Zum Unwohle
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Die Trinkfestigkeit englischer Jugendlicher ist berüchtigt. Der britische Staat bemüht sich um Gegenmaßnahmen – bisher vergeblich.
In der britischen Hauptstadt London wird nicht nur hart gearbeitet, sondern auch gebührend gefeiert. Besonders am Wochenende, wenn dem ausgelassenen Samstagabend mit Trink- und Tanzexzessen ein erholsamer Sonntag folgt. Eine Studie des Institute of Alcohol Studies in London fand heraus, dass Grossbritannien nach Irland und Dänemark den dritten Platz beim “binge drinking”* von Jugendlichen innehält. Gesoffen wird dabei meist bis zum Umfallen.
Der Trend hält an
Vor und während des zweiten Weltkrieges waren Jugendliche noch diejenigen, die am wenigsten Alkohol in der britischen Gesellschaft konsumierten. Auch danach war Alkohol für die Mehrheit junger Leute nicht von Belang, er wurde für sie erst ab den 60er Jahren populär. In den 80ern wurden dann die 18- bis 24-jährigen zum ersten Mal als die größten Trinker in Großbritannien eingestuft.
Bis heute hält dieser Trend an. Seine Gründe und Wirkungen sind vielfältig. Das Trinken hat eine soziale Komponente. Man trifft sich mit Freunden, geht miteinander aus und hat Spaß. „Sich zu betrinken, ist hier weit verbreitet, besonders Freitags nach der Arbeit“ sagt die 23-jährige Spanierin Begoña Pique Bernado, die seit einigen Monaten in London lebt. Besonders Jugendliche können durch Alkohol in der Gruppe Unsicherheiten überspielen und neigen sich dabei oft dem Gruppendruck. Mit ein paar Gläschen scheint alles gleich viel leichter.
Die britische Regierung versucht dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Ihre Strategie im Kampf gegen den Alkohol ist in einem fünfseitigen Dokument zusammengefasst, das 2004 vorgestellt wurde. Durch Fernseh- und Plakatwerbungen weist die Regierung auf die Konsequenzen des Alkoholmissbrauchs hin. So muss man mit 80 Pfund Strafgeld rechnen, wenn man sich nach starkem Alkoholkonsum an einem öffentlichen Ort übergibt. Dabei stellt sich jedoch die Frage, wie weit der Einfluss des Staates überhaupt reicht. Denn die meisten Minderjährigen trinken zu Hause und entziehen sich so jeder Kontrolle.
Andere Länder, andere Sitten
Nicht die nur die Quantität von alkoholischen Getränken als solche ist in Großbritannien unter Beschuss geraten, sondern die Trinkkultur im Allgemeinen Das Bild von spärlich bekleideteten Engländerinnen und ihren kotzenden Landsmännern ist für Ausländer oft sehr befremdlich. „In meinem Land würde man seine Freunde nie einfach zurücklassen, weil man besoffen ist, was meiner Ansicht nach in England häufig passiert“, sagt Silvia Garrido Kemp, eine 26-jährige Mexikanerin, die als Finanzberaterin in London arbeitet.
In den mediteranen Ländern Europas wird auch viel Wein und Bier getrunken, jedoch häufig als Begleitung zum Essen. Außerdem haben die Kneipen und Diskos in diesen Ländern länger auf, weshalb sich die Gäste nicht in kurzer Zeit schnell betrinken.
Die britische Regierung versuchte deshalb vor zwei Jahren, das Alkoholproblem in den Griff zu bekommen, indem sie Kneipen die Möglichkeit gab, länger als 23 Uhr zu öffnen, aber das Problem wurde nach Ansicht von Emilie Rapley, Pressesprecherin des IAS damit nicht gelöst. „Das neue Gesetz ist voller Vorurteile und unterstützt in erster Linie die Interessen der Alkohol-Industrie“, so Rapley. „Außerdem beruht es auf keinerlei wissenschaftlichen Beweisen. Alle Untersuchungen haben gezeigt, dass längere Verkaufszeiten nicht zu einer Reduzierung des Alkoholkonsums beitragen, noch zu einer Verringerung von Verbrechen unter Alkoholeinfluss führen“.
Die wirtschaftlichen, sozialen und medizinischen Konsequenzen sind auf Dauer schwerwiegend und stellen für den Wohlfahrtstaat eine Herausforderung dar. Obwohl Briten sehr viel Geld für Alkohol ausgeben und somit die Gastronomie fördern, sind die Ausgaben für die medizinische Versorgung und Polizeieinsätze sehr hoch. Laut einer Studie des Innenministeriums aus dem Jahr 2003 kostet das Fernbleiben vom Arbeitsplatz aufgrund von Alkoholkonsum die Arbeitgeber sechseinhalb Milliarden Pfund im Jahr, die Zerstörung durch Vandalismus kostet den Staat jährlich siebeneinhalb Milliarden Pfund.
Es bleibt abzuwarten, ob die neuen Kampagnen der Regierung Wirkung zeigen werden. Denn eine Untersuchung ergab, dass diejenigen Jugendlichen, die sehr viel trinken, auch am anfälligsten für andere Drogen sind, die nicht auf legale Weise erhältlich sind. Hier tut sich ein Teufelskreis auf, der nur mit langfristig angelegten Maßnahmen zu durchbrechen sein wird.
* Binge-Drinking: Zu einem bestimmten Zeitpunkt (z.B. Samstagabend) viel Alkhol trinken.