Cheese People: Das "europäische" Gesicht des russischen Disco-Punk-Sound
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Ann-Christin DomsDie unkonventionelle Band Cheese People, die die russische Musikszene gerade in großem Stil umkrempelt, stammt von den Ufern der Wolga, etwas westlich des Urals, der die geographische Grenze zwischen Europa und Asien darstellt: Eine Band ohne Plattenvertrag, dafür aber mit viel Disco-Punk-Sound. Wir trafen das energiegeladene Quartett backstage in Moskau.
Der Raum über dem heiß begehrten English-Pub in Moskau, dessen Mix aus unaufdringlichem Dekor und Billigbier das Publikum magisch anzieht, ist verraucht. Ein junger Moskauer namens Gleb, Manager der Band Cheese People, bringt mich zum Backstagebereich. Die Mitglieder der Band und einige Fotografen fläzen dort auf alten Sofas. Sie sehen etwas durch den Wind aus. „Wir haben unseren Zug zum Flughafen von Krasnojarsk aus gestern verpasst“, erklärt Sergey, der Bassist. Krasnojarsk liegt in Westsibirien, über 4000 Kilometer von Moskau entfernt. „Wir hatten drei Stunden Zeit, um nach dem Gig zum Bahnhof zu kommen - und wir haben es trotzdem geschafft, den Zug zu verpassen! So mussten wir heute Morgen nach Moskau fliegen.“
Ihren ersten Auftritt hatte die Band 2007 etwas außerhalb ihres heimischen Samara. Seitdem hatten Cheese People fast 100 Auftritte; zumeist in Russland, aber auch in Finnland, Polen, Georgien, Weißrussland, Estland und Litauen. „Wir meiden den fernen Osten Russlands. Die Flüge dorthin sind zu teuer und der Zug braucht eine Ewigkeit.“ Auf Tournee zu gehen scheint für die jungen Musiker nicht gerade glamourös zu sein. Die Cheese People versuchen, immer auf die billigste Art zu reisen, was in Russland normalerweise „Bahn fahren“ bedeutet. „Wir träumen davon eines Tages einen kleinen Bus zu kaufen, um damit durch Russland zu touren. Aber momentan können wir es uns nicht leisten.“ Es ist nicht nur eine Frage des Geldes. Die Straßen in Russland sind so schlecht, dass der Zug das verlässlichste Verkehrsmittel für alle ist, die durch das große Land reisen wollen.
Weißrussische Musik bevorzugt
Für die Band ist der Gedanke, bald auch groß in Europa durchzustarten, absurd. „Wir selber hören keine russische Musik“, sagt Sergey, „es ist also höchst unwahrscheinlich, dass Europa das tut. Und sowieso mögen wir andere russische Bands nicht. Wir aber sind eine russische Band mit europäischer Orientierung.“ Cheese People beschreiben russische Musik als flau und unoriginell und sie verweisen darauf, dass deren Sounds deutlich von der Musik außerhalb Russlands geprägt sind - was bei Cheese People aber nicht anders ist: „James Brown, Red Hot Chilli Peppers, The Prodigy und Jamiroquai haben den größten Einfluss auf unsere Musik.“ Ist das der Grund, warum die Band auf Englisch singt? „Yeah, ich kann nicht auf Russisch singen. Es ist furchtbar!“ antwortet die Leadsängerin Olya, die ihre eng anliegende Indie-Fringe-Jeans zur Schau stellt.
Die Band schielt währenddessen westlich der eignen Grenzen in das Russisch sprechende Weißrussland, wo laut der Band die alternative Musikszene gerade im Kommen ist. „Die weißrussische Szene ist viel origineller und die Musiker sind echt gut“, erklärt Schlagzeuger Mikhail. Und er fügt hinzu, dass die Zensur in Weißrussland die Künstler dazu bringe, kreativer zu sein. So machen Einflüsse aus dem Theater und der Volksmusik die Musik interessant. Weißrussische Gruppen können im Gegensatz zu Gruppen aus der EU Russland ohne Visum bereisen - so sind die musikalischen Einflüsse und Beziehungen der beiden Länder recht eng.
Freie Downloads in Russland
Cheese People haben keinen Plattenvertrag. Ihre Musik haben sie zu Hause im Wohnzimmer produziert. Produziert wird über Manager Gleb, der erklärt, dass die Situation für alle russischen Bands, die nicht zum Mainstream gehören, etwa gleich sei: „Ich sage immer, dass es heutzutage keinen Sinn macht, bei einem Label unter Vertrag zu stehen“, sagt er, „die Leute, die bei russischen Labels arbeiten, sind 40 Jahre und älter. Sie haben keinen Sinn für den Geist der Zeit. Sie arbeiten sehr langsam und haben keine Ahnung davon, wie Platten verkauft werden.“
Das letzte Album der Band “Well, Well, Well” kam im April 2010 heraus. Es ist kostenlos per Download im Netz zu haben. In Russland sind kostenlose Downloads weder fortschrittlich noch großzügig, sondern ein Akt der Notwendigkeit. Die Internet-Piraterie ist so stark verbreitet und dermaßen unkontrolliert, dass selbst die größten Künstler nicht vom Verkauf ihrer Alben leben können. „Wenn du etwas verdienen willst, dann musst du viele Konzerte geben“, sagt Gleb. Doch der Kartenverkauf für die Gigs verlangt Werbung. Kostenlose Downloads tragen also langfristig doch dazu bei, mit Musik Geld zu machen. Portale wie beispielsweise MySpace haben ebenso geholfen, eine Fangemeinde zu generieren und Werbung zu machen. So haben Cheese People zum Beispiel ihre Songs für Handy-Werbeclips, Schokolade und sogar einem mexikanischen Energydrink zur verfügung gestellt. Nach dem Interview sehen wir uns das Konzert der jungen Band an. Das Publikum ist aufgeheizt und Cheese People spielen ihre einprägsamen Songs mit Leidenschaft und Energie. Keine Spur davon, dass sie am Morgen noch 4000 Kilometer zurück gelegt haben. Nach dem Gig in Moskau geht es für die Band zurück in den Osten Russlands, nach Uljanowsk und dann nach Kazan (700 km bzw. 165 km entfernt) in den Ural.
Cheese People sind auf dem "Kubana", einem alternativen Musikfestival am Schwarzen Meer im August, zu sehen. Falls jemand im Juli zufällig in Moskau sein sollte, lädt die Band zum "Afisha Picnic", einem Open-Air Event in einem Park, ein.
Kostenloser Download von Cheees Peoples letztem Album: Well Well Well
Fotos: ©official myspace Cheese People
Translated from Cheese People: 'European' face of Russian music