Budapest: Darth Vader gegen rechtskonservative Kunst
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Da sich die Politik für ihren Geschmack zu sehr in die Kunst einmischt, nehmen sie die Sache jetzt einfach selbst in die Hand: Zeitgenössische Künstler in Budapest haben eine neue Bewegung ins Leben gerufen und treffen sich einmal wöchentlich vor der heiß diskutierten Kunsthalle der Stadt, um ihre künstlerischen Freiräume zurückzuerobern.
Der ungarische Kunstkritiker József Mélyi lacht schallend als er die Darth Vader-Maske aus seiner Tasche zieht. Mit der Zigarette in der Hand zieht er sich das sperrige, schwarze Plastikteil über. Szabó erklimmt daraufhin die Treppen zur Kunsthalle Budapest (Műcsarnok) und bleibt zwischen den massive Säulen am Eingang stehen. Er stemmt die Hände in die Hüften, während die Fotografin Dorottya Vékony eifrig Fotos von ihm macht. Was der Heilige Stephan, der von seinem Mosaik auf Darth Vader herabschaut, wohl über die Aktion denken mag?
Darth Vader ist nur eine der Reaktionen auf die Übernahme der Kunsthalle durch die regierungstreue und umstrittene Ungarische Kunstakademie (MMA). Jede Woche kommen József Mélyi, der auch an der Universität der feinen Künste (HUFA) lehrt, und zwei seiner Doktoranden, Márton Pacsika und Eszter Ozma, mit einigen Künstlern hierher, um spontan Protestkunst gegen die MMA zu machen, eine konservative Kunstakademie, die nunmehr zur höchsten künstlerischen Autorität in Budapest geworden ist.
Zusammen kreieren Fotograf und Künstler ein Bild, das anschließend auf dem Blog Kívül tágas veröffentlicht wird. Der Name des Blogs heißt ungefähr soviel wie ‚Draußen ist mehr Platz‘, aber es ist auch eine nette Art ‚Raus hier‘ auf Ungarisch zu sagen, so Márton Pacsika. „Wir haben diskutiert, ob wir uns einfach eine Woche oder eine Nacht vor die Kunsthalle setzen sollten“, sagt József Mélyi in Bezug auf die Entscheidung, ob man die Kunsthalle nun einfach kampflos der MMA überlassen solle.
Stattdessen hat sich die Truppe für ein längerfristiges Kunstprojekt entschieden. „Die einzige Chance ist es, das Thema in der Öffentlichkeit zu besprechen bis zu den nächsten Wahlen 2014“. Somit sind die Treppen, die zum massiven Eingangsportal am Heldenplatz führen, eine neue Szene für zeitgenössische Kunst geworden.
Schirmherr - Fidesz
Während sie das gigantische Gebäude mustert, weiß Fotografin Dorottya Vékony nicht so richtig, wie sie ihre Meinung zur MMA in Worte fassen soll. „Das ist aber auch einer der Gründe, aus denen ich hier bin“, sagt sie. Die Magyar Művészeti Akadémia wurde 1992 als private Kunstakademie von einer Gruppe konservativer Künstler gegründet. 2011, ein Jahr nachdem Viktor Orbáns rechtskonservative Fidesz-Partei mit einer Zweidrittelmehrheit ins Parlament einzog, wurde die MMA Ungarns offizielle staatliche Kunstakademie und wird auch in der neuen Verfassung als solche erwähnt.
Vertreter im Ministerium sind in puncto Fragen zu Machtstrukturen der MMA zu keiner Auskunft bereit, verweisen jedoch auf die Akademie selbst: „Wir sind über die unterschiedlichen Meinungen in Bezug auf die zukünftige Funktionsweise der Kunsthalle voll im Bilde. Es darf allerdings noch nicht so harsch kritisiert werden, da die Zusammenarbeit beider Institute ja noch in der Zukunft liegt.“
Dann gab es die Kontroverse um den 82-jährigen Direktor des MMA, György Fekete, der in einem Interview verlauten ließ, dass Künstler stolz auf ihre Nation sein und weder Ungarn noch die Religion kritisieren sollten. Erst kürzlich hatte er eine Ausstellung mit dem Namen What is Hungarian? der Kunsthalle als nationale Blasphemie bezeichnet. Kurz darauf wurde dann bekannt, dass die MMA die Leitung der Kunsthalle übernimmt. Die MMA hatte jedoch den aktuellen Direktor der Kunsthalle, Gabor Gulyás, der unter Fidesz eingesetzt worden war, zunächst einmal nicht vor die Tür gesetzt. Doch dieser sagte, er würde kündigen, sobald die Änderungen effektiv seien. Gulyás trat im November 2012 zurück.
