WM in Brasilien: Generation Playstation, go Home!
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Die Spieler, die im Moment in Brasilien auf dem Platz ins Schwitzen kommen, gehören der „Generation Playstation“ an. Im Taktik versessenen Fußballgeschäft gleichen sich die Spieler immer weiter ihren virtuellen Zwillingen auf der Playstation-Konsole an. Videospiele werden immer realitätsnaher. Oder wird der Fußball zum Videospiel?
Will man heute seine Verehrung für einen Fußballer wie Lionel Messi ausdrücken, sagt man am besten: „wie auf der Playstation". Verständlicherweise spielen Profi-Kicker sich abseits des Platzes deshalb am liebsten selber auf ihrer Konsole. Manche Spieler glauben sogar, dass ausgiebiges daddeln die Erfolgschancen auf dem Platz erhöht.
Mit dem ersten Blick auf den Bildschirm ist heute nicht mehr zu unterscheiden, ob es sich um eine Simulation oder die Übertragung der WM aus Brasilien handelt. Das Minenspiel und die Bewegungen der weltbekannten Stars wurden inzwischen so realistisch vom FIFA-Videospiel des Herstellers EA eingefangen, dass man die Originale manchmal für „unrealistisch“ hält. Ist die heutige Spielergeneration nun ihr eigener Avatar?
Albtraummaschine Nike
Der Sportartikelhersteller Nike hat neulich einen verblüffenden Werbespot zur WM veröffentlicht. Zur Rettung des Fußballs treten darin Cristiano Ronaldo, Neymar, Iniesta und Co. gegen die Klone von Perfect Inc. an, die „nichts riskieren“ (im Gegensatz zu den Nike-Fußballern, die „alles riskieren“). Der Deal: Wenn die Originale gegen die Klone verlieren, dann versichern die Originale nie wieder Fußball zu spielen. In einem dramatischen Match können sich letztendlich die Originale gegen die Klone durchsetzen. Der übermächtige Strippenzieher der Klone in Steve Buscemi Optik ist entsetzt. Das Ganze wäre eine schöne Geschichte mit Happy End, wenn nicht Nike selbst mit ihrer Marketingmaschinerie aktiv dazu beitragen würde, dass Fußballer zu virtuellen Wesen werden. Der amerikanische Hersteller taufte den Portugiesen Cristiano Ronaldo zu „CR7“ um – das klingt nach R2D2 von Star Wars. In der Praxis baut Nike die Klone selbst, statt sie zu besiegen.
Nike greift angeblich auch als unsichtbare Hand in die Aufstellungen, der von ihnen gesponserten Mannschaften ein. Die Gerüchte darum, dass sie ihre Werbe-Ikonen gegen den Willen der Trainer auf den Platz schicken, halten sich hartnäckig. Wer war nochmal der Strippenzieher?
Nike Werbevideo: The Last Game
In Platons Höhle
Zurück nach Brasilien: Im Eröffnungsspiel zwischen dem Gastgeber und Kroatien in Sao Paulo konnten wir unseren biergetrübten Augen nicht trauen. Sind das die echten Spieler, die sich da nach einem Foul in Super-Slow-Motion beim Schiedsrichter beschwerend auf dem Boden wälzen? Man musste einen strengen zweiten Blick auf das Geschehen werfen, um zu verstehen, dass es sich dabei wahrscheinlich um die von uns erwarteten Herren aus Fleisch und Blut handeln musste. Die Spieler wurden uns aus allen erdenklichen Kameraperspektiven gezeigt: So groß haben sich die Gesichtsporen der Spieler noch nicht einmal ihren Lebenspartnern vorher dargestellt. Die Fußballübertragung ist so hyperrealistisch, dass reale Spiele virtuell wirken.
Befinden wir uns vielleicht alle gefesselt in Platons Fußball-Höhle? So starren wir alle auf die Schatten der virtuellen Fußballplätze, die wir für das wahre Spiel halten. Die Idee des Fußballs wird wohl nur noch auf Aschenplätzen, an Stränden und Fußballkäfigen abseits der großen Stadien bewahrt. Doch halt.
Spanien, danke fürs Scheitern!
Der Weltmeister Spanien hat uns mit ihrem Scheitern bei der WM von unseren Fesseln befreit. Die Mannschaft, die zuletzt zweimal in Folge Europa- und einmal Weltmeister wurde, hatte den Fußball mechanisiert und wurde zum Inbegriff des Ballstaffetten-Perfektionismus. Wer sich ein Spiel der spanischen Nationalmannschaft in den letzten Jahren ansah, konnte den Eindruck einer Klon-Mannschaft bekommen. Kühl ließen sie den Ball durch die eigenen Reihen laufen, bis sich eine Lücke auftat. Das Spiel wurde mehr zur Wissenschaft und die Mannschaft umwehte ein klinischer Hauch. Für ihren letzten Weltmeistertitel benötigten sie gerade einmal acht Treffer in sieben Spielen. Mehr Effizienz geht nicht.
Innerhalb von nur zwei Spielen hat sich das Blatt gewendet. Spaniens Team wurde von den Niederlanden und Chile entzaubert und muss unerwartet früh in den Urlaub fahren. Der Fall Spaniens ließe sich wohl gar nicht schöner simulieren: Der Untergang eines Giganten und der unerwartete Siegestaumel der Underdogs. Niemand möchte dauerhaft den Stromlinien-Fußball sehen, der uns in der Nike-Werbung vorgespielt wird. Unvorhersehbare Momente und die Siegestrunkenheit der Herausforderer: dieses Recht des Schwächeren kennt die virtuelle Fußballmaschinerie nicht. Zeit die Playstation auf den Dachboden zu stellen.