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Atheismus per Mausklick

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kfluegge

Gesellschaft

Das Internet hat unser Verhältnis zu organisierten Religionen wie dem Christentum verändert. Jetzt könnte es sogar zu ihrem Untergang führen. Die irische Webseite Countmeout.ie (auf Deutsch etwa: „ohne-mich.ie“) sorgte 2009 für internationales Aufsehen. Sie bietet ihren Nutzern den schnellen und einfachen Austritt aus der katholischen Kirche an.

Immer mehr europäische Muslime, Christen und Juden tauschen ihren Glauben gegen die Meinungsfreiheit – ein Überblick.

Moderne Technologie nimmt es mit jahrtausendealter Tradition auf. Einst sorgten gesellschaftliche Tabus dafür, dass die Angst vor dem sozialen Ausschluss den religiösen Status quo aufrechterhielt. Jetzt liefert das Internet den Abtrünnigen ein Forum, in dem die Redefreiheit an erster Stelle steht. Bereits 56 % der jungen Europäer im Alter von 15 bis 24 Jahren geben an, nicht an Gott zu glauben. Könnten Webseiten wie Countmeout.ie organisierten Religionen in Europa den Todesstoß versetzen?

Fall Nr. 1: Der britische Rat der Ex-Muslime

“Wir brechen das Tabu, dem Islam abzuschwören. Gleichzeitig jedoch setzen wir uns für Vernunft, für universelle Rechte und Werte sowie für Säkularismus ein“, so der Britische Rat der Ex-Muslime. Dem Beispiel seiner deutschen Schwesterorganisation folgend verkündet der Rat auf seiner Webseite ex-muslims.org stolz das Motto: „Wir haben der Religion abgeschworen!“ Dort werden auch Berichte von Ex-Muslimen gesammelt, egal ob namentlich oder anonym. Eine ehemalige Muslimin erklärt, dass die Webseite ihr den nötigen Mut gegeben habe, ihren Glauben endlich aufzugeben: „Wenn andere mutig genug sein können, um nach draußen zu gehen und laut auszusprechen, woran sie glauben, dann kann ich das jetzt vielleicht auch.“ Ein anderes anonymes Mitglied schreibt: „In den Augen von Fundamentalisten seid ihr alle Abtrünnige. Aber bald werdet ihr Helden sein. Gut gemacht.“ Apostasie – Abtrünnigkeit – ist in vielen islamischen Ländern ein Verbrechen, das mit dem Tode bestraft wird. In Europa werden Ex-Muslime häufig von ihrem eigenen Umfeld diskriminiert und eingeschüchtert. Der Britische Rat der Ex-Muslime lässt sich jedoch nicht einschüchtern. „Ich habe viele interessante E-Mails von Islamisten erhalten“, erzählt die Ex-Muslimin Maryam Namazie. „In einer E-Mail hieß es, dass wir den Islam gar nicht verlassen könnten. Allen, die so denken, muss ich sagen: Und ob wir das können.“

Fall Nr.2: Katastrophe für die Katholiken, Steuern für die Lutheraner

Seit ein paar Jahren überhäufen uns die Meldungen von Fällen körperlichen und sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche. Eine Welle der Abscheu ist dadurch ausgelöst worden, zu deren Ausmaß die kolossale Vertuschungskampagne des Vatikans noch beigetragen hat - an der selbst der Papst persönlich teilzuhaben scheint. 11.000 Iren nutzten bereits die Dienste von Countmeout.ie, um offiziell aus der katholischen Kirche auszutreten. Ähnliche Seiten sind auch in Polen und Italien entstanden. In Spanien hat die atheistische Bewegung anscheinend an Schwung verloren; die spanische Apostasie-Webseite liegt seit 2008 brach. Der Katholizismus ist nicht die einzige christliche Konfession, die auf dem Rückmarsch ist. Laut Jori Mantysalo von der finnischen Webseite Eroakirkosta.fi (auf Deutsch etwa: „Tritt-aus-der-Kirche-aus.fi“), war die Bindung zwischen dem finnischen Staat und der lutherischen Kirche einst sehr stark. In Finnland wird das Parlament mit einem Gottesdienst eröffnet und Lutheraner (80% der Bevölkerung) müssen 1,3 % Kirchensteuer zahlen. Zwei Jahre nach der Gründung von Eroakirkosta.fi kann die Seite schon 15.000 Kirchenaustritte verbuchen. Insgesamt schworen in diesem Zeitraum unglaubliche 160.000 Finnen ihrer Staatsreligion ab.

Fall Nr.3: Jüdisch sein, ob es gefällt oder nicht

“Zu behaupten, man sei ein ehemaliger Jude, hätte einen nicht vor der Gaskammer gerettet”, bemerkte Josh Kutchinsky im vergangenen April. „Andere definieren dich als Jude, ob es dir gefällt oder nicht“. Mit Bezug auf den Britischen Rat der Ex-Muslime stellt der Autor und Vertreter der British Humanist Association die sich aufdrängende Frage: Warum gibt es keinen Rat der Ex-Juden? Im Internet wird die Frage als sehr relevant empfunden. Sie wirft neues Licht auf ein altes Problem: Kann man aus dem Judentum austreten? Wenn ja, wie? Als genau diese Frage auf der jüdischen Informationswebseite chabad.org (deren Mission es ist, mithilfe des Internets Juden weltweit einander näherzubringen) gestellt wurde, erhielt sie eine kompromisslose Antwort: „Es gibt nichts, was wir tun können. Wir sind so jüdisch wie Moses“, sagt Rabbi Aron Moss. „Das Jüdischsein ist kein Glaube, kein Gefühl, keine Überzeugung oder Lifestyle. Es ist unser Leben. Wir können es entweder feiern oder dagegen ankämpfen, aber es wird uns immer begleiten.“ Kutchinsky würde an dieser Stelle wahrscheinlich widersprechen. „Es scheint so, als müsste ich Neuland betreten“, erklärt er, „Dabei glauben viele Menschen mit jüdischen Wurzeln nicht an Gott.“ Während die uralte Tradition weiterhin selbstgefällig daran festhält, dass man aus dem Judentum nicht austreten kann, folgt eine neue weltweite Bewegung den Worten Maryam Namazies: Und ob wir das können.

Fotos: Logo ©Frank Munari/monsieur haze/flickr ; Videos: ©Maryam Namazie, CEMBadmins/YouTube; Count Me Out ©Dugges/YouTube

Translated from Becoming an atheist? Renounce your religion online