„Die Briten sind zu keiner erwachsenen Diskussion über Europa fähig“
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gitta glüpkerDenis MacShane, Parlamentsabgeordneter der Labour-Partei und voraussichtlich Europaminister des Vereinigten Königreichs, diskutiert mit Café Babel über Euroskepsis und die britische Ratspräsidentschaft.
Warum ist die Debatte im Vereinigten Königreich über Europa so begrenzt?
Das Problem in Großbritannien ist, dass wir keine nationale Einigkeit über unsere Europapolitik haben. Wir verbringen 80% unserer Zeit bei Europadiskussionen nicht damit, wie wir Reformen in Europa vorantreiben könnten. Wir sind eingeschlossen in einer theologischen Auseinandersetzung für und gegen Europa, was eine der Tragödien britischer Politik darstellt. Denn durch sie sind wir zu keiner erwachsenen Diskussion über Europa fähig, sondern wir liefern uns diesen nicht enden wollenden Schlagabtausch.
Was meinen Sie mit „erwachsener“ Diskussion?
Nun, eben eine Diskussion, die auf Tatsachen beruht. Wir müssen endlich diese ganzen Harry Potter- Mythen wegwischen, denen zufolge Brüssel die Steuern sowie die Außen- und Verteidigungspolitik Großbritanniens bestimmen wird. Das alles ist nicht wahr. Statt dessen sollten wir uns fragen, wie wir den gemeinsamen Markt auf Touren bringen können. Wie wir das Gleichgewicht zwischen dem wirtschaftlichen und dem sozialen Europa, dem Wohlfahrtsstaat, finden. Wir müssen uns fragen, wie viele Regeln Europa in unserem Namen den anderen Staaten auferlegen sollte und wie viele Regeln wir selbst zu akzeptieren bereit sind. Die schließlich auch uns im Namen des restlichen Europas auferlegt werden. Aber wir haben einfach keine solche Diskussionen.
Denken Sie, dass ein Referendum eine solche Debatte voranbringen würde - wie es gerade in Frankreich geschehen ist?
Das denke ich nicht, denn was man in Frankreich klar gesehen hat, war eine Debatte über einen „Da Vinci Code“, das Europa der Mythen. Man musste sich mit Leuten auseinandersetzen, die behaupteten, Brüssel würde die Abtreibungsgesetze Frankreichs regeln, was einfach nicht wahr ist und dennoch waren ganze Zeitungsberichte diesem Thema gewidmet. Unglaublich! Das Land Descartes’ hatte jegliche Verbindung zur Vernunft verloren. Also nein, ich denke, dass der Glaube, eine vierwöchige Referendumskampagne brächte die gewünschte Europadebatte, nicht zutrifft. Diskussionen müssen auf eine reife Art und auf normaler Ebene stattfinden, auf die gleiche Art, wie wir seit jeher auch unsere internationale Verteidigungspolitik in der NATO oder unsere Handelspolitik in der WTO diskutieren. Ohne nämlich gleich in einen Streit darüber zu geraten, ob wir Mitglied bleiben sollten oder nicht.
Wird die britische Ratspräsidentschaft dabei helfen, die aktuelle politische Krise zu überwinden?
Ich denke, dass es eine heilsame Präsidentschaft sein wird. Es gibt eine dreifache Krise in Europa: Die politische, die wirtschaftliche und die Frage der Führungsrolle. Zudem sind die drei miteinander vernetzt, so dass es schwer ist, eine Antwort darauf zu finden, wie Europa regiert werden soll, wenn es ökonomisch stagniert ist. Wir müssen die Wahlen in Deutschland in diesem Jahr abwarten, die in Italien im nächsten Jahr und die in Frankreich 2007, um abzuschätzen, ob es in Europa eine neue Führung geben kann, die enger miteinander verknüpft ist. Denn die fehlende Verbindung in Europa betrifft nicht nur das Verhältnis der Eliten zum Volk, sonder auch das der Staats- und Regierungschefs untereinander und zu den Leuten, die sie in die Kommission schicken.
