Zweieinhalb Jahre Hochsicherheitstrakt
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Der Fall zweier Kurden aus Deutschland zeigt, wie in der Türkei der Rechtsstaat gebeugt wird.
Die vernehmenden Polizisten sagten Mehmet Desde und Mehmet Bakir ganz offen, dass sie nichts über sie wissen. Aber sie seien verdächtig. Beide saßen in verschiedenen Räumen, doch die Verhörstrategien waren identisch. Verbundene Augen, gefesselte Hände, Schläge, Misshandlungen und immer die gleichen Fragen. „Was wisst ihr über die Bolschewistische Partei Nordkurdistan-Türkei?“
Beide wussten nichts von einer solchen Organisation. Das nahmen ihnen die Polizisten allerdings nicht ab. Die Beamten suchten Schuldige, denn es waren Flugblätter in Izmir unter dem Namen einer solchen Partei aufgetaucht. Die Polizei konnte keinerlei Fahndungserfolge vorweisen, also formten sie sich die idealen Täter.
Es war am 9. Juli 2002, dass Bakir und Desde an der türkischen Ägäis verhaftet wurden. Sie sind beide Kurden aus Tunceli. Die Väter stammen aus der ersten nach Deutschland emigrierten Gastarbeitergeneration. Die Söhne kamen Ende der Siebziger aus der Türkei nach. Für die Polizisten ein weiterer Verdachtsmoment, denn in den 70er-Jahren lieferten sich Rechte und Linke in der Türkei blutige Auseinandersetzungen, die 1980 durch den Militärputsch beendet wurden. Tunceli galt als Hochburg der Linken. Ein ideales Täterprofil, mit dem alleinigen Haken, dass Mehmet Bakir erst 17 Jahre alt war, als er nach Deutschland kam. Mehmet Desde war Zwanzig, ein unauffälliger junger Mann.
Zufällige Bekannte
2001 ergriff Desde die erste Möglichkeit, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Er arbeitete als Krankenpfleger in einem Landshuter Krankenhaus, hatte eine schöne Wohnung und war stolz auf seine damals 19jährige Tochter Derya, die Abitur gemacht hatte und anfing, Betriebswirtschaft zu studieren. Mehmet Bakir (Foto links) hatte sich nach fünfjähriger Tätigkeit als Facharbeiter weitergebildet, legal politisch organisiert und publizierte als freier Journalist vor allem zu kulturellen Themen. Er wohnte mit seiner in Deutschland geborenen, kurdischstämmigen Frau in Berlin, fuhr aber häufig in die Türkei, um Artikel zu recherchieren und zu fotographieren. Auch sein Einbürgerungsantrag war bereits in Berlin gestellt worden, er wartete auf Antwort.
Nach der Festnahme wurden Wünschen nach Benachrichtigung der deutschen Botschaft, der Verwandten oder wenigstens der Anwesenheit von Anwälten völlig rechtswidrig irgnoriert. Die Polizisten wollten die beiden mürbe machen und erhofften sich die Unterschrift unter ein Geständnis. Die entsprechende Legende dazu hatten sie bereits entworfen. Mehmet Desde und Mehmet Bakir sollten Drahtzieher der Organisation sein und in der Türkei ein Ausbildungs-Camp organisieren.
Tatsächlich hatten sich die beiden im Urlaub zufällig kennengelernt. Mehmet Desde hatte kurz davor seinen Vater verloren und im nahegelegenen Denizli die Beerdigung ausgerichtet. Bei einem Badeausflug nach Kusadasi hatte er Mehmet Bakir kennengelernt, dessen Eltern in Altinoluk ein Ferienhaus haben. Zusammen mit fünf anderen Freunden waren sie losgefahren, um Mehmet Bakir nach Altinoluk zu begleiten und dort noch ein paar Tage Urlaub zu machen, als die Festnahme erfolgte.
