Dänischer Dramatiker inszeniert Breiviks 'Manifest 2083': "Von der eigenen Faszination angewidert sein"
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Anke Wagner-WolffChristian Lollike war von der Lektüre angewidert. Aber das Manifest sollte nicht einfach unkommentiert im Internet stehen.
Jüngst kündigte der dänische Theaterdirektor an, er wolle das rassistische und anti-islamische Manifest des norwegischen Terroristen Anders Breivik "2083 – Eine europäische Unabhängigkeitserklärung" auf die Bühne bringen - ungeachtet aller Kritik aus dem rechten Lager und von den Familien der Opfer. Seine Idee wurde auch in Amsterdam aufgegriffen, wo derzeit ein Dialog zwischen dem niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders und Breivik vorbereitet werden soll. Ab Oktober 2012 soll der Monolog von Lollike im Kopenhagener CaféTeatret zu sehen sein. Aufführungen des Stücks sind auch für Norwegen geplant, das im letzten Jahr Schauplatz der Tragödie von Utoya war.
Christian, wie fügt sich das Breivik-Manifest in die Reihe deiner bisherigen Arbeiten als Bühnenautor ein?
Christian Lollike: Mein Interesse gilt stets der Untersuchung von abweichendem Verhalten, absonderlichen Gemütsverfassungen oder geschichtsträchtigen Ereignissen, die einen deutlich wahrnehmbaren Einfluss auf die Gesellschaft haben und schwer zu verstehen sind. Man hat mir vorgeworfen, ich würde den Terrorismus verteidigen, weil ich 2006 ein Stück über 9/11 geschrieben habe, in dem ein Terrorist seine Motive erklärt. In einem anderen Stück habe ich formuliert, dass jeder Mann ein potenzieller Vergewaltiger ist. Von rechts hieß es dann, wenn diese Auffassung einem Stück zugrunde liegt, sollten ihm die Subventionen entzogen werden. Sobald ich hörte, dass ein junger Norweger eine große Gruppe junger, politisch engagierter Menschen umgebracht hat, wollte ich verstehen, wie so etwas geschehen konnte und begann, das Manifest zu lesen.
Was hat die Lektüre des Breivik-Manifests bei dir ausgelöst?
Christian Lollike: Ich habe echt lange dafür gebraucht. In der ersten Hälfte geht es nur um den Islam und die Menschen oder ‘Lügner‘ - wie Breivik die Multikulturalisten nennt - die an ihn glauben. Ich bin kein Experte, aber Breiviks Sprache ist suggestiv und könnte manchen Menschen überzeugend erscheinen. All diese gewollt bösen Gedanken über Muslime haben mich sehr bestürzt und mir geradezu Kopfschmerzen bereitet. Es liest sich fürchterlich. In manchen Bereichen wirkt Breivik eigentlich vernünftig. Aber ziemlich schnell wird dem Leser klar, dass Breivik besessen von Verschwörungstheorien ist. Und kommt man dann zu den Teilen über die Tempelritter, fragt man sich endgültig, was der ganze Scheiß eigentlich soll. Man kann von der eigenen Faszination angewidert sein. Breivik gebärdet sich wie ein kindischer Mann, dessen Mission es ist, Europa von fremden Gedanken und Multikulturalisten zu befreien. Nur seine Taten lassen eben die Vorstellungswelt eines Kindes weit hinter sich.
Dient die Monolog-Form nicht als Sprachrohr für Breiviks Ideen?
Christian Lollike: Wenn er für sich selbst spricht, klingt das, was er sagt, ziemlich absurd. In dieser Hinsicht mache ich mir keine Sorgen darüber, ein Stück nach seinem Manifest auf die Bühne zu bringen. Gleichzeitig denke ich aber über eine Änderung der Form nach, um das Ganze in einen Kontext einzubetten. Natürlich werde ich seine Aussagen und Ansichten in Frage stellen, sodass seine Handlungen nicht unwidersprochen bleiben.
Hast du schon beim Lesen an eine Bühnenfassung gedacht?
