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Asylmeile Athen: Gastlich aus Griechenland ausgewiesen

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Katha Kloss

GesellschaftPolitik

Eine Krise kann ein 'die gegen uns'-Gefühl verursachen. Besonders wenn Wahlen im Anflug sind. Eine halbe Million illegaler Einwanderer macht aus Griechenland – neben Spanien und Italien – einen der ersten Anlaufpunkte für Flüchtlinge von außerhalb der EU. Rechtsaußen-Parteien rühren deshalb kurz vor den Wahlen am 6. Mai, in einer Stimmung des allgemeinen Misstrauens, die 'Ausländer raus'-Trommel.

Es ist samstags fünf Uhr morgens, in der Nähe der Vorstadt Tavros im Südwesten von Athen. Es ist eine Parallelwelt, verglichen mit der Venue, von der wir kommen. Namentlich: ein von der 'Busking in Athens’-Crew organisiertes Event in der Spirit Bar im trendigen Psyri-Viertel, in dessen Rahmen der griechische Multikulti-Spirit mit Reggae und zahlreichen Jam-Sessions auf die Straße getragen wurde.

Nur eine Taxifahrt nach Tavros entfernt sagt uns der Fahrer, wir sollen unsere Taschen lieber verstecken und “mit unseren Köpfen und Beinen denken“. Hier stehen Asylbewerber jeden Samstagmorgen vor Sonnenaufgang Schlange, um ihre noch nicht so richtig offiziellen Papiere bei der Polizei vorzulegen. Letzte Woche hatte die griechische Polizei den 'Gästen' ihre Pforten um 6 Uhr 20 geöffnet. In dieser Nacht haben wir das Spektakel leider verpasst. Denn die ersten und maximal 20 Bewerber wurden bereits um 4 Uhr nachts empfangen. Eine herumlungernde Truppe wartet unterdessen auf den nächsten Bus nach Hause und lässt die dünnen Papiere in der Tasche verschwinden. Es sind gestempelte Aufenthaltserlaubnisse für 30 Tage und ein Asylantrag, der Passbilder, die Namen und Berufe der Eltern verlangt.

Nach Reggae ein wenig Blues

Die griechische Einwanderungsdebatte ist zwei Jahrzehnte alt. Sie begann mit einer erfolgreichen Einwanderungswelle legaler Migranten aus der unmittelbaren Nachbarschaft. „Die Albanier kamen aus der Wildnis des Hoxha-Regimes und haben sich recht einfach in die griechische Gesellschaft und Wirtschaft integriert“, erinnert sich der Architekt Konstantinos Labrinopoulos. Er ist vom trendy Psyri- in das schnieke Kolonaki-Viertel umgezogen, nachdem es zu Gewaltausbrüchen in der Nähe von Omonia gekommen war. Omonia ist einer der zentralen Plätze, die zusammen mit dem Montsirakis- und dem Syntagma-Platz das Dreieck der Athener Innenstadt bilden. “Zu Beginn dieses Jahrzehnts kamen Iraker, Afghanen, Bengalen und Pakistaner. Das war anders als das, was wir kannten.“ Doch auch die meisten illegalen Immigranten wollen mittlerweile nicht mehr in einem krisengeschüttelten Land leben, in dem reguläre Einwanderer und Asylbewerber über einen Kamm geschert werden.

Zwischen Griechenland und der Türkei wird eine Grenzmauer gezogen. Der einzige Weg, ins Land zu kommen, wäre zukünftig das Ägäische Meer.

Zurück in der Nähe von Tavros haben zwei Kongolesen zwei Tage lang vergeblich angestanden und außer Wasser nichts zu sich genommen. Sie sprechen hastig. „Ich brauche die Papiere, um meine 22 Jahre alte Schwester zu besuchen“, sagt Coco und deutet mit einem Blick in Richtung des gegenüber liegenden Gefängnisses. Auch die anderen Männer kommen näher. Interessiert oder vielleicht auch aufgrund der Kälte fassen sie sich ans Kinn, als sie hören was wir zum allgemeinen Klima zu sagen haben. Die EU-Rechtslage ist folgende: Ein Flüchtling muss im ersten europäischen Land Asyl beantragen, auf das er Fuß gesetzt hat. Die Menschen um uns sind weiter interessiert.

