Berlin: mein Nachbar, der Hipster
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Kathrin FaltermeierBerlin ist – wieder einmal – besetzt. Früher waren es die Ausländer… heute ist es die sich zunehmend ausbreitende Spezies des Hipsters, die den Hass der angestammten Bevölkerung auf sich zieht und bei so mancher extremistischer Gruppierung vergessene Freuden wieder aufleben lässt.
Zoom auf Neukölln, Szeneviertel der deutschen Hauptstadt zwischen Verteidigung des Zeitgeists und Widerstand gegenüber dem Eindringling.
Übrigens ist die Spezies seit kurzem Untersuchungsgegenstand des US-amerikanischen Professors Mark Greif, Autor des soziologischen Essays Hipster: Eine transatlantische Diskussion. In der New York Times hat Greif unter anderem die Meinung vertreten, man müsse Bourdieu lesen, um das Problem zu verstehen (La Distinction, 1979). Demzufolge sei es Geschmackssache, den Hipster zu lieben oder zu hassen.
Das ist auf jeden Fall die Meinung von drei jungen Leuten, die einen 3-minütigen Clip online gestellt haben, der den echten Berliner Hipster beschreibt. Joel, Maya und Jan – 21, 19 und 22 Jahre alt – sitzen in einem hippen Café, wie es viele in Kreuzberg gibt. Auf dem Tisch liegen gedrehte Zigaretten. Daneben steht ein Glas frisch gepresster Orangensaft, das die drei während des Gesprächs teilen. Drumherum jede Menge Röhrenjeans, karierte Hemden und Jutebeutel.
Wie auch immer. Eine Frage bleibt. Warum sollte ausgerechnet Berlin den gesamten europäischen Hipster-Hass auf sich ziehen? Die Antwort findet sich vielleicht in einem Imbiss im Osten der Hauptstadt. Im Hintergrund läuft Minimal Music, es gibt amerikanische Burritos. Nate Blanchard wettert zwischen zwei Bissen: „Come on, das ist nicht das erste Mal in der Geschichte, dass die Jugend versucht, sich mit etwas Neuem zu identifizieren! Das Problem ist doch, dass Berlin einen Hype erlebt und dass die Stadt von Hipstern ‚überschwemmt’ wurde.“
Nate ist ein adretter US-Amerikaner. Letztes Jahr hat er Kalifornien verlassen, um sich in Deutschland niederzulassen und die Verlockungen der Hauptstadt zu genießen: niedrige Mieten, super Konzerte, big party. Heute ist er, mit 22 Jahren, Manager bei American Apparel und antwortet „of course“ auf die Frage, ob er sich selbst als Hipster bezeichne. Eigentlich ist es Nate aber ziemlich egal. „Diese ganze Diskussion ist doch heiße Luft.“ Seine Gleichgültigkeit ist allerdings selten in Berlin. Um herauszufinden, dass niemand zu einem Begriff stehen will, der so vorurteilsbeladen bleibt, ist keine Straßenumfrage in Neukölln nötig. Und außerdem ist es, hier oder anderswo, ja gerade eines der Wesensmerkmale eines Hipsters, dass er sich darauf versteift, eben keiner zu sein.
Wie dem auch sei, eins steht jedenfalls fest: der Hipster hat Verkaufswert. Mittlerweile sind Veranstaltungen mit dem Label der meistgehassten Jugendbewegung ihrer Generation unzählig. Die Hipster-Olympiade, die letzten Juli stattfand, wurde von mehr als 6000 Menschen besucht. Start-Up Unternehmen werben für Pseudo-Festivals, um ihren Sucherfolg im Internet aufzubessern („Hipster“ ist einer der meistgesuchten Begriffe bei Google).
Oh ja, der Hipster-Hass macht manche Berliner glücklich... Und die ganze Stadt ist von einer sich vermehrenden Spezies besetzt. Die ganze Stadt? Nein! Eine Kneipe widersteht dem Eindringling noch immer. Auch wenn das Leben nicht immer einfach ist. Nachdem er all unsere Interviewanfragen ignoriert hatte, soll sich Matthias Merkle der Legende zufolge in einen Garten der Stadt zurückgezogen haben, um dort Bio-Gemüse anzubauen. Scheiß Gentrifizierung.
Dieser Artikel ist Teil der cafebabel.com Reportagereihe Orient Express Reporter II, ein von der Europäischen Kommission und der Allianz Kulturstiftung finanziertes Projekt. Vielen Dank an das cafebabel.com Localteam in Berlin.
Illustrationen: Teaserbild (cc)colinlogan/flickr; Im Text ©MA, Tags und Logo ©Facebook Hipster Antifa Neukölln; Video "Der Berliner Hipster" (cc)PolyeyedPhantom/YouTube
Translated from Berlin : mon voisin, le hipster