Yves-Marie Le Bourdonnec: Die Revanche des Steak
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Julia KorbikFleisch hat zunehmend ein schlechtes Image, und das überall in Europa: Vegane Ernährung liegt im Trend, Massentierhaltung sowie deren Auswirkungen auf die Umwelt werden kritisiert. Ist die Zukunft also fleischlos? Nicht, wenn es nach Yves-Marie Le Bourdonnec geht. Der Franzose und „Fleisch-Magier“ kämpft mit seiner Bewegung I love Bidoche für eine neue Art des Fleischkonsums.
„Die Viehzuchtbranche trägt 40 Prozent mehr zur Erderwärmung bei als alle Transportmittel weltweit zusammengenommen“, rechnet der amerikanische Schriftsteller Jonathan Safran Foer in seinem Buch Tiere Essen vor 6 ein Grund für ihn, zum Angriff auf die Fleischindustrie zu blasen. Die Internationale Agentur für Krebsforschung gibt derweil bekannt, dass rotes Fleisch „wahrscheinlich“ krebserregend ist. Und Ende letzten Jahres empfahl Terra Nova, einer der größten europäischen Think Tanks, den persönlichen Fleischkonsum aus umwelttechnischen und gesundheitlichen, aber auch finanziellen Gründen zu reduzieren. Nimmt man dann noch den Trend zur gesunden Ernährung und Veganismus hinzu, sieht es tatsächlich schlecht aus für den Fleischhandel.
Sogar in Frankreich, wo Fleisch von den meisten Tellern (noch nicht) wegzudenken ist, sind viele mittlerweile bereit, sich mit der Fleischindustrie anzulegen. So wie L214, eine Tierrechtsorganisation, bekannt vor allem für ein Schock-Video von 2016, in welchem die blutigen Methoden eines Schlachthofs im südwestlichen Frankreich gezeigt werden. Das Video warf ein harsches Licht auf die Misshandlung der Tiere und, nebenbei, auf die beklagenswerten hygienischen Zustände in der Branche.
Viele Franzosen sind mit den Aktionen von L214 einverstanden - doch einem schmeckt diese Form von Aktivismus gar nicht: Yves-Marie Le Bourdonnec. Der Pariser Fleischer findet die Proteste „extremistisch“ und „unehrlich“, denn: „Die treiben das Ganze wirklich ins Absurde. Damit befinden wir uns schon fast im Anti-Speziesismus (die moralische Diskriminierung von Individuen ausschließlich aufgrund ihrer Artzugehörigkeit; wichtige Theorie der Tierbefreiungsbewegung und Tierethik, AdR). Wir leugnen die Geschichte der Erde und der Evolution der Arten.“ Yves-Marie bezeichnet sich selbst als einen, „der zu denen gehört, die am meisten unter ihren ‚Attentaten‘ in Paris leiden.“
Weniger, aber besser
Dennoch: Die Philosophie von Yves-Marie Le Bourdonnec sowie der von ihm gegründeten Bewegung I love Bidoche (dt. Ich liebe Fleisch) nur auf den klassischen Widerstand gegen die Anti-Fleisch-Bewegungen zu reduzieren, wäre zu einfach. Vor allem deshalb, weil Yves-Marie so viel mehr ist als ein bloßer Fleisch-Fan. 2003 wurde er zum besten Fleischer Paris‘ gewählt, heute leitet der 49-Jährige vier Fleischereien in der Region Ile de France. Donnerstags und freitags heißt er seine Kunden persönlich in seinen Räumlichkeiten im Untergeschoss der Galeries Lafayette willkommen. Dort können Gourmets in Restaurant-Atmosphäre das berühmte Fleisch des noch berühmteren Pariser Fleischers kosten. „Ich habe I love Bidoche vor ungefähr zehn Jahren gegründet, um eine Antwort auf die vegane Bewegung zu geben… Ich teile also ihre Philosophie“, erklärt Yves-Marie.