Während in Autos herbeieilende Mitarbeiter von Amnesty International, die sich der Gruppe anschließen, die Wunde eines Mannes begutachten und fotografieren, fragt sich Muhadin, warum 'diese Medienmenschen' immer auftauchen und sich aber trotzdem nichts ändert. Es ist seine achte Woche hier in Athen. Der 26-Jährige aus Bangladesch möchte nach Dänemark. Während wir auf die Hinterseite des Gefängnisses zusteuern, kommen wir an drei, vier Polizeiautos vorbei. Die Polizisten rauchen darin im Dunkeln. Nur kleine Lampen, die in einem Polizeiposten weiter hinten brennen, leuchten uns ein wenig den Weg. „Kommt nächste Woche wieder. Ihr habt nichts verpasst, es ist alles vorbei“, sagen verschiedene Stimmen.

Die rechtsextreme Partei Goldene Morgenröte verhofft sich insbesondere über Protestwähler gute Chancen am 6. Mai

Wir sagen Dankeschön und auf Wiederseh’n!

“Griechenland war schon immer eine ziemlich geschlossene Gesellschaft, mit einer gehörigen Portion Nationalismus und einer dominanten orthodoxen Religion“, sagt Thanassis Kurkulas, zum ersten Mal aufgestellt für die Linksaußen-Partei Syriza. Hier sind wir im „Paradis“ witzelt er und verweist auf die Outdoor-Bar Six D.O.G.S., in der wir uns befinden. Hier stehen kleine Bäume, reihen sich als wäre man am Strand Holzbänke und Hängematten auf drei verschiedenen Etagen. Während wir uns unterhalten seien Neonazis dabei, die Mathematik-Fakultät im Vorort Zografou zu stürmen, erklärt Kurkulas, der gerade einen Anruf erhält. Andere Quellen behaupten jedoch, es seien Anarchisten gewesen... Der Informatikprofessor, der mit seinem getigerten Feuerzeug herumfuchtelt und Kette raucht, hat im Jahr 2004 die Sunday Immigrant School ins Leben gerufen, die heute 500 Studenten und 150 freiwillige Mitarbeiter zählt. Die Büros liegen in der verrufenen Gegend Aghios Panteleimonas. “In den letzten zwei Jahren sind weniger Einwanderer zu uns gekommen – mindestens 90% verlassen uns aufgrund von Arbeitslosigkeit.”

Lest Die unsichtbaren Einwanderer von Athen auf cafebabel.com

Am 29. März gab das griechische Ministerium für Bürgerschutz bekannt, dass 30.000 illegale Einwanderer – „in griechischer Gastlichkeit“ - in über 30 Auffanglagern, meistens ehemalige Militärstützpunkte, im Land empfangen würden. Relativ schnell machte die kommunistische Partei daraus ‚Konzentrationslager‘. Auf dem Omonia-Platz filmt ein Fernsehteam die polizeiliche Befragung illegaler Einwanderer. In einer anderen Ecke des Platzes wird gerade eine Demo gegen die verheerende Arbeitslosigkeit in Griechenland vorbereitet. Die Stimmung ist betriebsam, aber von Anspannung keine Spur. Ein Gruppe Polizisten schicken uns unwissentlich zum selbstfinanzierten afghanischen Community-Center, das seit 2007 von Yunus Mohammadi geleitet wird. Er war eine der 11 Personen, denen 2005 Asyl in Griechenland gewährt wurde. Insgesamt hatte es 6000 Anfragen gegeben. „Es hat einen Monat gedauert, bis ich 2001 als politischer Flüchtling Pakistan, Iran und die Türkei durchquerte“, erinnert er sich. „An meinem zweiten Tag hier habe ich einen Job gefunden. Damals waren die Griechen noch gastfreundlicher.“

3 Straßen weiter befindet sich das afghanische Community-Center, das hauptsächlich mit Frauen und Kindern arbeitet. Für heute steht Koran lesen im Plan, morgen soll gemeinsam gekocht werden.

