Das arabische Herz Neapels
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Kathrin FaltermeierVerlässt man Neapels Hauptbahnhof in Richtung der ersten der zahlreichen Plätze der Stadt, wird schnell ein Flair von "Mulitikulti" offensichtlich. Eine Suche nach der arabischen Seite Neapels.
Mit der Dichte der Satellitenschüsseln auf den Häusern wächst auch die Einsicht: hier leben viele Araber - außerhalb der Länder, die man als „arabische Welt“ kennt. Dank der Satellitenschüsseln können sie bei TV-Quizzen mitmachen, ihre Familien grüßen und mitverfolgen, wie ihr Emir, Cornel oder Präsident ihr Land regiert. Ja, das waren die bittersüßen 1990er Jahre, als der Tahrir-Platz noch als Treffpunkt derer galt, die zu viel Nescafé trinken. Zu diesem Zeitpunkt bestand meine Vision auf die Welt (meiner lückenhaften Ausbildung geschuldet) noch darin, die wirtschaftliche Realität der Armen erfolgreich zu verdrängen; heute glaube ich ans „Wir“, und das ist überall… Wir verkaufen Hummus, machen Tee, behandeln Zahnschmerzen oder führen ein Geschäft, in dem man Tunikas, Schals und handgefertigte Kissenbezüge kaufen kann. Und dieses „überall“ war nicht immer zwangsläufig fernab der Heimat. Für einige war es: Neapel.
Und woher kommst du?
Die Männer, die am Fuß der Garibaldi Statue sitzen, starren vor sich hin. Sie sehen hungrig aus, betrunken, high oder genervt. In Neapel ist es sowieso schwer, zu sagen, jemand komme von „hier“ – und ich kann sie nicht lange genug anstarren, um erraten zu können, woher sie wohl kommen. Einer von denen, die kamen ist ein äthiopischer Imam. Er immigrierte 2011 von Lybien nach Italien, als dort die Revolution ausbrach. Auf dem Weg in sein Büro, das in der Innenstadt in den etwas schäbigen Räumlichkeiten der Islamischen Vereinigung von Neapel Zayd Ibn Thabit (die keine offizielle Moschee hat) gelegen ist, werden wir gewarnt. Wir sollen unsere Haare ordentlich mit einem Kopftuch bedecken. Der erste Eindruck einer machistischen, patriarchalischen arabischen Kultur. Die Mehrheit der arabischen Familien schränken die Freiheiten der Frauen und Mädchen ein - eine schnelle (und banal scheinende) Erklärung dafür, weshalb sich unter den prominentesten Persönlichkeiten der arabischen Minderheit in Neapel keine Frau befindet.
Leider ist das oft die einzige Facette der muslimischen Kultur, für die der Großteil der Welt aufgeschlossen zu sein scheint. Dieser Artikel soll keine Abhandlung über die patriarchalistische Ausrichtung (und so weiter, und so fort) der islamischen und arabischen Kultur sein. Das erspare ich euch - in der Hoffnung, ihr werdet Menschen begegnen, die euch das auf ihre eigene Weise zeigen. So wie eine Libyerin, die meiner Mutter einmal sagte: „Zumra, der Islam ist keine Faust, sondern das“ und ihre weit geöffnete Handfläche zeigte.
Der Imam ist freundlich. Über die religiösen Gewohnheiten der auf 20.000 Menschen geschätzten arabischen Bevölkerung in Neapel weiß er nicht viel. Er kam an der italienischen Küste an, als die Behörden beim Ausbruch des Arabischen Frühlings Hotels und Jugendherbergen subventionierten, um die Flut der Flüchtlinge auf zu nehmen. Das Budget, das der Imam heute von Seiten der italienischen Regierung für seine Moschee erhält, ist schmal und reicht gerade einmal für die Stromkosten. Alles andere kommt von der Kollekte der Moscheegänger. Viele haben durch die Krise ihre Arbeit verloren; die gespendeten Beträge werden immer kleiner. Deshalb musste der Religions- und Arabischunterricht für die Kinder eingestellt werden. Doch unabhängig vom klassischen Religionsunterricht existieren einige alternative Initiativen. Darunter zählt Traduzioni Loqmane: Das Unternehmen von Abdelhak Loqmane lässt sich am besten als Übersetzungsbüro beschreiben, das Bestrebungen hat, zum Verlag oder zur Buchhandlung zu werden. Loqmane betont die Bedeutung des Dialogs und zwischenmenschlicher Verbindungen, und bietet gemeinsame Geschichtslesungen an. So setzt er seine Hoffnungen auf eine spürbare Präsenz der arabischen Kultur, die über reinen Konsum - wie orientalische Speisen, die in einem orientalischen Ambiente mit orientalischer Musik serviert werden - hinausgeht.
