Zagreb: Fahrradboom und Frühlingsgefühle
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Lara HampeZagrebs Bürger beschäftigt derzeit vor allem eins: der Fahrradstreit. Aktivisten und Gewerkschaften müssen den Bürgermeister anbetteln, damit er dieses umweltfreundliche Fortbewegungsmittel unterstützt. Denn der baut weiter Autoparkplätze – unfassbar für eine Stadt, die Träger des Preises „Nachhaltige Mobilität“ ist.
Obwohl Zagreb 2012 den Preis der „Nachhaltigen Mobilitätswoche in Europa“ gewonnen hat, ist der Platz, der den Radfahrern in der kroatischen Metropole eingeräumt wird, lächerlich. Die wirklichen Radsportfanatiker schließen sich deshalb neuen Projekten an.
Wenn man genauer hinschaut, findet man aber auch in Zagreb ein paar Radstrecken. Gelbe Linien ziehen sich an Bürgersteigen entlang. Aber ihre Lage wirft Fragen auf: Warum steht da ein Mülleimer mitten im Weg? Wie überquert ein Rad eine überfüllte Café-Terrasse? Wieso hört eine Spur plötzlich auf und fängt dann weit außer Sichtweite wieder an? Und wie fährt man außerdem über einen Bordstein, der mehrere Zentimeter hoch ist?
Die Absurdität der städtischen Lösungen
Aus der Nähe betrachtet werden die riskanten Wege von Graffitis betont: „Der Bürgermeister hat’s empfohlen“ oder „Achtung, der Kellner!“. Gesprüht hat diese das Sindikat Biciklista (Fahrradgewerkschaft, Anm. d. Red.), eine Organisation, die sich für eine größere Rücksichtnahme in Bezug auf die Radler in Zagreb einsetzt. Vladimir ist 26, Student und einer der Verantwortlichen: „Die Fahrradrouten sind absurd! Wegen ihnen werden wir zwei, drei Mal pro Jahr von der Polizei angehalten!“ Der Radfahrer muss sich hier nämlich an die oberste Regel halten: hört eine Strecke mitten auf der Straße auf, gilt absteigen und schieben, bis sie weiter geht – ansonsten droht ihm eine Strafe.
Die Gewerkschaft wurde im Juni 2011, im Rahmen der Konferenz „Frühlingsweihe des Fahrrads“, nach dem berühmten Stravinsky-Ballett benannt. Um die Organisation kümmerte sich das Bicicklopopravljaona, eine bekannte Fahrradwerkstatt. die von Mitgliedern der NGO Zelena Akcija („Grünes Handeln“) betrieben wird. Jeder kann dort vorbeischauen und kostenlos von einem freiwilligen Profi lernen, wie man sein Rad repariert.
Lujin ist einer der Gründer und erzählt: „Wir sind selbst überrascht von unserem Erfolg: Ghettos? Nein danke! Die Gemeinschaft hat sich hier von ganz allein gebildet, immer mehr Leute wollen sich jetzt hier einbringen!“ Jelena ist Studentin und kommt seit zwei Jahren regelmäßig in die Werkstatt: „Das hier hat sich schnell rumgesprochen, vor allem bei den Studenten. Die Preise der Verkehrsmittel sind im letzten Jahr noch mal gestiegen! Also kaufen sich viele ein Rad auf dem Flohmarkt und kommen dann her, um es zu reparieren.“
2011 wollten sich die Teilnehmer dann mit ihrem Projekt in der Politik engagieren und somit etwas Neues schaffen. So entstand die Fahrradgewerkschaft. Vladimir erklärt: „Das Ziel war anfangs, einfach eine gewisse Sicherheit für uns Radfahrer auf Zagrebs Straßen zu schaffen!“ Schnell hat sich die Bewegung ausgebreitet: Innerhalb einer Woche zählte die Facebookseite 2000 Likes. Im Juli darauf organisierte die Gewerkschaft ein Critical Mass (Demonstration zu Rad, Anm. d. Red.), zu der ein paar vereinzelte Leute erwartet wurden. Schlussendlich kamen 900. Tena, eine junge Anthropologin, schließt sich Vladimir an: „Vor ein paar Jahren gab es einen echten Fahrradboom! Die Leute haben das nicht mehr als ein Hobby, sondern viel mehr als ein Alltagsgegenstand gesehen."
