Cecilia Malmström: "Europa verdient es, dass sich die Menschen als Europäer fühlen"
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BARBARA LEHMANNSchweden hat am 1. Juli die sechsmonatige EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Die 41-jährige Anna Cecilia Malmström ist ehemalige Abgeordnete der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE) und seit 2006 EU-Ministerin. Wir haben mit ihr über institutionelle Reformen, die Finanzkrise und die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gesprochen.
In einer Rede haben sie die ehemalige französische Abgeordnete und Intellektuelle Louise Weiss zitiert: „Die europäischen Institutionen haben europäische Rüben, Butter, Käse, Weine, Kälber und sogar Schweine hervorgebracht. Aber Europäer haben sie nicht geschaffen.“ Dem haben sie hinzugefügt: „Es gehört nicht zu meiner Aufgabe als Politikerin, die Leute davon zu überzeugen, sich europäischer zu fühlen.“ Ist nicht genau das eine ihrer Prioritäten?
Als Politikerin gehört es nicht zu meinen Aufgaben, den Leuten eine Identität aufzudrängen. Es gibt genug Beispiele in der Geschichte, die belegen, wie gefährlich so etwas sein kann. Wenn man jemanden davon überzeugen muss, sich europäisch zu fühlen, dann heißt das, dass man Europäer in Abgrenzung zu etwas Anderem ist. Diese Form von Nationalismus kann sehr gefährlich sein. Es ist hingegen eine ganz andere Sache, die Vorteile der europäischen Zusammenarbeit, die Vorzüge, in Europa zu leben, seine Werte, unsere gemeinsame Geschichte und Zukunft aufzuzeigen. Diese Aufgabe müssen ich und der Rest der Regierung sicherlich erfüllen. Europa verdient es, dass sich die Menschen als Europäer fühlen und spüren, dass Europa etwas für sie tun kann.
Schweden ist für seinen Euroskeptizismus bekannt. Warum hat sich in den vergangenen Jahren die öffentliche Meinung über europäische Angelegenheiten so deutlich verändert?
Wenn sie sich Eurostat oder nationale Statistiken ansehen, werden sie feststellen, dass Schweden vor zehn Jahren noch ein sehr euroskeptisches Land war, heute aber die Anzahl der Menschen, die für die EU sind, über dem europäischen Durchschnitt liegt. Fragt man die Leute, ob sie es gut finden, dass ihr Land zur EU gehört, dann antworten heute mehr Schweden als je zuvor: „Ja, wir finden, das ist eine gute Sache.“ (Die meisten) Schweden finden, dass es völlig natürlich ist, dass wir mit der EU zusammenarbeiten. Selbst wenn die Wahlbeteiligung in diesem Jahr ziemlich niedrig war, ist sie doch um 7% gestiegen. Das ist gegenläufig zu der Entwicklung in vielen anderen Ländern.
"Schweden braucht die Globalisierung schon allein deshalb, weil es im hohen Norden liegt"
In der vorherigen Regierung saß eine Anzahl von Euroskeptikern. Seit wir im Oktober 2006 an die Regierung gekommen sind, ist das nicht mehr so. Die jetzige Regierung ist Europa gegenüber positiv eingestellt. Wir haben versucht, am runden Tisch Diskussionen mit den Bürgern, politischen Parteien und Sozialverbänden zu führen. Ich bin durch das ganze Land gereist und habe an hunderten von Bürgersitzungen teilgenommen. Das Ergebnis ist, dass wir nun täglich über Europa sprechen. Bei aktuellen Problemen wie der Wirtschaftskrise und dem Verlust von Arbeitsplätzen wird den schwedischen Bürgern klar, wie wichtig die Zusammenarbeit ist. Gerade als kleines, im äußersten Norden gelegenes Land sind wir besonders globalisiert. Wir können Probleme nur gemeinsam lösen und die Europäische Union ist dafür eine ausgezeichnete Bühne. Aber es ist natürlich sehr schwierig, mit Sicherheit zu sagen, warum sich Meinungen ändern.
Was die künftige Erweiterung der EU angeht, so hat Island kürzlich beschlossen, die Mitgliedschaft zu beantragen, und die Türkei ist nach wie vor ein heißes Eisen. Was denken sie darüber?
Darüber wird in Schweden nicht wirklich debattiert, auch nicht während der Europawahl im Juni. Alle politischen Parteien unterstützen diese Mitgliedschaft. Bisher stehen die Menschen dem Prozess positiv gegenüber, die Schweden begrüßen Erweiterungen auch sonst häufig. Das Projekt EU sollte allen europäischen Nachbarn offen stehen, wenn sie die Kriterien erfüllen - was bei Island der Fall ist. Es ist eine Demokratie, aber natürlich müssen auch hier wie bei allen anderen Verhandlungen geführt werden. Die Türkei erfüllt die Kriterien bisher noch nicht. Aber in zehn, fünfzehn oder siebzehn Jahren tut sie das vielleicht. Das war die einstimmige Haltung der EU, als wir die Verhandlungen mit der Türkei aufgenommen haben. Ich respektiere, dass dieses Thema in einigen Ländern heiß diskutiert wird. Aber alle EU-Staaten sind sich darin einig, dass wir jetzt weiter mit der Türkei verhandeln sollten. Es ist wichtig, dass man sie in ihrem momentanen Reformprozess unterstützt. Es liegt im Interesse des türkischen Volkes, der EU und der Region, dass das Land zu einer Demokratie wird. Uns bleiben nur noch fünf Monate unserer Ratspräsidentschaft. Die französische Regierung hat zwei neue Kapitel in den Verhandlungen mit der Türkei aufgeschlagen, die Tschechen ein weiteres. (Seit 2005 sind elf von 35 Reformen angegangen worden.) Wir werden sehen, ob es möglich ist, dass wir ebenfalls zwei weitere Kapitel verhandeln. Wenn die spezifischen Bedingungen, die gegeben sein müssen, um Reformen in Angriff zu nehmen, erfüllt sind, werden wir das auch tun.
INFOKASTEN
Geboren in Stockholm, aufgewachsen inGöteborgund Frankreich;
Studium der Literatur an der Sorbonne in Paris und der Politik-PHD an der Universität in Göteborg;
Ehemalige Krankenschwester, Lehrerin und Forscherin;
Mitglied des Europäischen Parlaments seit 1999; ehemaligeAbgeordnete derAllianz der Liberalen und Demokraten für Europa(ALDE);
Verheiratet, zwei Kinder;
Cecilia Malmström spricht vier Sprachen.
Translated from Sweden's Cecilia Malmström: 'I'm a politician. It’s not my task to impose an identity on people'