Langwieriger Rechtsweg
Die Polizisten rasten vor Wut, als die beiden sich weigerten, die Geständnisse zu unterschreiben. Mehmet Desde musste sich ausziehen, wurde geprügelt, die Polizisten quetschten seine Hoden und drohten ihn in einem Fass einzuzementieren und ins Meer zu werfen. Erst nach vier Tagen Misshandlung wurden sie dem Haftrichter vorgeführt und verbrachten die nächsten sechs Monate in Untersuchungshaft, Mehmet Desde vier Monate davon in einer Einzelzelle des Hochsicherheitstraktes von Buca bei Izmir. Mehmet Bakir entließ man nach dem Verhör, um ihn dann allerdings festzunehmen als er am 1. August 2002 nach Berlin zurückfahren wollte. Das Gericht sah darin eine versuchte Flucht, es begann ein langwieriger Rechtsweg.
Zunächst wurden Desde und Bakir der Mitgliedschaft in einer gewaltbereiten, militanten Vereinigung beschuldigt. Während des Prozesses stellte sich heraus, dass außer einer später widerrufenen Zeugenaussage, die beiden hätten im Auto über ein Camp gesprochen, keinerlei Beweise existierten. Auch über die dubiose Organisation gibt es kaum Informationen. Im Laufe des Prozesses beschloss das Gericht, dass es sich um eine ideologisch staatsfeindliche aber nicht gewaltbefürwortende Organisation handle. In erster Instanz kam es nach einem Jahr dennoch zu einer Verurteilung durch das umstrittene Staatssicherheitsgericht: 50 Monate Freiheitsstrafe und 5000 Euro Geldstrafe pro Kopf.
Alptraum Türkei
Desde und Bakir hofften auf Revision. Diese wurde im Rahmen der durch den Annäherungsprozess an die EU verabschiedeten Reformen vor dem zivilen Landgericht in zmir verhandelt. Selbst der Staatsanwalt plädierte wegen der mangelnden Beweislage auf Freispruch. Vergeblich. Obwohl das deutsche Generalkonsulat mittlerweile ein Verfahren aufgrund der Folter im Falle des deutschen Staatsbürgers Mehmet Desde gegen die Polizisten führte, konnten Desdes und Bakirs Anwälte weder einen Freispruch erwirken, noch das Ausreiseverbot aufheben lassen. n letzter Instanz bestätigte die neunte Kammer des Kassationsgerichtshofes in Ankara am 26. Dezember 2006 die Verurteilung.
Mehmet Desde und Mehmet Bakir wurden zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt, weil sie einer Organisation angehörten, die gesinnungsgemäß staatsfeindlich ist. Eine Chance, ihre Strafe in Deutschland abzusitzen, haben sie nicht, denn dieses Delikt gibt es nach deutschen Gesetzen nicht. Die Folterpolizisten wurden Anfang Dezember 2006 aus Mangel an Beweisen freigesprochen, dabei gibt es einen detaillierten Bericht der renommierten „Stiftung für Menschenrechte“ in Izmir, ein von Ärzten geleitetes Zentrum zur Behandlung von Folteropfern. Dort wird bestätigt, dass Mehmet Desde körperlich und psychisch gefoltert wurde und bis heute typische Beschwerden hat, Kopfschmerzen, Gastritis, Taubheitsgefühle an den Extremitäten, Depressionen und Alpträume.
Mehmet Bakir ist nun seit fünf Jahren von seiner in Berlin lebenden Frau getrennt. Sie traut sich nicht, in die Türkei einzureisen, weil sie zwar deutsche Staatsbürgerin ist, aber einen kurdischen Migrationshintergrund hat. Sein Antrag auf Einbürgerung in Deutschland ist wegen der langen Abwesenheit hinfällig und er muss fürchten, dass seine Aufenthaltsberechtigung verfällt. Der Alptraum Türkei ist für alle Beteiligten noch lange nicht zu Ende. Mehmet Desde warten nun in zmir und Mehmet Bakir in Istanbul auf ihre Festnahmen, um die Haftstrafe anzutreten.
Die Autorin ist Mitglied des Korrespondenten-Netzes n-ost