Even Yunus, der in einem Krankenhaus arbeitet, würde gern in seine Heimat zurückkehren. „Ich mag Griechenland, möchte aber nicht die griechische Staatsbürgerschaft.“ Er bedauert den Mangel an Information. „Wir versuchen den Griechen zu zeigen, dass unsere Religion nicht aus al-Quaida oder Terrorismus besteht. Davor sind wir nicht geflohen.“ Draußen erklärt Wazi, wie er aus Kabul geflohen ist, nachdem sein Vater ermordet wurde, weil er für ‚Ungläubige‘ arbeitete. Der Weg des 22-Jährigen vor 9 Monaten nach Athen war nicht leicht. Er musste einen toten Körper über die Berggrenze zur Türkei auf seinen Schultern tragen, nachdem iranische Beamte damit gedroht hatten, ihn ansonsten zu verbrennen. „Ich habe beim Gedanken, heute auf Arbeit gehen zu müssen, gezittert“, lächelt Wazi in Bezug auf die polizeilichen ‚Kidnapping-Aktionen‘ nur einige Meter entfernt.

Goldene Morgenröte und 50% Protestwähler gegen die EU-Troika

Im September 2011 wurde ein weiterer afghanischer Asylbewerber – nur 2 Jahre älter als Wazi - in Aghios Panteleimonos überfallen. Man braucht auch nur an die erste griechische Hass-Attacke, die 1999 vor Gericht kam, zu erinnern oder den mit einem Messer getöteten Griechen vom Mai 2011, der seine schwangere Frau ins Krankenhaus bringen wollte. Genau diese Art Geschichten geben der ultranationalistischen griechischen Partei Goldene Morgenröte (Chrysi Avgi) Aufwind. 2010 hatte sie einen Sitz im Kommunalrat ergattern können. 50% der Wahlberechtigten, die sich von der Koalition aus Sozialisten und Konservativen der Pasok und der Nea Dimokratia (Neue Demokratie) – Anhänger der Troika - ‚betrogen‘ fühlen, werden laut Umfragen für extreme Parteien stimmen. Die Morgenröte braucht nur die 3%-Hürde zu knacken, um ins Parlament zu kommen.

“Im Bus mit den Asylbewerbern in Athen versucht jemand, dessen Gesicht ich nicht erkenne, in der Nähe der Omonia-Metrostation meine Handtasche zu klauen“

Die Krux ist, dass weder die Mehrheit der Griechen noch die Einwanderer wissen, dass Flüchtlinge eigentlich nur in dem Land Asyl beantragen können, in dem sie auch gestrandet sind. Bis zur Ausweisung. „Sie sagen, sie wollen mich abschieben“, murmelt Muhadin aus Bangladesch. „Geht das denn?“ Die Griechen sind aufgrund der Dublin II Verordnung ziemlich frustriert, die besagt, dass Asylanträge nur dort bearbeitet werden können, wo die EU-Grenze als erstes übertreten wurde. Illegale Einwanderer und Flüchtlinge, die in anderen EU-Ländern ‚erwischt‘ werden, werden für das Asylverfahren unmittelbar nach Griechenland zurückgeschickt. Da das nicht immer so glatt funktioniert, haben der deutsche und französische Innenminister kürzlich damit gedroht, wieder Grenzkontrollen in Europa einführen zu wollen, um der Sache Herr zu werden. Im Bus mit den Asylbewerbern in Athen versucht jemand, dessen Gesicht ich nicht erkenne, in der Nähe der Omonia-Metrostation meine Handtasche zu klauen. In dieser verzweifelten Hektik bis zum Sonnenaufgang kann ich nicht sagen, ob es sich nun um einen Griechen, einen illegalen Einwanderer oder sonst wen gehandelt hat.

Dieser Artikel ist Teil der cafebabel.com Reportagreihe 2012 MULTIKULTI on the ground. Vielen Dank an das  cafebabel.com Athen-Team, insbesondere Elina Makri und Giorgos Kokkolis.

Illustrationen: ©Colin Delfosse für 'MultiKulti on the ground Athen by cafebabel.com/outoffocus.be; Omonia-Platz (cc)612gr/flickr/612.gr

Translated from Inner-city immigrant-city Athens: look Greek, look lively