Die Linke amüsiert sich zu Tode
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jan heuwingDie europäische Linke steckt in einer Identitäts- und Machtkrise. Der Grund ist nicht etwa ihr Scheitern in der Vergangenheit sondern ihr Unvermögen, von vorne zu beginnen.
Es gib nicht einen konservativen Wähler, der heute auch nur einen Bruchteil der Rechte zurücknehmen würde, welche die europäische Linke in den letzten 180 Jahren eingeführt hat. Dies legt auch den Streit bei, wer nun besser sei – die Linke oder die Rechte: Beide Richtungen entsprechen – auf politischer Ebene – zwei Grundinstinkten der Menschen; zum einen dem Instinkt des Bewahrens, zum anderen dem, nach Verbesserungen zu streben. Jedes Individuum verbindet beides auf seine Weise. Die Linke, versunken in einer Identitäts- und Machtkrise, überprüft nun schon seit Jahren ihre Vergangenheit und ihre Ziele. Gescheiterte Experimente wie der „Dritte Weg“ oder die Übernahme eigentlich neoliberaler ökonomischer Ziele sind nicht mehr als eine schnell vergängliche Verkleidung, die nur schlecht die Orientierungslosigkeit der demokratischen Linken verdeckten kann - einer Linken, die spätestens beim Fall der Berliner Mauer eigentlich schon alle, seit Mitte des 19. Jahrhunderts selbstauferlegten Hausaufgaben erledigt hatte.
Ein annehmbarer Lebenslauf
Erinnern Sie sich an die 40 Wochenarbeitsstunden und das Prinzip „drei mal 8“: 8 Stunden Arbeit, 8 Stunden Freizeit und 8 Stunden Ruhe? Jetzt sind es schon nur noch 35. Schon früher waren es die Arbeiterparteien, die dieses System vorangebracht haben. Auch wenn man in Frankreich die Aubry-Maßnahmen anzweifelt, sind es doch immer noch die linken Parteien, die sie in aller Stille weiter einführen: Erst vor drei Jahren hat die öffentliche Verwaltung von Andalusiens die 35-Stunden-Woche eingeführt.
Wer hat die allgemeine Schulpflicht gefordert? Das war der französische Politiker Jules Ferry. Wem haben wir die neue Ostpolitik und Entspannung in Zeiten zu verdanken, in denen große Konflikte die internationale Politik beherrschten? Dem deutschen Sozialdemokraten Willy Brandt. In der 20jährigen Geschichte des HDI (Human Development Index) der UN lagen immer linksregierte Länder auf dem ersten Platz. Dieses Jahr nimmt erneut Norwegen diesen Ehrenplatz ein.
Eines Nachts – 1985 in Brüssel – veranstaltete Jacques Delors ein Abendessen. Es war ein Hinterhalt, damit Felipe Gonzáles vor Kohl, Mitterand, Soares und den skeptischen Regierenden Italiens, Irlands und Griechenlands seine Vision eines solidarischen Europas präsentieren konnte. Zum Nachtisch wurden die Weichen für das Europa der Strukturfonds und der Gemeinsamen Agrarpolitik gestellt. Der Fahrplan nach Maastricht, zu einem gemeinsamen Markt und einer gemeinsamen Währung entstand hier. Scheidung, Abtreibung und die Rechte Homosexueller zur Ehe und Adoption sind historische Forderungen und Errungenschaften der linken Parteien. Was wäre aus den Rechten der Gewerkschaften geworden, wenn die europäische Linke sie nicht verfassungsmäßig geschützt hätte, angefangen beim deutschen Grundgesetz von 1949 oder der Verfassung Italiens von 1948? Wer, wenn nicht die Linke, hat sich der Säkularisierung in Ländern wie Griechenland, Spanien oder Portugal nach dem Ende ihrer beschämenden Diktaturen gewidmet?
Neuanfang
Nichtsdestotrotz sitzt die Linke seit dem Jahr 2000 nur in wenigen Regierungen. Seit 1989 schämt sie sich ihrer Nachsicht gegenüber dem kommunistischen Ostblock. Seit den 80ern übernimmt sie immer wieder fremde Ideen: Unterschiedlose Privatisierungen, den Rückzug des Staates aus der Wirtschaft, jährliche Haushaltsanpassungen ohne Berücksichtigung der konjunkturellen Lage etc. Die linksgerichteten Parteien aller Länder vertreten ihre Politik, ohne dass sie sich untereinander absprechen. Während Spanien den Abzug der Truppen aus dem Irak verteidigt, begrüßt Polen die US-amerikanische Vorgehensweise. Während die deutsche Linke vorgibt, die Atomenergie abzuschaffen, wird diese von der französischen Linken verteidigt.
Sie sind auf der Suche nach neuen Ideen und neuen Zielen, obwohl es doch eigentlich gilt, ihre ursprüngliche Philosophie an die neue Zeit anzupassen. Diese basiert auf der Erkenntnis, dass Wachstum nicht aufgrund von Niedriglöhnen sondern durch Innovation entsteht. Es ist kein Zufall, dass das Ziel von Lissabon unter der Schirmherrschaft einer linksgerichteten Regierung formuliert wurde und jetzt auf dem Abstellgleis gelandet ist. Sie muss sich den Pazifismus auf die Fahnen schreiben für den der legendäre Jean Jaurès 1914 getötet wurde und welcher gegenüber dem Unilateralismus der USA umso nötiger erscheint. Die ersten europäischen LÄnder, die das Frauenwahlrecht einführten, waren Finnland, Norwegen und Dänemark - unter linken Regierungen. Eine neue Herausforderung die Gleichberechtigung Homosexueller und Heterosexueller in Bezug auf ihre Zivilrechte. Die Linke sollte sich in Erinnerung rufen, dass der Kapitalismus auf der Basis von Schulden funktioniert und dass deswegen das Verfolgen eines Nulldefizits bis zum Letzten auf einen Selbstmord auf Raten hinausläuft. Sozialismus und Liberalismus sind verwandte Philosophien und ein Erbe der Aufklärung. Sie sind keine Antagonisten, vielmehr können staatliche Einflussnahme und die Regulierung der Wirtschaft uns der Utopie der Gleichheit auf dem Markt näher bringen. Darüber hinaus: Ohne Umweltschutz kann es keinen Markt geben.
Die Linke verkörpert den Internationalismus
Zu guter Letzt: Die Linke darf nicht den Internationalismus vergessen, der ihre Geburt miterlebt hat: er ist das beste Mittel, um sich intensiv mit der europäischen Konstruktion zu beschäftigen, so wie schon bei der Entstehung eines gemeinsamen Marktes, gemeinsamer Gesetze und einer Verfassung - die immer von der Linke vorangetrieben wurde - getan hat (zum Beispiel in unzähligen Manifesten und Artikeln der letzten 15 Jahre unterzeichnet von Delors, Fischer, Prodi, Soares, Jospin oder González). Die gleichen Pflichten und die gleichen Rechte für alle Bürger Europas. Eine einheitliche Steuer-, Bildungs-, Gesundheits- und Arbeitsgesetzgebung, gleicher Verbraucherschutz sowohl in Schweden wie in Slowenien. War es nicht ein Sozialist – Victor Hugo – der als erster den Versuch unternahm, die Vereinigten Staaten von Europa anzudenken?
Translated from La Izquierda se muere de gusto