. Sie erzählt die Geschichte auf der Brücke Porta d’Europa und zeigt dabei auf den Landekai der Großkreuzschiffe. Mit mehr als 3 Millionen Besucher*innen im Jahr ist Barcelonas Hafen der größte Kreuzfahrthafen Europas. «Wenn du Glück hast, bekommst du wohlhabendere Schiffe zugewiesen. Da bestehen die Gruppen aus 25 Personen und die Passagiere sind im Durchschnitt gebildeter und interessierter. Wenn es aber eine Billig-Kreuzfahrt ist, geht es nach dem Motto "Quantität vor Qualität".»

Eine Welle nach der anderen

Die Touristinnen bewegen sich in Gruppen von 40-50 Personen und werden direkt beim Kreuzfahrtschiff empfangen und gruppiert. Hier bekommen sie auch eine Nummer, damit sie sich nicht verlieren, damit sie den Rückreisebus wiederfinden und wissen, welchem Guide sie folgen sollen. Schließlich kommen die Kreuzfahrtschiffe gleichzeitig an, sodass man leicht durcheinander geraten kann. Dann, ab der Statue von Cristóbal Colón an der Strandpromenade beginnt der Countdown für die Besichtigung der Stadt: eine Viertelstunde dauert es, um ins Barri Gòtic in der Altstadt zu kommen, eine Stunde und 15 Minuten, um es zu besichtigen; etwa eine halbe Stunde, um zur Basilika Sagrada Família zu gelangen und eine Stunde, um sie (von außen) ganz zu sehen; etwa 20 Minuten, um den Hausberg Montjuïc zu erreichen und 30 Minuten für den Besuch. Die "Friss und hau ab"- Kreuzfahrtpassagiere machen in Wirklichkeit weniger als die Hälfte aller Kreuzfahrtgäste aus und sie übernachten nicht - im Gegensatz dazu übernachten 80 % der Tourist*innen, die per Flug anreisen. Die kürzer bleiben, geben weniger aus. Darüber hinaus kommen sie in Wellen an und werden so von den Einheimischen als die invasivste und irritierendste Touristenart wahrgenommen.

«Nicht selten schreien die Leute sie an, beleidigen sie», sagt Eli. Sie ist freiberuflich tätig und ist eine von 100.000 Personen, die in der Tourismusbranche beschäftigt sind (40.000 davon sind direkt beschäftigte). Der Umsatz der Branche macht rund 15 % von Barcelonas BIP aus. Allein die Hotelbetriebe bringen rund 1,6 Milliarden Euro pro Jahr ein. «Ich liebe es Fremdenführerin zu sein, aber wenn ich Gruppen begleite, die mir nicht einmal zuhören, die die Stadt als Spielplatz benutzen, wenn ich einen Teil Barcelonas vom Massentourismus entstellt sehe, würde ich gerne den Job wechseln. Und das werde ich auch tun», gibt sie zu, bevor sie erklärt, dass sie auch Umweltschützerin ist.

Im Juni 2019 war Barcelona die europäische Stadt mit dem höchsten Verschmutzungsgrad beim Treibstoffverbrauch von Kreuzfahrtschiffen. Nach den Daten von Transport & Environment, einer NGO aus Brüssel, belegt die katalanische Hauptstadt den ersten Platz bei Emissionen von NOc, SOx (Stickstoff- und Schwefeloxide) und Pm10. Der Hafen versichert jedoch für weniger als 10 % der Luftverschmutzung der Stadt durch Nox und Pm10 verantwortlich zu sein. Auch wenn sich die Situation seit Jänner 2020 verbessert, weil die IMO, die Internationale Seeschifffahrtsorganisiation, die Verwendung von Treibstoffen mit Schwefelgehalt über 0,5 % (statt der bisherigen 3,5 %) verboten hat, sind Umweltauswirkungen nur eine Dimension der sozialen Verwerfungen, die der Massentourismus verursacht.

Die wirtschaftlich-soziale Dimension des Massentourismus

La Rambla ist Barcelonas Hauptstraße. Eine Flasche Wasser kann hier schon mal 2,50 Euro kosten, Stadtpläne werden von jungen Leuten angeboten, die kleine Packungen für Touristen verteilen: Veranstaltungsbroschüren, Rabatte für Sehenswürdigkeiten, Wegbeschreibungen zum Shoppingbus. Daniel, 43 Jahre, einer der Aktivisten von ¡Ciutat Vella no está en venta! ("Die Altstadt steht nicht zum Verkauf!") malt einen Strich auf einem Blatt Papier: «Das ist der Strom von Menschen entlang der La Rambla». Dann zeichnet er eine Reihe rechtwinkeliger Linien: «Das sind die Wege, die die Bewohnerinnen der Altstadt nehmen, um dem Tourismusstrom auszuweichen.» Laut einer Studie sind von 10 Personen, die die Hauptstraße La Rambla überqueren, nur zwei dauerhafte Stadtbewohnerinnen.

Das Negreta del Gòtic, in der Altstadt, ist ein social space, den sich mehrere Kollektive teilen. Daniel ist Mitglied der Assemblea de Barris pel Decreixement Turístic ("Bezirksversammlung für eine fröhliche Schrumpfung des Tourismus"). «Warum fröhliche Schrumpfung des Tourismus? Wir glauben das Märchen vom 'nachhaltigem Tourismus' nicht mehr. Massentourismus ist nicht nachhaltig». Daniel erklärt seine Haltung: «Der derzeitige touristische Druck ist nicht mit urbaner Lebensqualität vereinbar, nicht sozial und nicht ökologisch. Wir haben gesehen wie Nachbarinnen und Freundinnen, die hier im historischen Zentrum ein Leben lang gewohnt haben, massenhaft vertrieben worden sind.» Das Leben von Laura wurde durch die Immobilienspekulation auf den Kopf gestellt. Laura ist 32, hat zwei Töchter und hält sich als prekär Beschäftigte mit gelegentlichen Zusatz-Jobs über Wasser: «Ich war gezwungen, die Altstadt zu verlassen, als sie die Miete von 500 auf 800 Euro erhöht haben. Jetzt wohne ich am Stadtrand», berichtet sie.

