Dem Balkan-Buchhandel droht die Pleite
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Kerstin Marschner„Wer sich nicht für Bücher interessiert, verarmt geistig“, sagt der bekannteste Schriftsteller Jugoslawiens, Ivo Andric. 50 Jahre nach dem ihm der Nobelpreis verliehen wurde, stößt seine Gesundheitswarnung bei seinen Landsleuten allerdings auf taube Ohren.
Immer weniger Menschen lesen Bücher. Und darunter leiden insbesondere Verleger und Schriftsteller. Seid Serdarevic vom kroatischen Verlag Fraktura bringt die Situation auf den Punkt. Hinter den abnehmenden Leserzahlen stecken zum Teil wirtschaftliche Gründe. Die Menschen im ehemaligen Jugoslawien können sich Bücher schlicht und einfach nicht leisten. „Die Leute arbeiten, werden aber nicht bezahlt. Sie müssen Kredite aufnehmen, um ihre Lebenshaltungskosten zu decken“, erklärt die kroatische Romanautorin Sladjana Bukovac, die ebenfalls von Fraktura verlegt wird.
Niedrige Lebensstandards
Im benachbarten Bosnien, wo die Kluft zwischen Einkommen und Ausgaben stetig wächst, ist der Lebensstandard noch geringer. Im März 2011 betrug der Durchschnittslohn hier 818 Mark (ca. 400 Euro). Ein Buch kostet im Schnitt 10 Mark (5 Euro 10). Sowohl in Bosnien als auch in Serbien haben die Verleger mit der hohen Umsatzsteuer von 17 % bzw. 18 % zu kämpfen, die zu einem Rückgang der Buchproduktion und niedrigeren Honoraren für Autoren und Übersetzer führt. Kroaten verdienen mit 5.480 HRK (ca. 735 Euro) fast doppelt so viel wie Bosnier, allerdings kostet ein durchschnittliches Buch so viel wie eine gebundene Ausgabe in England (zwischen 15-20 £). Die Kombination aus schlechter Bezahlung und dem Fehlen staatlicher Subventionen, zwingt Schriftsteller in den Balkan-Ländern dazu Zweitjobs anzunehmen, um überleben zu können. „Die Schriftsteller haben nicht genug Zeit, sich auf beides voll einzulassen. Letztlich werden sie so zu schlechten Journalisten und zu schlechten Schriftstellern“, sagt Nenad Popovic, Gründer des Durieux Verlags in Zagreb.
Link: Interview mit Robert Perisic auf cafebabel.com
Niedrigere Buchpreise und höhere Löhne allein würden dem Buchhandel auf dem Balkan vermutlich nicht zum ersehnten Aufschwung verhelfen. Die Menschen sind das Lesen nicht mehr gewohnt. Kroaten kaufen im Durchschnitt drei Bücher pro Jahr. Vom kroatischen Bestseller des Jahres 2008, Robert Perisics Debütroman Naš čoviek na terenu ('Unser Mann vor Ort'), wurden nur 1904 Exemplareverkauft - und das bei einer Einwohnerzahl von vier Millionen. „Die bücherkaufende Mittelschicht hat das ehemalige Jugoslawien während des Kriegs verlassen, die Zurückgebliebenen geben ihr Geld nicht für Bücher aus“, beklagt sich Autorin Sladjana Bukovac.
Letzte Rettung Jugosphäre
Menschen im gesamten Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens sehen die gleichen Filme, hören dieselbe Musik und besuchen dieselben Theaterproduktionen. Das trifft auch auf die Literatur zu.
Nur die Existenz der Jugosphäre rettet die Verleger und Schriftsteller auf dem Balkan vor dem vollständigen wirtschaftlichen Kollaps. Die Jugosphäre, ein gemeinsamer Kosmos aus Ideen und Bräuchen, der den Zerfall Jugoslawiens überdauert hat, wurde zuerst vom britischen Journalisten Tim Judah in einem Artikel für The Economist beschrieben. Kroaten und Serben betonen die Unterschiede zwischen ihren Sprachen, teilweise auch durch die Erfindung neuer Wörter, die regionale Unterschiede deutlich machen sollen. Einmal ging man sogar so weit, einen serbischen Film mit kroatischen Untertiteln zu senden. Dennoch teilen beide Länder eine gemeinsame Sprache. Menschen im gesamten Gebiet des ehemaligen Jugoslawien sehen die gleichen Filme, hören dieselbe Musik und besuchen dieselben Theaterproduktionen. Das trifft auch auf die Literatur zu. Belgrad, Zagreb und Sarajevo haben bereits einen gemeinsamen Markt. Die gemeinsame Sprache ist der Retter für die bosnischen und montenegrinischen Schriftsteller, deren Länder für einen tragfähigen Buchmarkt zu klein oder zu arm sind, indem sie den Absatzmarkt für ihre Bücher vergrößert.
