Berlin: weniger Autos, mehr klare Luft und ein sicherer öffentlicher Raum
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Daniel SchwahnEine Bürgerinitiative möchte die Bereiche innerhalb des Berliner S-Bahn Rings zur größten verkehrsberuhigten Zone der Welt machen. Dadurch würde die Hauptstadt zu einem Vorzeigemodell für die Beschränkung umweltbelastender Emissionen, neue Wege bei der Nutzung des öffentlichen Raums und ein solidarischeres und nachhaltigeres Lebenskonzept.
In Berlin – das gleichzeitig Stadt und Bundesland ist – haben die Einwohner die Möglichkeit, bei der Verwaltung Vorschläge einzubringen, die in einem letzten Schritt zu Gesetzen werden können. Im Allgemeinen funktioniert dies so: Es bedarf 20000 Unterschriften, damit ein Vorschlag oder Bürgerinitiative auf den Schreibtischen des Berliner Senats kommt.
Im Oktober 2020 hat eine Gruppe von Aktivisten und Aktivistinnen die Initiative "Berlin Autofrei" gegründet. Bis heute haben sie 50000 Unterschriften gesammelt – doppelt so viel wie benötigt! Doch worum handelt es sich hier genau?
Wer sich in Berlin auskennt, weiß das die 37 km lange Berliner Ringbahn das Zentrum und die wichtigsten Gegenden der Hauptstadt umschließt – eine Fläche von fast 88 km². Dazu gehören Kreuzberg oder der Prenzlauer Berg, der allseits bekannte Alexanderplatz, der Tiergarten, die Karl-Marx- Allee oder die parkähnliche Anlage des ehemaligen Flughafens Tempelhofer Feld (das allein schon größer als das Fürstentum Monaco ist): Das sind nur einige der Bezirke und bekannten Berliner Gegenden, die in diesem Bereich liegen – und die Liste könnte noch weitergehen.
Wer noch nicht in Berlin gewesen ist, kann sich auf einer Onlinekarte einen Überblick verschaffen. Das sollte ausreichen, um das Ausmaß der Initiative “Berlin Autofrei” zu verstehen. Das Ziel der Aktivisten und Aktivistinnen ist klar: das Gebiet innerhalb des S-Bahn-Rings für den Privatverkehr zu schließen. Der nächste Schritt, der jetzt nach der Bildung der neuen Regierung folgt, wird die Auseinandersetzung mit dem Gesetzesvorschlag im Senat sein.
Die Beschränkung der Benutzung von Privatwägen kann etwas reduktiv erscheinen. Ohne zu berücksichtigen, dass die 50000 Unterschriften möglicherweise nicht ausreichen werden. Sollte der Senat den Gesetzesvorschlag ablehnen, müssten die Aktivisten und Aktivistinnen erneut Unterschriften sammeln – mindestens 170000 – und das zwischen Juli und Oktober 2022, damit der Vorschlag zur Volksabstimmung zugelassen wird.
Mehr Platz für Fußgänger, Fahrradfahrer und den ÖPNV
Der Entwurf von Berlin Autofrei, dessen offizieller Titel "Berliner Gesetz für gemeinwohlorientierte Straßennutzung" lautet, ist präzise ausgearbeitet und verfügt über eine gesetzliche Struktur, die es dem Senat sogar erlaubt, sich früher als geplant damit auseinanderzusetzen.
Laut des Guardian könnte die Regierung Berlins, der auch die Grünen angehören, dem Entwurf bereits in den nächsten Monaten zustimmen und somit zum Gesetz werden lassen – wie schon 2018 bei einem anderen Volksbegehren, dem aktuellen Mobilitätsgesetz – und damit bereits vor der nächsten Unterschriftensammlung, die für das Volksbegehren nötig wäre.
Die Aktivisten und Aktivistinnen von Berlin Autofrei beklagen zwei hauptsächliche Probleme: den Klimawandel, in seiner lokalen und globalen Dimension, und den Mangel an öffentlichen Räumen in den Großstädten. Berlin ist eine der größten Städte Europas, und erst 2012 wurde das Auto mit 58% zum Primärnutzer des öffentlichen Verkehrsraums.
