Zagrebs Jugend singt Revolution in allen Gassen
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Birke GeroldErschüttert durch Korruptionsskandale und ausgelaugt von der politischen Inkompetenz im Land, sammeln sich schon seit Monaten Kroaten aller Seiten, um gegen eine stumme Regierung Krach zu schlagen. Mithilfe einer Facebook-Revolution versuchen die Jugendlichen ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen.
Kroatische Journalisten und Studenten zeichnen das bissige Porträt eines Landes, das sich selbst "balkanisiert" hat.
Alles beginnt mit einem Burek, einem traditionellen jugoslawischen Gebäckstück. Während ich durch die Straßen von Zagreb flaniere und dabei die Lokalspezialität verschlinge, stoße ich zufällig auf eine Menschenmenge, die von einer Kameraschar umringt ist. Ich gebe mich als naiver Tourist aus, um herauszufinden, was sich da abspielt. Die Menschenansammlung, die ursprünglich aus etwa hundert Personen bestand, wächst im Eiltempo, während die revolutionären Barden mit heiserer Stimme in ihr Megaphon schreien. Im Rhythmus ihrer eindringlichen Parole „Mit uns auf die Straße“ erwacht die ganze Stadt.
Die Leute strömen wie Widerstandskämpfer zu Beginn einer Volksbefreiungsaktion zusammen – denn dieser Aufmarsch gleicht eher einer kroatischen Nationalfeier als einer Protestaktion, davon zeugt seine Zusammensetzung: Jugendliche, Alte, Männer und schwangere Frauen paradieren die Straße entlang. Der Trillerpfeifenverkäufer macht seinen besten Umsatz seit dem Mauerfall. Erst als ich einen Vierzigjährigen sehe, auf dessen Plakat die englischen Worte „Prime minister Kosor = stupid“ („Premierminister Kosor = dumm“) vzu lesen sind, bin ich mir sicher, dass ich mich nicht in der Demo geirrt habe.
„Ich glaube, wir brauchen die EU“
In das namenlose Chaos eingezwängt versuche ich, die skandierten oder auf Holzstücke gekritzelten Parolen zu übersetzen. Nichts Überraschendes: Sie reichen von „Kosor, tritt ab!“ bis hin zu „HDZ, Diebe!“ (HDZ ist die kroatische Regierungspartei; A.d.R.). Besonders betroffen macht mich die Horde junger Meuterer, die riesige Fahnen mit durchgestrichener Flagge der Europäischen Union schwenken. Subtile Nationalisten? Nein.
Antonija Letinic, eine meiner Kontakt-Journalistinnen vor Ort, erklärt: „Das ist weniger eine Nationalismus-Demonstration als ein Protest gegen die EU, weil sie auf einer ausschließlich wirtschaftlichen Grundlage funktioniert.“ Im Großen und Ganzen also Antikapitalisten. Eine von ihnen ist die junge Journalistin Marina Kelava, die bei einer der letzten unabhängigen Medien der Stadt, H-Alter.com, arbeitet: „Wenn Kroatien der EU beitritt, wird es sich selbst versklaven und unter die Fuchtel der europäischen Investitionen stellen. Das Land wird Europas Florida werden. » So weit, so gut. Doch als ich Tomislav und Luka treffe, beide Studenten an der Wirtschaftsfakultät von Zagreb, schmeckt die Suppe plötzlich weniger bitter: „Ich glaube, wir brauchen die EU. Nach allem, was wir durchgemacht haben, benötigen wir jemand anderen als unsere korrupte Regierung.“
Was sie alles 'durchgemacht' haben? Den Krieg (1991-1995), die Korruption (der ehemalige Premierminister Ivo Sanader sitzt im Gefängnis), Arbeitslosigkeit (14%). Das sind genügend Elemente, die dieses Land zu einem Pulverfass gemacht haben. „Wenn die Leute demonstrieren, dann weil sie verstehen, dass ihnen etwas fehlt. Das Problem dabei: Die verschiedenen Gruppen wollen verschiedene Dinge. Es gibt Studenten, die ihre Studiengebühren verringern wollen, andere, die anti-europäisch sind, und nochmal andere, die ausschließlich für ihren Fußballklub eintreten“, unterstreichen die beiden Studenten.
