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Berliner Bürger-Power: GreenLeaks, Stuttgart 21 und die Wasserprivatisierung

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kfluegge

KulturGesellschaft

In Berlin, einer der politisiertesten Städte Europas, spielt die Umweltpolitik eine große Rolle. Nicht ohne Grund hat ein australischer Dokumentarfilmer gerade hier einen „grünen Ableger“ von WikiLeaks gegründet.

Die weltweite „Enthüllungsbereitschaft“ findet auch bei der alljährlichen Berlinale ihren Ausdruck, die 2011 das erste erfolgreiche Referendum der Stadt in puncto Wasserprivatisierung auch in ihr Film-Programm aufgenommen hat.

Die ersten fünf seiner acht Jahre in Europa hat Scott Millwood zusammen mit Berliner Hausbesetzern verbracht - und auf diese Weise eine Einführung in die europäische Politik erhalten. „Anglo-amerikanische Politik ist darauf ausgelegt, eine Mehrheit zu erreichen. 51 % ist die magische Zahl“, erklärt der Rechtsanwalt und Dokumentarfilmer bei einem Cappuccino in Kreuzberg. „Alle achtzehn Bewohner hatten das Veto-Recht. Wir mussten uns also einigen. Nur durch sehr lange Diskussionen kamen wir zu Kompromissen. So haben wir gefunden, was wirklich wichtig war. In der europäischen Politik braucht man dieses Durchhaltevermögen. Daher ergehen sich Deutsche in rigorosen Diskussionen. Wunden müssen freigelegt werden, alles muss raus. Das ist in Berlin ein entscheidender Faktor.“

WikiLeaks, GreenLeaks.com, Greenleaks.org und OpenLeaks

Der Australier studierte zunächst Jura in Melbourne und an der Berliner Humboldt-Universität, in den USA erlernte er das Filmhandwerk. 2008 veröffentlichte er das Buch und die Dokumentation Whatever happenend to Brenda Hean? [Was auch immer mit Brenda Hean geschehen ist?; A.d.R.], über die in den 1970er Jahren weltweit erste Anführerin einer grünen Partei, die nach einem Flugzeugabsturz verschwand. Das Vakuum, das durch WikiLeaks entstanden ist - „die Verwendung reiner, von der Presse unveränderter Informationen, um einen direkten Effekt zu erzielen" - habe ihm die Augen geöffnet, dass er die Geschichte der Brenda Hean - die auf Informationslecks der australischen Geheimdienste zu ihrem Verschwinden basiert - auch anders hätte angehen können. Anstatt drei Jahre für den Film zu verwenden, hätte man die Information auch einfach so im Netz veröffentlichen können.

Ende 2010 gründete er die Medienorganisation GreenLeaks.com mit dem Ziel Missstände im Bereich Umwelt- und Klimaschutz aufzudecken. Laut Millwood, reiche allein die Existenz eines solchen Projektes, um das Sozialverhalten und die soziale Verantwortung von Unternehmen zu beeinflussen. Wie sein Landsmann Julian Assange leiht Scott Millwood der Organisation sein Gesicht. Ein internationales Netzwerk wird GreenLeaks betreiben und zur Verwendung von herkömmlichen Briefkästen und E-Dropboxes ermutigen, um der Öffentlichkeit Informationen zugänglich zu machen. Nach Veröffentlichungen in großen deutschen Zeitungen besteht das Ziel darin, die Informationen mithilfe von Künstlern und Dokumentarfilmern in ein großes Ganzes einzuordnen.

GreenLeaks steht in keiner Verbindung zu GreenLeaks.org aus Kopenhagen, das aus Experten für Internet-Sicherheit, Anwälten, Journalisten und einem weiteren ehemaligen WikiLeaks-Mitglied, der isländischen Parlamentarierin Birgitta Jonsdottir, besteht. Die Seite wurde im Januar eingerichtet. „Wer in der grünen Bewegung etwas erreichen will, muss zunächst gegen seinesgleichen kämpfen“, sagt Millwood und verzieht dabei das Gesicht. „Ich bin schon seit mehr als 20 Jahren in der Umweltpolitik tätig. Es ist so unglaublich typisch: Die Rechte steht geschlossen hinter ihrer kapitalistischen Weltanschauung, aber bei den Linken gibt es nichts Gemeinsames, nichts, was uns eint; wir haben zu viele unterschiedliche Werte.“

Beide Organisationen haben sich für unterschiedliche Warenzeichen bei der EU eintragen lassen und sind sogar einen Rechtsstreit eingegangen. GreenLeaks.com gibt es zurzeit in 36 Ländern. Millwood geht davon aus, dass der größte Konflikt in Deutschland in 2011 um die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke ausgetragen wird. Mehrere Bundesländer, Greenpeace und Anwohner aus der Umgebung der ältesten Atomkraftwerke haben bereits Schritte in die Wege geleitet, um die Bundesregierung zu verklagen“, erklärt er. „Die Landtagswahlen im März sind von großer Bedeutung, da der Beschluss im Bundesrat noch keine ausreichende Zustimmung gefunden hat. Wenn eine der Landesregierungen die Farbe wechselt, dann kann die Regierungskoalition im Bundesrat ihre Mehrheit verlieren und somit eine Verfassungsklage wahrscheinlicher machen.“