Er stellt sich den verschiedenen Bewegungen nicht entgegen, sondern gibt zu: Fleischkonsum ist verhängnisvoll für die Umwelt und teuer in der Herstellung. „Wir können in den nächsten zwanzig oder dreißig Jahren nicht mehr so Fleisch essen, wie wir es bisher getan haben. Wir müssen weniger davon essen“, sagt er. Ausgehend von dieser Feststellung hat Yves-Marie 2010 I love Bidoche gegründet. Fleisch soll rehabilitiert, ein hochwertigeres Produkt werden: „Ein bisschen wie in Japan. Dort isst man pro Mahlzeit nur 30 Gramm Fleisch. In Frankreich isst man 150. Wenn man weniger Fleisch isst, sollte dieses Fleisch dafür unvergesslich sein.“
Auf „weniger, aber besser“ zu setzen, ist schlau - denn in Frankreich, einem Land, in dem Fleisch seit den 1950ern stets viel und gerne gegessen wurde, geht der Fleischkonsum seit 1998 zurück. Zahlen des französischen Landwirtschaftsministeriums zufolge aßen Franzosen 2014 pro Person nur noch 86 kg Fleisch jährlich; 1998 waren es noch 94,1 kg. Natürlich, im Vergleich zu anderen Ländern wird in Frankreich immer noch viel Fleisch konsumiert. Doch auch hier wird der Druck laut Yves-Marie Le Bourdonnec größer: die Auswirkungen auf die Umwelt und Gesundheit sowie der Preis einiger Fleischsorten werden über kurz oder lang den Konsum abstürzen lassen.
Fleisch sexy machen
Gekleidet in eine schwarze Weste und ein azurblaues Hemd ist Yves-Marie der Einzige in seiner Fleischerei, der nicht die traditionelle weiße Schürze trägt. Er ist bei seiner Tante und seinem Onkel in der Bretagne aufgewachsen. Dort entdeckte er seine Leidenschaft für Fleisch: „Zweimal im Jahr kam ein Fleischer zu unserem Hof in Tréguier, in der Bretagne, und schlachtete ein Tier für unseren Eigenverbrauch. Ich war fasziniert von dem, was er tat.“ Nach dem Tod seines biologischen Vaters beschloss Yves-Marie, seinen Familienstammbaum zurückzuverfolgen. So entdeckte er die Familie seiner Mutter, schon lange verstorben. Und, große Überraschung: „Sie waren alle Fleischer, der Beruf wurde von den Vätern an die Söhne weitervererbt. Das wusste ich nicht!“ Seine eigenen Söhne, so Yves-Marie, hätten am Anfang nichts mit seinem Beruf zu tun haben wollen.
Dieser Beruf, so sieht Yves-Marie es, gilt heute als altmodisch und ist es oft auch. Nur eine neue, andere Herangehensweise an Fleisch garantiere deshalb Erfolg: „Es geht darum, Fleisch sexy zu machen, qualitativ hochwertiger, eine Ethik zu bewahren und gleichzeitig die Viehzüchter zu respektieren, die immer so stiefmütterlich behandelt werden.“ Der Vorwurf, er habe aus Fleisch ein Marketing-Konzept gemacht, stört Yves-Marie nicht: „Ich kann alles, was ich mache, belegen. Meine Viehzüchter kann man besuchen. In Frankreich erzählt das Metzgerhandwerk noch von der Welt, wie sie vor 50 Jahren war. Ich hingegen erzähle keine Geschichte aus einem Kinderbuch, kein Marine auf dem Bauernhof oder so.“
Yves-Marie findet, dass die Klassifizierung der französischen Gastronomie als Weltkulturerbe die Franzosen „extrem prätentiös“ gemacht habe: „Man möchte uns weismachen, dass alles, was die Gastronomie betrifft, aus Frankreich kommt. Sogar im Bereich des Fleisches.“ Genervt davon, wie im Fernsehen über Fleisch gesprochen wird, prangert Yves-Marie einen Chauvinismus an, der nur sich selbst feiert und „Geschichten erzählt“. Er findet: „In den Zeitungen stehen Argumente, die wirklich nicht über das Niveau eines Kinderbuchs hinausgehen.“ Er verurteilt außerdem die „Naivität“, die den Landwirten im Fernsehen unterstellt wird und dass man „die Menschen dort für Idioten hält“. Also machte Yves-Marie eine 180-Grad-Kehrtwende - und schaute sich dort um, wo man bereits von einer neuen Art der Fleischerei, der „Neo-Fleischerei“ sprach.
