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Das Lager

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Photographer: Jessica Brown

Das Lager

Zahlreiche haben davon gehört, einige es auch besucht: das Flüchtlingslager am Oranienplatz. Hier kämpfen über 100 Männer seit rund einem Jahr um ihr Recht auf Arbeit sowie um die Abschaffung der Residenzpflicht. Die meisten entflohen über Italien dem libyschen Krieg, der Rest schloss sich ihnen dann in Italien an. „Hast du schon mal schwarze Bettler in Deutschland gesehen?“, scherzt Ibrahim aus Libyen. „Komm mit nach Italien und ich zeige dir, wieso wir hier sind.“. Eine Arbeitsstelle zu finden sei in Deutschland illegal immer noch einfacher als legal in Italien. Die Stimmung ist fröhlich ausgelassen bis unangenehm angespannt. Die Lebensverhältnisse schlecht. Sie wohnen in Zelten oder selbst gebauten Hütten, überall stehen vom Regen durchgeweichte Sitzmöbel, die Kleidung, die zum Trocknen auf Seile gehängt wurde, klebt triefend an den Zeltwänden. Sie kochen Essen in großen Töpfen mit Gasflaschen, Ratten huschen – angezogen durch die Essensgerüche – vereinzelt umher. „Die Versorgung kostet uns für alle 120 € pro Tag“, bemerkt Bashir, ein Mann mittleren Alters aus Nigeria. „Wie kann man das Tag für Tag durch Spenden decken? Wir brauchen dringend die Erlaubnis zu arbeiten!“ Der Oranienplatz sollte im Oktober 2012 lediglich als temporäre Demonstrationsfläche dienen. Zu diesem Zweck wurden Zelte aufgestellt und eine Bühne für Konzerte errichtet. Die Bühne steht heute noch. Der Rest auch. Und mehr. Nachdem das Besetzen des Platzes auch noch im Dezember geduldet wurde, richteten sich die Afrikaner für den Winter ein. So entstand nach zahllosen besetzten Häusern der erste besetzte Platz in Berlin. Polarisierend und laut, mitten in Kreuzberg. Fast täglich kommt es zu Auseinandersetzungen, oft wegen der Spendenkasse. „Immer gibt es Ärger wegen der Spenden.“ höhnt Vincent aus Ghana, gen eine Kabbelei nickend. Das Bargeld verwalten die Flüchtlinge selbst, ein Zustand, der Ungerechtigkeiten provoziert. Einige Meter weiter bricht Jubel aus: Zwei Männer haben ihre Hütte fertig gebaut. Mit ansteckender Freude wird sie stolz präsentiert. Sie misst rund fünf Quadratmeter, verfügt über ein kleines Vordach, der Boden ist frei schwebend, gestützt durch vier Holzpfeiler. Dies ist auch wichtig. Nässe und Kälte, die vom Boden hoch dringen, sind nicht zu unterschätzen. „Wir brauchen endlich eine richtige Unterkunft!“, ruft ein Mann wütend aus. Noch einen Winter möchte wirklich keiner ein zweites Mal draußen am Oranienplatz verbringen. Zwei Häuser stehen beim Senat derzeit zur Diskussion. Falls keines der beiden infrage kommen sollte, wird dem Camp die sogenannte Kältehilfe zugesichert. So verfügen sie bis Ende März – gleich anderer Obdachloser – über eine warme Behausung. Doch mit der Überwinterung allein ist es für sie nicht getan. „Auch wenn wir in ein Haus ziehen, wir werden weiter kämpfen. Wir brauchen Arbeit. Ich dachte, Europa wäre ein großes Ganzes, eine Einheit. Doch auch mit unseren italienischen Pässen ist es uns als Touristen nicht gestattet, länger als drei Monate in Deutschland zu bleiben. Dieses Gesetz brechen wir bewusst, wir haben keine Wahl. Aber sag mir, was für eine Einheit ist das?“ Es ist wahrlich eine schwierige Situation. Viele Flüchtlinge sind in Besitz des „Asilo politico“, Ausweise die die Asylberechtigung in Italien quittieren. Ausweise, die ebenso zur Folge haben, dass sie in keinem anderen Land Europas mehr Asyl beantragen können. Hinzukommend gehört Italien zu den Ländern, in das man Flüchtlinge nicht zurückschieben darf. Abgesehen davon hätten sie dort kaum eine Chance, ein ehrenwertes Leben zu führen. Also stecken sie fest. Menschen, die auf der Suche nach Arbeit durch Europa reisten. Durch Berlusconi höflich verjagt, mit kostenlosen Bahntickets und Prämien geködert, solange die Fahrt nur gen Norden ging. Voll Hoffnung nach Deutschland gekommen, um sich endlich verwirklichen zu können. Und ohnmächtig am Oranienplatz in trister Umgebung gestrandet. Wie es weitergeht bleibt unbekannt.

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