Alles nur Silberköpfe
Neben bereits politisch motivierten Projekten in der Kultur fürchtet András Földes, dass Events und Locations für unabhängige Kunst irgendwann einfach dicht gemacht werden. „Ungarische Museen haben schon jetzt Probleme, für Heizkosten aufzukommen“, sagt er im Büro seiner Online-Zeitung Index. „Historiker müssen nebenberuflich als Nachtwächter arbeiten, weil Personalkosten gesenkt wurden.“ Aber Földes zufolge seien nicht alle Mitarbeiter der MMA auch Anhänger der Regierungspartei Fidesz.
Und dann ist da noch die Frage des Geldes. Die monatlichen Gehälter der MMA-Mitarbeiter sind eine ziemliche Ausnahme in der ungarischen Kunstszene. Und niemand protestiert? „Diejenigen, die protestiert haben, sind bereits keine Mitglieder mehr“, kommentiert Földes. Im Dezember 2012 waren elf Mitglieder ausgeschieden, 250 Mitarbeiter arbeiten weiterhin an der MMA. Das Durchschnittsalter liegt bei 65 Jahren, es gibt nur wenige Frauen. Földes kramt sein Telefon aus der Tasche, um uns ein Foto aus den hinteren Reihen eines MMA-Treffens zu zeigen: „Seht ihr, alles nur Silberköpfe.“
Das Kultursystem muss sich von unten her kreieren, nicht aufgestülpt werden.
Das Meeting vom Dezember wurde damals auch vom protestierenden Künstlerkollektiv NEMMA (Gegen MMA) unterbrochen. Ein MMA-Mitarbeiter verletzte einen Demonstranten mit einem Ordner. Die Protestler wurden als Kommunisten oder Bolschewiken beschimpft. „Die Reaktionen haben gezeigt, dass sie noch mit den Frustrationen, mit den Irrungen und Wirrungen aus Ungarns Vergangenheit leben. Sie denken, dass die kulturelle Macht von MMA eine Art Revanche für die Vergangenheit darstellt, als konservative Künstler während des Sozialismus unterdrückt wurden“, sagt Márton Pacsika, der an der Protestaktion teilgenommen hat. „Es handelt sich um eine Übernahme von rechts der Kultur. Jedes autoritäre Regime schleicht sich zunächst in alle Lebensbereiche: Kultur, Politik, Wirtschaft. Viktor Orbán ist die Kunst egal. Er verteilt einfach ein bisschen Budget und Macht an die MMA, damit ist die Sache für ihn gegessen. Es gibt gute Künstler an der MMA, doch das Problem ist, dass sie ein Kultursystem entstehen lassen wollen. Aber ich sage, soll das Kultursystem sich selbst von unten her kreieren, nicht aufgestülpt werden.“
In der Kunsthalle hängen Werke von Imre Bukta, eine der Künstlerinnen, die der MMA kürzlich den Rücken gekehrt haben. Die Mitarbeiter der Kunsthalle wollen nicht wirklich reden. „Ich bin da sehr vorsichtig geworden“, sagt ein Angestellter, der in der Mitte der Ausstellungshalle aber gern anonym Auskunft gibt. „Viele Angestellte hier haben Angst um ihre Jobs. Ich denke aber nicht, dass die Angestellten wechseln werden, sondern leider die Kunst.“ Bálint Csaba, ein junger Kunststudent, der die Ausstellung besucht, hält sich nicht so zurück und bezeichnet die Veränderungen in der Kunsthalle als „abscheulich“. Er hatte gehofft, dass ungarische Kunst noch immer für Inspiration stehe. „Aber grundsätzlich ist Unterdrückung immer gut für Kunst. Denn dann gibt es etwas, wogegen man rebellieren kann. Wenn du in einer westlichen Demokratie lebst, gibt es nichts mehr, worüber geredet werden müsste.“
Jószef Mélyi hat Angst, dass ungarische Künstler sich nicht mehr sicher fühlen und frei entfalten können. Deshalb wird er aus Ungarn wegziehen. Vor der Kunsthalle hält ein Tourist inne und möchte ein Foto mit Darth Vader, bevor dieser seine Maske für heute endgültig ablegt. Dann machen sich Künstler und Kunstkritiker auf den Heimweg. Nächste Woche werden andere Künstler hier vor Ort sein. „Das aktuelle System lässt Künstler schlichtweg ausbluten“, sagt Mélyi abschließend und strengt einen Vergleich mit dem Kultusministerium an, das hier in Ungarn dem Personalministerium unterliegt. „Im Film The Matrix besteht das Personal aus Robotern, die sich ihre Ressourcen von den Menschen holen. Wir leben bereits in dieser Matrix.“
Dieser Artikel ist Teil unserer Reportagereihe 2013 'EUtopia on the ground', unterstützt von der Europäischen Kommission in Zusammenarbeit mit dem französischen Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, der Fondation Hippocrène und der Fondation Charles Léopold Mayer pour le Progrès de l'Homme.
Illustrationen: ©Caroline Hammargren für 'EUtopia on the ground', Budapest, Februar 2013
Translated from Darth Vader defends 'right-wing takeover' of Hungarian art