Die Rinder auf den Golfplatz packen
Los ging es in Brooklyn, NewYork. Dort traf Yves-Marie einen der sogenannten neo-butchers, Tom Mylan, der in der Szene dafür bekannt ist „die Kühe wieder auf die Wiese zu bringen.“ An sich kein revolutionäres Konzept, für Yves-Marie allerdings schon: „Heute, wo die Industrialisierung des Fleisches sich in den USA in ihrer allerletzten Phase befindet, hat er beschlossen, zurückzugehen und zu sagen: ‚Packt die Rinder auf den Golfplatz statt dort zu spielen, und ihr werdet sehen, das Fleisch wird besser sein‘“. Bei der Neo-Fleischerei geht es in seinen Augen vor allem darum, verantwortungsvoll zu handeln, sich dessen, was man isst, sowie der Arbeit der Viehzüchter bewusst zu sein. „In den 1960er und 1970er Jahren war Fleisch essen ein Zeichen gesellschaftlichen Erfolgs. Man aß es, um zu beweisen, dass man einen guten Lebensunterhalt verdient“, sagt Yves-Marie. Heute hingegen „tötet man ein Tier nicht mehr einfach so.“
Der Familienvater beschloss, zu reisen, um an battles, also Wettbewerben von Fleischern überall auf der Welt teilzunehmen. Weil es in Frankreich nicht das gewünschte Interesse für Yves-Maries Ideen gab, versuchte er es eben im Ausland: „Nach dem neo-butcher in Brooklyn habe ich Henrick Dierendonck in Belgien getroffen, dann Tim Wilson in England. Wir haben unsere Erfahrungen geteilt.“ Man entdeckte Gemeinsamkeiten und die drei Männer nahmen an von ihnen selbst ausgerichteten Wettbewerben teil: „Der denkwürdigste war der in Belgien. Henrick hatte einfach einen Kreis eingerichtet, damit man das Fleisch direkt dort drin bearbeiten konnte.“
Zurück in Frankreich entdeckte Yves-Marie verschiedene Arten, zu arbeiten. Er erklärt: „Es gibt drei große Schulen des Zerlegens: die französische, super-präzise, chirurgisch. Im Gegensatz dazu die englische, in Scheiben. Und dann die japanische, geometrische, die gegen die Faserrichtung schneidet.“ Yves-Marie hat darauf seinen eigenen Stil aufgebaut, den „Stil Bourdonnec“. Diesen bringt er auch seinen Auszubildenden bei, die er in seiner Schule unterrichtet. Einen besseren Lehrmeister könnten sich die angehenden Fleischer nicht wünschen: 2008 wurde der Bretone von der New York Times für den besten Burger ausgezeichnet. Zwei Jahre später kürte diese ihn dann auch noch zum „Fleisch-Magier“, wegen seiner Zerlege-Technik, die er vor Publikum in seiner Fleischerei in Asnières, einem Pariser Vorort, demonstriert.
2012 schaffte Yves-Marie es zum ersten Mal ins Who’s Who, welches die 22.000 Personen präsentiert, die Frankreich nach vorne bringen. Im selben Jahr posierte er mit einer Rinderrippe nackt für einen Kalender. Heute, acht Jahre nach ihrer Gründung, kann Yves-Maries Bewegung I love Bidoche zahlreiche prominente Fürsprecher vorweisen - darunter der ehemalige Bildungs- und Kulturminister Jack Lang, der Schauspieler Pierre Arditi und der Jazz-Gitarrist Philip Catherine. 2013 folgte sowas wie die Krönung des modernen Zeitalters: Die Organisatoren der TEDx-Konferenz in Paris (TEDxParis) meldeten sich. „Sie haben Leute gesucht, die ihre Berufe revolutionieren“, erinnert sich Yves-Marie begeistert. „Ich, der ich das Theater liebe, stand vor 2000 Menschen auf der Bühne des Théâtre du Châtelet. Das fand ich wirklich toll.“
Fleischige Zukunftsvisionen
Aber auch wenn Yves-Marie Le Bourdonnec seine Zukunft in dem Metier gesichert hat -andere Fleischer werden sehr wahrscheinlich nicht seinem Weg folgen, denn die Branche verändert sich stark. „Wir essen immer weniger Fleisch, also machen sich die Fleischer automatisch Sorgen“, sagt Yves-Marie. „Man muss visionär sein und verstehen, auf welche Art wir es in Zukunft essen werden.“ Ihm zufolge gab es in Frankreich in den 1990ern circa 50.000 Fleischer. Heute seien es 8000. „In Paris und seiner näheren Umgebung gab es 1987 rund 12.000 Fleischer. Heute sind es nur noch tausend.“ Der Markt, so Yves-Marie, stecke nicht unbedingt in der Krise, aber der Beruf müsse sich neu erfinden.
Letztendlich sieht er Frankreich nicht als ein Land, in dem übermäßig viel Fleisch gegessen wird. In den USA beispielsweise sei der Fleischkonsum höher: „Überall Rinder. Sie haben das Modell industrialisiert und mit Hilfe von Hormonen ein Tier herangezüchtet, das Black Angus. Und dieses Vieh frisst schon lange kein Gras mehr.“ Es braucht keine Argumente von überzeugten Veganern und Tierrechtlern oder den Hinweis auf den Klimawandel, um Yves-Marie Le Bourdonnec zu seinem Fazit zu bewegen: „Da gibt es keinerlei Poesie mehr.“
Translated from Yves Marie Le Bourdonnec : la revanche de la bidoche