Bürgerinitiativen: Von Stuttgart zu Berlin 21

An anderer Stelle in der Stadt, auf dem Potsdamer Platz, wirbt die erste „biologische“ Berlinale mit Energiesparlampen für den Roten Teppich, Öko-Umhängetaschen und Flaschen mit „Viva Con Agua“-Wasser, deren Erlös an Wasserprojekte in Entwicklungsländern geht. Außerdem werden alte Wunden wieder offengelegt. Ein Film über Stuttgart 21, der zufällig mit Handkameras aufgenommen wurde, wird außer Konkurrenz in der Kategorie „Perspektive Deutsches Kino“ gezeigt. Der 75-minütige Film enthält den lautstarken, markerschütternden Protest der Stuttgarter, die dabei zusehen müssen, wie ihre geliebten Bäume dem neuen Hauptbahnhof weichen müssen. Tatsächlich gehört die Maßnahme zu einem größeren Projekt der EU: Bundeskanzlerin Angela Merkel möchte Stuttgart als Teil der „Magistrale für Europa“ sehen, einer Hochgeschwindigkeitszugverbindung zwischen Paris und Bratislava.

Im Kino findet die Bürgerinitiative, die eine der erfolgreichsten der deutschen Geschichte ist, nun ihre Fortführung. „Es gab kein Konzept oder Drehbuch“, sagt Lisa Sperling, 24 Jahre, inmitten von Plakaten und Flyern. „Ab Januar 2010 sind wir zu den Protesten im Schlossgarten gegangen; am Ende hatten wir Material für ein ganzes Jahr.“ Ihr Kollege Florian Kläger, 23, sieht ähnlich verlegen aus. „Wir kamen um halb zehn und fanden Autos vor, die von anderen jungen Leuten besetzt worden waren. Der Adrenalinspiegel war hoch - es war der Wahnsinn.“ Produzent Peter Rommel, ein Freund von Lisas Familie sowie von Berlinale-Leiter Dieter Kosslick, erklärt, er habe in Stuttgart 21 - Denk mal! investiert, um all jenen Älteren etwas zurückzugeben, die sich nicht von den Wasserwerfern vertreiben ließen.

Privatisierung der Wasserwerke: Der erste Beweis für die Berliner Bürger-Power

Der deutsche Trend zu Bürgerprotesten hat auch vor Berlin nicht haltgemacht. Die Berliner, die ihr „eigenes Wasser“ zurückfordern, feiern nun mit weißen Plakaten in der ganzen Stadt das geglückte Referendum gegen die Unternehmen Veolia und RWE, die 1999 den Berliner Wasserbetrieben (BWB) 49,9 % der Wasserwerke abkauften. Die Preise stiegen daraufhin um 35 % an. Im Gegensatz zum Londoner Wasser, das seit 1989 in privater Hand ist, tritt Berlin nun in die Fußstapfen von Paris, wo die Wasserbetriebe 2009 in den öffentlichen Besitz zurückgegeben wurden. Der Berliner Wassertisch, ein Netzwerk engagierter Bürger, iniitierte das Referendum, das für mehr Transparenz bei den Verträgen, die für die Teilprivatisierung geschlossen wurden, sorgen sollte. „Eins nach dem anderen“, warnt der Vorsitzende der Vereinigung Thomas Rudek auf einer Debatte über die „Zukunft des Wassers“ im Rahmen des Programmes „Kulinarisches Kino“ der Berlinale. „Bringt alles ans Tageslicht, führt die notwendigen rechtlichen Prüfungen durch und zielt auf eine kostengünstige Lösung ab. Es geht um die Transparenz von Informationen.“

Aktivisten des Berliner Wassertischs

„In Berlin herrscht das Gefühl, dass alles möglich ist“, erklärt Millwood, der von der Zahl der kleinen Gruppen von Befürwortern, der grünen Vereinigungen und Magazine überrascht war, die GreenLeaks.com bereits kontaktiert haben. Auch eine Zusammenarbeit mit der Initiative OpenLeaks, das drei Tage vor unserem Treffen vom ehemaligen WikiLeaks-Sprecher Daniel Domscheit-Berg in Berlin gegründet wurde, könnte er sich gut vorstellen. „Deshalb gibt es in Berlin so viele Künstler, Schauspieler und Aktivisten. Da wir hier keine rein kapitalistische Gesellschaft haben, gibt es Zeit und Raum, um solche Möglichkeiten zu entwickeln. Man kann hier günstig wohnen, Berliner müssen nicht kämpfen wie in Paris oder London, um ihre Miete zu bezahlen.“ Die fünf Jahre, die Thomas Rudek für die 3,7 Millionen Berliner investiert hat und die 172.000 Unterschriften, die er in dieser Zeit gesammelt hat, scheinen ein Ansporn für den Rest Europas zu sein. Die Facebook-Seite der Initiative zeigt, dass es auch in Italien bereits Bemühungen um Wasser-Referenda gibt. Passend dazu wählte der in Ungnade gefallene ehemalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg für den zu seinem Rücktritt veranstalteten Zapfenstreich am 11. März „Smoke on the Water“ von Deep Purple als offizielles Lied.

Dieser Artikel ist Teil unseres Balkan-Reportageprojekts 2010-2011 Orient Express Reporter!

Illustrationen: Homepage (cc) Eexlebots/flickr/subrevolt.com; Hausfrauen-Comic (cc) GreenLeaks.com; Wasser-Aktivisten in Berlin (cc) Berliner Wassertisch

Translated from Berlin citizen power: GreenLeaks, Stuttgart 21 and water privatisation