Christian Lollike: Als deutlich wurde, wie ausdrucksstark und ekelerregend das Manifest ist, haben wir einige der Ideen herausgelöst und diese Auszüge mit einem Schauspieler auf der Bühne probiert. Es ging darum, Breivik nachzuspüren und zu sehen, wer er war. Das Schwierigste bei der Arbeit an einem neuen Projekt ist, dass man vergisst, womit man da umgeht. Man steckt mitten im kreativen Prozess und hat nicht mehr denselben Sicherheitsabstand und die Rationalität gegenüber den Fakten wie sonst. Man fragt sich: ‘Wie kann man das interessant wirken lassen? Eine der ersten, noch unreifen Ideen bei diesem Vorgang bestand darin, dem Schauspieler so einen Taucheranzug zu verpassen, wie Breivik ihn hatte, quasi um diesen Mann ‘anzuprobieren’. Dann sieht man es und denkt nur: ‘Oh, wie entsetzlich!’ – aber das war nur eine unausgegorene Idee in der Vorbereitungsphase. Ich versuche, den Menschen die Gelegenheit zu geben, ihn so zu sehen, wie er sich selbst wahrnimmt. Dabei will ich seinen Weg aus der normalen Welt in eine radikalisierte Finsternis versuchen zu begreifen. Ich werde auf jeden Fall auch andere Stimmen verwenden. Vielleicht wird der Monolog plötzlich durch irgendetwas unterbrochen und wird danach fortgeführt. Mein Ziel ist kein politisch korrektes Stück; das Publikum muss angeekelt sein, damit es alle Dimensionen erfasst.
Wie hast du dein Projekt gegenüber den Familien der Opfer verteidigt?
Christian Lollike: Das ist emotional gesehen sehr schwierig. Als die Geschichte bekannt wurde, haben mich die Medien als Mann ohne Mitgefühl dargestellt. Mein wichtigstes Argument ist nach wie vor, dass die Gefahr dieser speziellen Art von politisch motiviertem Terror weiterhin besteht. Das ist der Grund, warum wir dieses Ereignis verarbeiten müssen, um zu verstehen, wie es dazu kommen konnte. Außerdem kommen wir nicht an der Tatsache vorbei, dass dieses Dokument existiert und viele Menschen es lesen werden. Wir müssen es kontextualisieren, darauf eingehen und es einordnen, damit es nicht unkommentiert im Netz herumspukt.
Warum hast du das Verlangen, dein Publikum mit so viel Hass und krankhaften Ideen zu konfrontieren?
Christian Lollike: Eine ganze Menge von Breiviks Gedanken und Ansichten finden sich auch anderswo, selbst bei ganz gewöhnlichen Leuten, die sich gar nicht für Rassisten halten. In Dänemark haben wir auf mancherlei Art einen bestimmten Tonfall salonfähig gemacht, der einer Art negativem Diskurs in Bezug auf Ausländer, insbesondere Muslime, den Weg bahnt.
Inwiefern beeinflusst dich die Figur Anders Breivik persönlich?
Christian Lollike: Sie hat keinerlei Einfluss auf meine politischen Standpunkte. Wir haben eine ganze Reihe Workshops mit dem Schauspieler veranstaltet. Will man diese Gestalt auf die Bühne bringen, muss man sich in gewisser Art und Weise mit ihren Gedankengängen und ihrer Argumentation vertraut machen, um sich wirklich in diese Welt hineinzubegeben. Breivik ist kein origineller Denker; es ist nicht so, als ob man von seinen Gedanken verführt würde. Aber man erfährt diese makabre Faszination durch einen Mann auf seiner Mission, der allein gegen die ganze Welt steht. Seine Ansichten sind nicht so weit von denen einiger rechtsgerichteter nationalistischer Parteien entfernt. Er ist sehr von sich eingenommen und wollte in seiner Jugend in die Politik gehen. Er bekam sogar einen wichtigen Posten bei der Parteijugend der norwegischen Nationalisten [Fremskrittspartiet; A.d.R.], gab das aber alles auf.
Dein Stück soll auch in Norwegen aufgeführt werden. Meinst du, es kann eine wichtige Rolle in ganz Skandinavien übernehmen?
Christian Lollike: Das hoffe ich. Vielleicht bin ich zu optimistisch. Ich war der Erste, der das heiße Eisen angefasst hat. In Norwegen bestand breites Einvernehmen, darüber zu schweigen. Doch nun werden langsam ganz unterschiedliche Stimmen vernehmbar. Manchmal habe ich immer noch das Gefühl, ich sollte die Finger von dem Projekt lassen. Aber nachdem ich den Prozess in Gang gesetzt habe, muss ich jetzt auch weitermachen. Ich sehe das als meine Pflicht an.
Illustrationen: Christian Lollike ©Nicola Zolin; Libération (cc)Patrick Peccatte/flickr
Translated from Meet the Danish playwright staging Anders Behring Breivik’s 'Manifesto 2083'