Die Iniziative plant die Art und Weise zu verändern, wie die verschiedenen Transport- und Verkehrsmöglichkeiten genutzt werden und will damit deren Konzeption neu definieren. Das Ideal dabei ist, die Stadt sicherer (allein 2020, betrafen Drei Viertel der Verkehrstoten Fußgänger und Fahrradfahrer), gesünder und grüner zu machen.
Im Konkreten bedeutet dies, dass der Entwurf eine Transitionphase vorsieht, während der nach und nach alle Straßen innerhalb des S-Bahnrings für Privat-PKW geschlossen werden – bis auf die bundeseigenen Autobahnstrecken.
Bedeutet das, dass es keine Fahrzeuge mehr im Zentrum Berlins geben wird? Selbstverständlich nicht: Ausnahmen bestehen für den ÖPNV, für die Rettungskräfte, den Lieferverkehr oder mobilitätseingeschränkte Personen. Ein weiterer Punkt des Entwurfes betrifft die Anwohner innerhalb des Rings, die die Möglichkeit haben werden, maximal 12 Fahrten mit dem Auto pro Jahr zu unternehmen, und dies ausschließlich im Falle von essentiellen Anlässen, wie beispielsweise einem Umzug.
Mehr Platz…weniger Emissionen!
Das Gesetz könnte Berlin zu einem einzigartigen Modell nicht nur für Europa, sondern für die ganze Welt werden lassen. Die Reduzierung von CO2-Emissionen durch Autos ist eines der wichtigsten Ziele, vor allem nach dem Pariser Klimaabkommen.
Diverse Studien haben gezeigt, wie tiefgreifend alle menschlichen Aktivitäten das klimatische Gleichgewichtig beeinflusst haben und damit zur globalen Erwärmung beigetragen haben. Der Schaden durch private Verkehrsmittel ist dabei der größte.
Allein in Europa entstehen 30% aller C02-Emissionen im Transportsektor und der Straßenverkehr macht dabei 72% aus – davon entfallen wiederrum 60,7% auf Privat-PKW (Daten von 2016, ndr).
Auch die Daten bezüglich der durchschnittlichen Insassen pro Auto sind interessant: Mit 1,7 ist dieser Wert in Europa sehr gering, vor allem im Vergleich zu öffentlichen Verkehrsmitteln (wie Bussen). Übersetzt bedeutet dies: Gäbe es pro Auto mehr Insassen, könnten diese zu einem umweltfreundlicheren Verkehrsmittel werden.
Elektroautos – obwohl sie schon seit Jahren eine wichtige Alternative zu Autos mit Verbrennungsmotor bilden – garantieren noch keine besseren Klimastandards – man denke nur an die Produktions- und Abwrackmethoden, die ebenfalls zu weiteren CO2-Emissionen führen.
Eine der Prioritäten der Europäischen Union ist der Kampf gegen den Klimawandel und deshalb wurden bereits verschiedene Maßnahmen vorgeschlagen und umgesetzt. Das Europäische Parlament hat 2019 neue Regeln zur Reduzierung von CO2 um 37,5% für Neuwagen bis 2030 verabschiedet.
"Die einzige Lösung ist die Reduzierung des Verkehrs – und nicht nur die Art und Weise wie und womit wir fahren", erklärt einer der Aktivisten der Initiative, Nik Kaestner, dem Guardian. Die Reduzierung des Verkehrs wird allerdings nicht ausreichen, betont Nina Noblé, die zu den Gründerinnen von Berlin Autofrei gehört. Man müsse den eigenen Lebensstil drastisch ändern, um so in sichereren und gesündereren Räumen leben zu können.
Berlin Autofrei gibt Gas bei der möglichen Annahme des Gesetzes – für eine radikale Reduzierung der umweltbelastenden Emissionen und eine Steigerung auf der anderen Seite der Solidarität und Nachhaltigkeit.
Titelfoto: Kreuzberg (Berlin, Oktober 2021) © Francesco Barbati
Translated from Berlino: meno auto, più aria pulita e spazi sicuri