Echo der Stadt
Viel Arbeit aber wenig Feedback aus dem Rathaus. Dort werden weder Versprechen gehalten noch wirklich Konkretes hervorgebracht. Das Ausmaß sind Pseudo-Radstrecken, die das Gefühl bestärken, das viele schon lange plagte: dass man sich im Rathaus über sie lustig mache.
Doch die Gewerkschaft kann auch anders als nur Protest. Sie schlägt Lösungen vor: öffentliche Fahrradleihsysteme, bisher gebe es ja nur die lächerlichen sechs unbenutzbaren Radstationen, und Abstellplätze wollen sie. Keine davon wurde berücksichtigt. „Der Bürgermeister findet noch immer den Autoverkehr praktischer, er baut deshalb immer mehr Parkplätze, kostspielig für die Stadt und fast kostenlos für die Benutzer. Auch die Geschwindigkeitslimits innerhalb der Stadt will er nicht senken“, beschwert sich Vladimir. Konsequenz: viele halten ein eigenes Auto noch immer für ein Muss. Trotz mehrerer Anfragen, wollte das Büro des Bürgermeisters uns auf diese Fragen nicht antworten.
Gerade hat es die Gewerkschaft ziemlich schwer. Auch wenn die Institutionen schmollen, sprießen Projekte aus dem Boden und gibt es immer mehr Zulauf neuer Mitglieder. Die Mentalität der Bürger Zagrebs verändert sich: man will die Straßen der Stadt zurückerobern. Die Radgewerkschaft ist nun auf Festivals präsent und vermarktet sich über Sticker, T-Shirts und kostenloses „Fahrrad-Babysitten“. Sie gilt inzwischen als unverkennbare „Marke“. Draußen aber tobt der Streit weiter.
Die Europäische Union und Studocik
Für Vladimir verändert der EU-Beitritt des Landes 2013 nicht wirklich etwas: „Natürlich verschafft er mehr Klarheit und Offenheit. Aber das Geld war schon vorher da.“ Öffentliche Projekte, wie zum Beispiel die „Woche der nachhaltigen Mobilität“, sind nichts weiter als ein Aushängeschild. Das Rathaus schafft es nicht, diese Chance wirklich zu nutzen und nachhaltige, lebendige Projekte ins Leben zu rufen.
Manche schaffen es aber trotz alledem. Seit einem Jahr zum Beispiel bietet die Fachschaft Verkehrswesen Studenten und Arbeitnehmern ein System des Fahrradteilens an: Studocikl. 40 Räder wurden aufgestellt, um zwischen den zwei Unigebäuden hin- und herpendeln zu können. Mario, Verantwortlicher des Projekts, sagt: „Wir wollten das studentische Leben leichter machen. Die Verkehrsmittel sind teuer und zu Fuß braucht man vierzig Minuten, um vom einen Gebäude zum anderen zu kommen. Oft kamen die Studenten zu spät zu ihren Kursen. Mit dem Rad brauchen sie nur eine viertel Stunde!“
Die Universität von Zagreb hat zwei Parkplätze für die Räder gebaut. Die Fachschaft hat eine Internetseite erstellt und hält das System auf dem neuesten Stand. Ursprünglich stammt die Idee von der NGO ODRAZ, deren Ziel es ist, die Projekte im Sinne der nachhaltigen Entwicklung zu fördern. Lidija, eine der Verantwortlichen von ODRAZ, hat das Ganze ins Leben gerufen: „Ich wollte etwas Konkretes mit den Rädern anstellen, sodass man später wirklich etwas Konkretes in der Hand hält.“ Die Rückmeldungen sind sehr gut – Studocikl „Ich will, dass die Leute lernen, den Platz zu teilen“, sagt Lidja zum Abschied.
Dieser Artikel ist Teil der Reportagereihe EUtopia on the ground, die jeden Monat die Frage nach der Zukunft Europas aufwerfen soll. Dieses cafébabel-Projekt wird von der Europäischen Kommission im Rahmen einer Zusammenarbeit mit dem französischen Außenministerium, deEinen Teil des Projektes hat die EU finanziert.
Translated from Zagreb : Des bâtons dans les roues