Für die Bewohner:innen der Altstadt gibt es tatsächlich wenig zu genießen. «Wenn man, um zur U-Bahn zu kommen, eine Mauer aus Touristen überqueren muss, im Autobus keinen Platz findet und es in der Nähe kaum mehr einen Laden gibt, der nicht touristisch ist, und wenn du nachts dann kein Auge zu bekommst wegen der laut feiernden Touristen, dann verändert sich dein Leben» gibt Carla zu. An ihrem Fenster ist ein Banner angebracht, auf dem auf Katalanisch geschrieben steht: "Volem un barri digne!" ("Wir wollen einen anständigen Bezirk!") Außerhalb der Altstadt, jenseits der Linie, die ab der Sagrada Família gezogen werden kann, ist das Gefühl der Invasion viel weniger verbreitet, auch, wenn man sich des touristischen Sättigungsgrades bewusst ist. Fortschreitende Abwanderungen von Einheimischen aus dem Zentrum in die Peripherie, Wellen von Übersiedlungen entladen sich in den äußeren Bezirken, wo die Mieten spürbar steigen.

Touristen in Barcelona  (cc) Roberta Benvenuto
Touristen in Barcelona © Roberta Benvenuto

Laut einer Studie der Gemeinde, von 2017 sind 4 von 5 Barceloner:innen der Meinung, der Tourismus bringe Vorteile. Aber fast 60 Prozent geben an, dass die Stadt die Grenzen ihrer Bewirtungskapazität erreicht hat. Seit 1990 hat sich die Zahl der Touristen:innen, die in der Stadt übernachten, vervierfacht, auf aktuell über 8 Millionen Besucher*innen im Jahr. Als Auftakt dazu gelten die Olympischen Spiele 1992. Die Folgen: exponentielles Wachstum für eine Stadt, die nicht so groß wie andere europäische Reiseziele ist. Landschaftlich eingezwängt zwischen Mittelmeer, den Bergen der Serra de Collserola und den Flüssen Llobregat und Besos, hat Barcelona keinen Platz mehr sich auszudehnen.

Wie sieht Barcelonas Zukunft aus?

Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau hat ihr Image (und ihre Beliebtheit) auf dem Kampf für das Grundrecht auf Wohnen und auf nachhaltigen Tourismus aufgebaut. Die Verwaltung hat ein Limit festgelegt für die Anzahl der Häuser, die zu kommerziellen Zwecken vermietet werden können, reguliert durch den PEUAT, den Plan urbanístico de alojamientos turísticos ("Stadtentwicklungsplan für Touristenunterkünfte"). Die Genehmigungen wurden auf knapp 10.000 eingefroren. Aber das jüngste Phänomen der illegalen Mieten dürfte schwer zu bekämpfen zu sein (obwohl mehr als 2.000 Regelverstöße festgestellt wurden). Tatsächlich gibt es organisierte Banden, die an fiktive Bewohner vermieten und dann an ahnungslose Touristen untervermieten. Dadurch werden die Kontrollen umgangen, die ohnehin schwierig durchzuführen sind, auch wegen der beschränkten Möglichkeiten der städtischen Polizei, wie lokale Zeitungen berichten.

«Überlastung der öffentlichen Plätze, ein Ungleichgewicht zwischen Einwohner- und Besucher:innenzahlen, Überschwemmung von Airbnbs auf Kosten der Unterkünfte für Stadtbewohner:innen, steigende Immobilienpreise, Kaufkraftverlust, kommerzielle Gentrifizierung, Umweltzerstörung» - das alles ist der Preis, den Barcelona für den Massentourismus zahlt, laut Simone Moretti, Lektor im Fachbereich Tourismusmanagement an der Universität für Angewandte Wissenschaften HZ in den Niederlanden und Autor des ersten vom Verkehrs- und Tourismusausschuss des Europäischen Parlaments angeforderten Berichts, Overtourism: impact and possible policy responses.

In diesem Szenario ist es nicht schwer zu verstehen, warum die Winkel der Altstadt das Wort "Tourismusphobie" aussprechen. Auf jede Nachricht weiter gestiegener Zahlen reagiert die Bevölkerung in schlechterer Stimmung. Am 1. Jänner 2020 hat die Gemeinde den Klima-Notstand ausrufen. Und die Bürgermeisterin hat vor Kurzem angekündigt, dass es zu einer Einschränkung von Kreuzfahrten und Billigflügen kommen wird: eine schwierige, wenn nicht gar unmögliche Aktion, wie Mar Campins Eritja bestätigt. Die Jean Monnet-Professorin für europäisches Umweltrecht an der Universität Barcelona sagt: «Es gibt verschiedene Kompetenzebenen, von der nationalen (an den Häfen) bis zur internationalen Kompetenz in Bezug auf das Seerechtsübereinkommen. Was die lokale Regierung tun kann und sollte, ist, zu bestimmen, welche Art von Tourismus sie für ihre Stadt wünscht.»


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Die Serie AcadeMy wird unterstützt vom Jean-Monnet-Programm der Europäischen Union. Mehr Informationen über Aufgaben und Ziele des Programms finden Sie auf der offizielle Website der Europäischen Union.

Translated from Oltre la “turismofobia”: nel 2020, a Barcellona è emergenza climatica