„Da es unmöglich ist, die Sprache so stark zu verändern, dass wir uns gegenseitig nicht mehr verstehen, können Schriftsteller auf dem Balkan mit der gesamten Region in Dialog treten“, sagt der bosnische Autor Igor Štiks. Die wirtschaftliche Notwendigkeit hat Schriftsteller und Verleger in Kroatien dazu gebracht, gemeinsam auf eine bessere Zukunft für die Literatur der Region hinzuarbeiten. Kroaten waren in den letzten Jahren auf der Belgrader Buchmesse vertreten und das Magazin Sarajevo Notebooks, in dem Schriftsteller aus der gesamten Region kulturellen Austausch pflegen und während des Krieges gekappte Verbindungen wiederaufnehmen, hat kürzlich seinen zehnten Geburtstag gefeiert.
(Tabu)Thema Krieg
„Viele Schriftsteller hoffen, dass die gemeinsame literarische Kultur einen Raum schaffen wird, in dem der Krieg und die blutige Vergangenheit aufgearbeitet werden können“, sagt Igor Štiks. „Schriftsteller sollten engagierte Intellektuelle mit Weitblick sein. Ihre Aufgabe ist es einen Rahmen zu schaffen, in dem wir uns mit unserer Vergangenheit auseinander setzen und diese verstehen können“. Der 33-Jährige, der seine Heimatstadt Sarajevo zu Beginn des Bosnienkrieges (1992-1995) verlassen hat und jetzt in Edinburgh lebt, räumt ein, dass die Erinnerungen an den Konflikt zu frisch und zu schmerzhaft waren, um sich damit in seinem ersten Buch Ein Schloss in der Romagna (Dvorac u Romagni, 2000) auseinanderzusetzen. Später erkannte er, dass er über den Krieg schreiben muss, um sich von seinen Erinnerungen zu befreien und nach vorne schauen zu können. Štiks ist der Ansicht, dass Autoren Themen wählen sollten, die eng mit ihrem eigenem Leben verknüpft sind – sonst werden sie zu Fiktionsmaschinen. „Das Schreiben an Elijahova stolica ('Elijahs Stuhl', 2006), das teils die Belagerung Sarajevos thematisiert, war eine kathartische Erfahrung“, erklärt er.
Um Menschen in anderen Regionen nicht vor den Kopf zu stoßen, sprechen viele Schriftsteller den Krieg nur indirekt an.
Die literarische Jugosphäre ist allerdings zerbrechlich. Alter Hass und Ängste lauern, sobald man ein wenig an der Oberfläche kratzt. „Zwanzig Jahre nach Ausbruch des Krieges liegen wir noch in den Fesseln der politischen Korrektheit“, sagt Sladjana Bukovac. „Um Menschen in anderen Regionen nicht vor den Kopf zu stoßen, sprechen viele Schriftsteller den Krieg nur indirekt an. Sie reden über 'sanftes Töten', benutzen Ausdrücke wie 'das Böse' oder meiden das Thema Krieg komplett. Diese Weigerung die Vergangenheit zu thematisieren ist gut für die Politik, aber schlecht für die Literatur.“ Von Katharsis wollen viele Autoren, aber auch Leser, bis heute nichts wissen.
Fotos: Titelbild (cc)Igor Stiks und Elijahs Stuhl ©Fraktura ; Im Text: Gelbes Buch (cc)Jian Awe/flickr und tumblr; Bibliothek Sarajevo (cc)ronantighe/flickr; Igor Stiks ©Ema Szab
Translated from Book trade faces bust in Balkans