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Bildung statt Rinderprämien!

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Default profile picture timo goosmann

Die Lissabon-Strategie wird nur erfolgreich sein, wenn der EU-Haushalt gründlich den Realitäten angepasst wird. Es wird Zeit, den Wettbewerb anzunehmen und in unsere Zukunft zu investieren.

Die Lissabon-Agenda ist kein zahnloser Papiertiger, den abseits der Realität lebende Bürokraten auf einer netten portugiesischen Vergnügungsreise ausgeheckt haben. Im Gegenteil, es handelt sich um eine grundlegende, lebensbejahende Strategie, die Europa dringend benötigt, um unser geliebtes europäisches Sozialmodell für künftige Generationen zu erhalten. Um es ganz deutlich zu sagen: Europa kann das von uns so gepriesene Sozialmodell nicht aufrechterhalten wenn wir es nicht schaffen, unsere Wirtschaft wieder kräftig wachsen zu lassen. Wer sagt, dass die Reformen ein Ende des Wohlfahrtsstaates bedeuten – und solche Stimmen tauchen häufig auf – redet Unsinn. Mit schlimmen Folgen, daher müssen Argumente dieser gefährlichen Demagogen offensiv gekontert werden wenn wir zur Gesundung unserer Gesellschaft betragen wollen.

Rüstige und teure Rentner

Die größte Herausforderung liegt darin, dass wir in einer Gesellschaft mit rasch alternder Bevölkerung leben. Entgegen der allgemeinen Überzeugung ist das eine tolle Sache. Die Menschen leben nicht nur länger, sondern sie genießen dabei auch bis ins hohe Alter eine bemerkenswerte Gesundheit. Doch in Europa gehen die Menschen auch immer früher in Rente – und darin liegt das Problem. Als unser Sozialmodell entwickelt wurde, erreichte ein Großteil der Bevölkerung ein Alter, das kaum jenseits der 50 lag. Heute leben sie in völliger Normalität bis weit in die 70er, was zu einem steigenden Reservoir von Rentnern führt, das bald die Zahl der Arbeitnehmer übertreffen könnte. Können wir wirklich eine Situation akzeptieren, in der ein Arbeitnehmer Beiträge für einen Rentner erwirtschaftet und somit durch seine Erwerbstätigkeit zwei Personen über Wasser halten muss? Versicherungsstatistische Übersichtstabellen zeigen, dass wir uns diesem Szenario schon heute annähern. Ändern wir das System nicht, bricht es zusammen. Wenn wir nicht insbesondere die zahlreichen Anreize zur Frühverrentung aufheben, steuern wir sehenden Auges auf ein soziales Desaster zu, das uns unsere Kinder nicht vergeben werden.

Kein zweites Opel-Destaster

Der Lisbon Council, dem ich als Präsident dienen darf, ist ein zivilgesellschaftliches Netzwerk von Bürgern und Verbänden, die sich für die Umsetzung der Lissabon-Strategie einsetzen. Mit anderen Worten arbeiten wir, um Europa „zur wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaft der Welt“ zu machen, mit einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung, mehr und hochwertigeren Arbeitsplätzen und höherem sozialen Zusammenhalt. Um das zu erreichen ist es unserer Ansicht nach vonnöten, Partikularinteressen verschiedenster Art gerecht zu werden, auch der Gewerkschaften, denen wir durchaus das Prinzip der Tarifautonomie zubilligen, von denen wir andererseits aber auch ein höheres Verantwortungsbewusstsein in ihren Forderungen verlangen. Es findet sich leider keine wohltätige Organisation, die uns Europäern finanzielle Mittel zur Verfügung stellt, nur weil wir unsere Lebensart so lieb gewonnen haben. Unseren Lebensstandard müssen wir uns erst verdienen. Gewerkschaften, die ständig mehr und mehr Vorteile für ihre Mitglieder fordern, werden am Ende mit ansehen müssen, dass es immer weniger zu verteilen gibt. Schlimmstenfalls machen sie Europa zum wirtschaftlichen Ödland, ohne Investitionen oder wirtschaftliche Zukunftsaussichten. Man beachte den aktuellen Fall der Automobilproduktion von Opel, der gerade zu 12,000 Entlassungen in Europa geführt hat. Wir wollen nicht, dass sich so etwas wiederholt. Dafür müssen wir zu einer starken, wettbewerbsfördernden Agenda finden, die Europa in die Lage versetzt, auch weiterhin ein für Investoren und Arbeitnehmer attraktiver Standort zu sein.

Protektionisten-Lobby

Arbeitgeberverbände sind an der Misere ebenfalls mitschuldig. Wenn man nachfragt, sagen sie, dass sie sich stark für mehr Wettbewerbsfähigkeit einsetzen – die traurige Wahrheit ist jedoch, dass sie einen Großteil ihres lobbyistischen Muskelspiels zur Verteidigung von Subventionen und für einen verstärkten Protektionismus einsetzen. Diesen Forderungen nachzugeben wird Europa nicht wieder erstarken lassen: Wir müssen uns diesem ermüdeten und überalterten Amtsschimmel entgegenstellen. Wenn Europa wirklich die Ziele der Lissabon-Strategie erfüllen will, muss es den Wandel in Angriff nehmen und dringende Maßnahmen ergreifen, um den Wettbewerbsgeist, der den „alten Kontinent“ einst stark gemacht hat, wieder zum Leben zu erwecken. Denn: Es waren wir, die die industrielle Revolution erfanden – und den sozialen Wohlfahrtsstaat. Diesen kreativen Geist, den unsere Vorväter uns überlieferten, müssen wir wieder ergreifen, so wie die Franzosen es 1789 praktizierten, als sie eine Diktatur der Wenigen stürzten um dem Wohle Aller zu dienen. Wir müssen eine Gesellschaft aufbauen, die auf Chancen und Wissen basiert, in der jeder Einzelne sein immenses kreatives Potenzial entdecken kann, denn wenn der Einzelne erfolgreich ist, so ist es die Gesellschaft ebenfalls.

Die Staats- und Regierungschefs der EU einigten sich 2000 auf die Lissabon-Agenda, vor fast fünf Jahren. Das Ziel war klar: den wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt bis 2010 zu schaffen. Warum also machen im fünften Jahr dieses Programms Agrarsubventionen immer noch 45% des EU-Haushalts aus, während wir in unseren Universitäten pro Student mehr als 40% weniger als die USA ausgeben?* Wir appellieren an die politische Führung der EU und José Manuel Durrao Barroso, den designierten Kommissionspräsidenten, dieser lächerlichen Travestie sofort ein Ende zu bereiten und stattdessen endlich in unsere Zukunft zu investieren. Wir können und sollten jeden möglichen Cent in unser Bildungssystem investieren um somit unseren Kindern die Chance zu geben, ihre Träume zu verwirklichen und unseren Erwachsenen die Möglichkeit, sich durch lebenslanges Lernen auch im Berufsleben kontinuierlich weiterzuentwickeln. Wenn Herr Barroso es mit der Lissabon-Strategie ernst meint, sollte er mit einer ehrgeizigen Generalrevision der Haushaltsprioritäten der EU beginnen. Dabei könnte er womöglich aufwachen und merken, dass er die Unterstützung der wichtigsten Interessengruppe überhaupt gewinnen kann: der Menschen.

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* Zahlen aus dem Sapir Report (pdf)

Translated from Invest in education, not farm subsidies