Die Rolle der Studenten: ein ideologischer Clash
Luka ist resigniert wie ein Kriegsveteran. Der 22-Jährige erklärt mir die Situation anhand einer Generationenanalyse: „Unsere Eltern lebten in grauenhaften Umständen. Und wir hinken heute hinterher. Den meisten Jugendlichen ist das egal. Erwarte bloß keine politische Meinung von einem jungen Studenten, denn in Kroatien beträgt die Ausbildungsrate im Oberschulwesen nur 7 %.“ Als ich diese Sicht der Dinge jedoch mit Marina Kelava bespreche, springt sie auf: „Es ist gefährlich, so zu argumentieren. Es ist an den Studenten, die Bevölkerung zu warnen – zu einer fortschrittlichen Alternative zu werden. Nur weil du in einer kleinen, spezialisierten Sphäre ausgebildet wirst, macht Dich dies das noch lange nicht zu einem Intellektuellen!“
Zwischen Zement und freiem Himmel
Fatalismus auf der einen Seite, Empörung auf der anderen: Die Kroaten sind in internen Streitereien gefangen, die ihren Zusammenhalt untergraben. Der Gegner ist immer der gleiche. Und der politische Umschwung kann nur von der Zivilgesellschaft ausgehen. Sergej Županić, Journalist bei Večernji list, empfängt mich vor einem 21-stöckigen Hochhaus, in dem die Hauptopfer der tiefen, sozialen Flaute vor sich hinvegetieren. Kriegsveteranen, Arbeitslose, schwangere Frauen… Es ist ein Ghetto. Und Sergej, ganz in schwarz gekleidet, fängt trocken an: „Die Leute leben in immer schlechteren Verhältnissen. Das ist eine schwerwiegende Krise. 14 % der Bevölkerung sind arbeitslos, das ist genau die Quote in Tunesien vor der Revolution.“
Aber Sergej freut sich auch über den demokratischen Aufschwung, da die Demonstrationen der Regierung klare Zeichen geben. Das erste Signal geht wie in Ägypten von sozialen Netzwerken aus: „Die Netzwerke haben es den Bürgern ermöglicht, sich zu versammeln – die Journalisten gaben ihnen nur die Instrumente dafür an die Hand.“ Die Generation 2.0 erstürmt das Internet, um daraus ein Forum für Forderungen sowie eine Ideenwerkstatt zu machen. Beispiel dieser elektronischen Revolution: www.nogomudupe.com (wörtlich „Tritt in den Hintern“), die kroatische Imitation der amerikanischen Version www.pressthepresident.com ermöglicht es den Nutzern, fordernde Mitteilungen zu posten und gleichzeitig den Regierungsmitgliedern virtuelle Ohrfeigen zu geben.
Doch auch wenn die kroatische Jugend aufbegehrt, läuft auch die Vergangenheit stets mit in den Straßen. Einige Kroaten sind beunruhigt: Antonija befürchtet ein Abflauen der Bewegung, was „den Nationalisten profitieren würde“. Und Sergej befürchtet Immobilität, was „das Land ins Chaos stürzen würde“. Andere träumen sogar von Flucht. Mit 22 Jahren sieht Lukas seine Zukunft nicht in Kroatien und bezweifelt, dass die Situation für seine jüngere, 14-jährige Schwester besser sein wird. Liegt unter dem Pflaster also der Strand? Höchstwahrscheinlich nicht hier vor Ort in Zagreb.
Fotos: Homepage (cc)black stena/flickr; im Text ©Nemanja Knežević
Translated from Zagreb, révolution et Kosor… Une génération qui croît à la hâte