Was sind die Ziele der britischen Ratspräsidentschaft?
Ich hoffe, dass die Briten die Reflexion über Europa fördern werden und ich bin überzeugt davon, dass Europa wirtschaftliche Reformen und eine Arbeitsbeschaffungspolitik braucht. Und ich denke auch, dass die Präsidentschaft Europa dazu anleiten sollte, über seinen Bauchnabel hinaus zusehen und sich als wichtigen Teil des Guten in der Welt zu begreifen.
Klimawandel, Afrikahilfe, Problemlösungsansätze wie für den Iran, Sudan, den Mittleren Osten….. Europa hat politische Fragen zu beantworten und wirtschaftliche Probleme zu lösen, aber es bleibt dennoch ein sehr wichtiger Global Player und ich hoffe, dass Großbritannien als selbstsicheres Land auf der internationalen Bühne freundlich versuchen wird, die 24 anderen Staaten zusammenzubringen, damit sie dieses Selbstbild eines Global Players weiter aufbauen.
Sie sagen, Großbritannien muss Wirtschaftsreformen in der EU anstoßen. Meinen, Sie, dass die anderen Staaten dem britischen Wirtschaftsmodell folgen sollten?
Nein. Die Erwartung, dass es ein einheitliches europäisches Modell geben könnte, dass für alle anderen 24 Staaten funktioniert, ist schlicht absurd. Ich habe diesen Unsinn satt. Wir sollten auf das schauen, was Europa voranbringt und es einfach anwenden. Schließlich gibt es auch in Großbritannien Dinge, die nicht funktionieren, und die sollten wir aus Europa übernehmen.
Welche Hoffnung gibt es für diese Art der Integration vor dem Hintergrund der massiven Hindernisse bei den Rückzahlungen an Großbritannien und der eisigen Beziehungen zu Frankreich?
Nun, Italien droht solange mit seinem Veto gegen den Haushaltsplan zu stimmen, bis dieser seinen Ansprüchen genügt. Spanien ist sehr unglücklich und Deutschland möchte weniger zahlen, so dass es nur in London diese wahnsinnige Versessenheit darauf gibt, zusammen mit Frankreich und der Tatsache, dass französische Politiker die Rückzahlungen angehoben haben. Ich meine, sie sind Teil der Auseinandersetzung, zusammen mit dem Ausgaben- und Einkommenssystem der EU und wir sollten sie alle diskutieren. Ich habe sehr daran gezweifelt, dass man eine Einigung zum Budget erzielen würde. Denn wir haben nie zuvor in der europäischen Geschichte das europäische Budget 18 Monate vor der Frist verabschiedet. Das wäre toll, aber ich kenne niemanden aus der Geschäftswelt, der einen Moment daran gedacht hätte, dies könnte realistisch sein. So ist dieses große Geschrei über den Britenrabatt eher künstlicher Natur.
Denken Sie, dass die Euroskepsis für das Festhalten der Briten an ihrem Rabatt verantwortlich ist?
Was heißt „Euroskepsis“? Tut mir leid, aber die Franzosen und die Niederländer hatten gerade Abstimmungen, die einen ziemlich entschiedenen Sieg für die Euroskepsis darstellen. Außerdem hat die britische Öffentlichkeit soeben eine große Zahl Abgeordneter wiedergewählt, deren Parteien pro-europäische Politik befürworten. Die Tories haben im dritten Wahlkampf in Folge mit einem stark euroskeptischen Profil gekämpft und was geschah? Sie haben zum dritten Mal weniger als 200 Abgeordnete im Parlament! Man sollte die Abneigung gegen Brüssel nicht verwechseln mit einer Art von Verwirrung, ohne Zurückweisung der Europäischen Union. Denn, wenn es anti-europäische Politik wäre, die die britische Öffentlichkeit momentan wollte, dann müsste ich befürchten, dass nun der Euroskeptiker Herr Kilroy-Silk Abgeordneter würde und der Konservative John Redwood die Entscheidungen der britischen Regierung in Europa träfe.
Translated from "The British can’t have an adult discussion on Europe"