Palästina in Neapel
Kommt die Rede auf Neapels arabische Kultur, ist Omar Suleiman der erste, der erwähnt wird. Omar kam in den 1970er Jahren aus Palästina. Während seines Studiums engagierte er sich als Mitglied der Studierendenvertretung von Süditalien für palästinensische Interessen. Wie viele junge Männer, die gerade ihr Elternhaus verlassen hatten, konnte er nicht kochen. Mit der Zeit freundete er sich aber mit der Küche an und organisierte Partys bei sich zu Hause für seine Freunde. Ich stelle mir eine Gruppe junger Leute in Jeans-Schlaghosen und mit Beatles-Pilzkopf-Haarschnitt vor, die ihre dünnen Körper ruckartig zu den Klängen der Saiten einer Oud [Laute aus dem Mittelmeerraum; A.d.Ü] bewegen. Drei Jahrzehnte später ist Suleiman Geschäftsführer des Caffe Arabo und des Restaurants Amir, die der arabischen und palästinensischen Kultur gewidmet sind. Beide befinden sich unweit der Piazza Bellini, einem Platz, auf dem es von Bars, Cafés und Studenten der nahen Hochschule für Musik nur so wimmelt. Mit seiner Arbeit beim Palestine Observatory baut Suleiman sein privates Interesse für die arabisch-palästinensische und mediterrane Kultur aus.
Palästina ist ein Dauerthema innerhalb der neapolitanischen Community der Intellektuellen und Studenten, von denen die meisten am Orientalischen Institut studieren. Im April wurde Mahmud Abbas, dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde die Ehrenbürgerschaft von Neapel zugesprochen. Dennoch bestehen meine Gesprächspartner darauf, dass der arabische Einfluss und die Beschäftigung mit aktuellen sozialen und kulturellen Fragen der arabischen Welt in Neapel geringfügig bleiben. Die typischen Menschen, die sich dafür interessieren, sind gebildet, weltoffen und jung - eine Minderheit für sich.
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Heute ist es schwierig, die zukünftige Wahrnehmung der arabischen Kultur vorherzusagen. Sie hängt nicht länger von örtlichen Gegebenheiten ab, die von lokalen Akteuren gesteuert werden. Neapel geht sehr offen mit den Herausforderungen, die sich dadurch stellen, um. Die Neapolitaner, die ich treffe, sind weder stolz darauf, noch sehen sie sie als touristische Attraktionen. Doch trotz des ausgeprägten Sinns für die einfachen Freuden des Gemeinschaftlebens - wie die klischeehafte, laute Mahlzeit mit der Familie - gibt es ein starkes Verantwortungsbewusstsein und ein Gefühl der individuellen Beteiligung. Dadurch - mit Sympathie, Toleranz und Offenheit - entsteht ein Modell der sozialen Interaktion. Diese Art, mit den zahlreichen Herausforderungen, die an jeder Straßenecke, an jeder Kreuzung und an jedem Platz von Neapel warten, umzugehen, erinnert fast an eine Utopie - dekoriert mit Halbmonden.
Ein riesiges Dankeschön an Federica Signoriello, Alessia Damiato und das Team von cafébabel Neapel Dieser Artikel ist Teil der Reportagereihe EUtopia on the ground, die jeden Monat die Frage nach der Zukunft Europas aufwerfen soll. Dieses cafébabel Projekt wird von der Europäischen Kommission im Rahmen einer Zusammenarbeit mit dem französischen Außenministerium, der Fondation Hippocrène sowie der Charles Léopold Mayer-Stiftung unterstützt.
Translated from Naples and its Arab heart