Die Abtreibungskluft
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tobias trollIn Polen wurden Abtreibungen nach der Wende stark eingeschränkt. Aber auch in Beitrittsstaaten mit liberaler Gesetzgebung bleiben moderne Verhütungsmethoden selten.
Die kostenlose Abtreibung auf Anfrage verbreitete sich vom Kreml aus in Ost- und Zentraleuropa von den 50ers bis zum Fall der Berliner Mauer 1989. Da sich der Eiserne Vorhang als undurchlingliches Präservativ für moderne Verhütungsmethoden erwies, blieb den Frauen die Abtreibung oft die einzige Möglichkeit der Familienplanung.
Die Konsequenzen davon können heute im schiefen Bild der Abtreibungspraktiken in der erweiterten EU beobachtet werden. Im Vergleich mit Westeuropa (außer Irland, wo Abtreibung erst seit den 60er Jahren stufenweise eingeführt wurde) weisen die Länder des ehemaligen Ostblocks übereinstimmend hohe Abtreibungsraten und nierige Verwendung von Verhütungsmittel auf. Das ist teilweise darauf zurückzuführen, dass hormonelle Verhütung und Spirale (Intrauterin-Pessar), obwohl inzwischen zunehmend erhältlich, teuer bleiben. Außerdem sind alle Formen von Verhütungsmitteln außerhalb von Ballungszentren schwer zu beschaffen. Daher werden in Ländern wie Estland, Lettland oder Litauen moderne Verhütungsmethoden nur von weniger als einem Drittel der Frauen im gebärfähigen Alter benutzt. Diese Rate ist höher als in Tschechien oder Ungarn, liegt aber immer noch unter dem EU-Durchschnitt von ungefähr 70%. Dieses Verhütungsdefizit wird jedoch durch den hohen Anteil von Abtreibungen ausgeglichen, die kostenlos sind und in den ersten 12 Schwangerschaftswochen auf Verlangen durchgeführt werden.
...und dann kam Polen
Wie in anderen Mittel- und Osteuropäischen Staaten war Abtreibung in Polen umsonst, legal und vom Staat angeboten. 1993 wurde jedoch durch ein Referendum die legale Abtreibung auf Fälle von schweren Missbildungen, Vergewaltigung, Inzest oder Gefahr für das Leben der Mutter beschränkt. Diese Entscheidung folgte einer vierjährigen Kampagne einer lockeren Allianz der konservativen Solidarnosc, der katholischen Kirche und der Ärzteschaft – eine Zusammenarbeit, die nach Meinung von Familienplanungslobbies „enormen und anhaltenden Druck“ auf eine Gesellschaft ausübte, die „unerfahren darin war, eine Position der freien Wahl zu debattieren und zu verteidigen.“ In einem Land mit 95% Katholiken und engen Verbindungen nach Rom scheint dieses Referendum jedoch ein bisschen zu sauber. Das Fehlen von offiziellen Statistiken kompiziert das Bild noch mehr.
Das mysteriöse Verschwinden
Das Referendum trug dazu bei, die offiziellen Abtreibungsraten von 105 333 Fällen 1988 auf lediglich 124 im Jahr 2001 zu drücken. Doch sind diese Zahlen glaubhaft? Die nichtamtliche Zahl von jährlichen Abtreibungen in Polen schwankt zwischen Achzig- und Hunderttausend. Durch das Anti-Abtreibungsgesetz von 1993 werden nicht-staatliche Abtreibungen einfach nicht mehr erfasst. Auch ist es kein Geheimnis: Während Verhütungsmittel nunmehr frei erhältlich sind, ist der Zugang zu Sexualerziehung und Familienplanung teilweise problematisch, vor allem außerhalb der städtischen Ballungszentren.
Im Moment ist das Klima auch legalen Abtreibungen in staatlichen Krankenhäusern abträglich. Nach Piotr Kalbarczyk, Präsident von Towarzystwo Rozwoju Rodziny (der polnischen Familienplanungsorganisation) fürchten die Ärzte negative Auswirkungen, wenn sie Abtreibungen durchführen. Er fügt hinzu, dass die offizielle Verweigerung einer Abtreibung „ein Weg sein kann, die Frauen in private Kliniken zu zwingen“, wo eine illegale Abtreibung je nach Art des Eingriffs zwischen 300 und 1000 Dollar kosten kann. Die Konsequenzen für die polnischen Frauen sind gut dokumentiert: Die Nachfrage nach legalen Abtreibungen ging zurück. Krankenhäuser zögern ihre Antwort oft hinaus, bis die kritischen ersten drei Monate überschritten sind. Diese Mauer des Schweigens kann dramatische Auswirkungen auf Frauen haben, die illegale Abtreibungen vornehmen und eventuel an unzureichender medizinischer Versorung sterben.
Die Wahlversprechen der linken Demokratischen Allianz (SLD) im Hinblick auf Familienplanung wurden nicht umgesetzt - eine Tatsache, die manche auf die intensive Lobbyarbeit der Kirche zurückführen. Und die Politik scheint sich nicht zu ändern. Wie Irland und Malta hat auch Polen in einem Zusatzprotokoll des Beitrittsvertrags sichergestellt, dass Europäische Gesetze die nationalen Abtreibungsbeschränkungen nicht beeinflussen können.
Glückliche Familien
Die Europäische Union kann die Abtreibungsgesetzgebung nicht harmonisieren. Die Europaabgeordnete Anne van Lancker denkt, dass „Gruppenzwang“ die Position einiger Staaten auf die Linie der Mehrheit bringen wird. Das augenblickliche Bild Europas zeigt sehr klar, dass die Abtreibungsraten in Ländern, wo Abbrüche auf Verlangen durchgeführt werden und keine Familienplanungsmassnahmen durchgeführt werden, erschreckend hoch sind. In Staaten mit liberalen Abtreibungsgesetzen und systematischer, staatlicher Sexualerziehung und Familienplanung ist das Gegenteil der Fall. So werden pro Frau im Kandidatenland Rumänien durchnittlich sechs Abtreibungen durchgeführt (1), in den Niederlanden lediglich 0,15 und 0,4 in Frankreich. In Polen, trotz der Gesetzes von 1993, bleibt die Zahl bei 2,2. Was auch immer die Lösung ist, wir sollten auf diese Zahlen schauen.
(1) Studie von 1994 in:
Gauthier, Xavière: Naissance d'une liberté: avortement,
contraception: le combat des femmes au XXe siècle
Translated from Into the fold, but out of the loop: abortion in the accession states