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Wirtschaftspolitik: Evolution statt Revolution

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Mehr Koordination zwischen den Euroländern, unter dem wachsamen Blick der Kommission: So sieht der Rahmen der europäischen Wirtschaftspolitik aus, wenn es nach der Verfassung geht.

Die "Politik der kleinen Schritte" ist seit jeher das Leitbild der wirtschaftlichen Integration Europas gewesen. Zuerst durch die Schaffung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) im Jahr 1950, dann mit der Gründung einer Zollunion, die im Rahmen der 1957 ins Leben gerufenen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gemeinsame Außenzölle einführte, und durch die Schaffung eines gemeinsamen Markts, der die Freizügigkeit von Personen, Gütern und Kapital förderte und im Jahr 1993 zum Binnenmarkt wurde. Und schließlich mit der Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU), welche die Wirtschaftspolitiken der einzelnen Mitgliedsstaaten koordiniert und den Übergang zur einheitlichen Währung ebnete für die Länder, die teilnehmen wollten (heute 12 EU-Mitgliedsländer). Die Frage lautet nun: Wird auch die Verfassung, sobald sie in Kraft tritt, eine neue Etappe der wirtschaftlichen Integration einläuten?

Gemeinsame interessen

Momentan wird die europäische Wirtschaftspolitik durch verschiedene Instrumente umgesetzt. Seit der Vollendung des Binnenmarktes ist für alle Mitgliedstaaten der EU die Wirtschaftspolitik zur "Frage des gemeinsamen Interesses" geworden: Der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister (ECOFIN) koordiniert die verschiedenen nationalen Politiken, indem er sie an den gemeinsamen Grundzügen der Wirtschaftspolitik ausrichtet. Die Mitgliedsstaaten der Union handeln "nach dem Prinzip einer offenen Marktwirtschaft, in welcher ein freier Wettbewerb herrscht, der eine effektive Verteilung der Ressourcen fördert“.

Während die „Grundzüge“ nur eine geringe einschränkende Wirkung haben (es ist von einer "multilateralen Überwachung" die Rede), wird der Bewegungsspielraum der Mitgliedsstaaten der Euro-Zone (die so genannten "Euro-Gruppe") durch die Wirtschafts- und Währungsunion streng eingegrenzt. Zum einen haben sie die Kontrolle über ihre Währungspolitik komplett verloren, denn die Europäische Zentralbank (EZB), eine von den Regierungen unabhängige Institution, hat als einzige das Recht, die Zinssätze zu verändern. Zum anderen schränkt der Stabilitäts- und Wachstumspakt die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten, expansive Haushaltspolitiken zu betreiben, erheblich ein, indem er die Neuverschuldung der Staatshaushalte auf 3% des Bruttoinlandsprodukts begrenzt.

Europäische Wirtschaftsregierung

Die Verfassung führt in all diesen Bereichen eine begrenzte Zahl von Veränderungen ein, die jedoch weit reichende Wirkungen haben - anvisiert ist die "Bildung einer europäischen Wirtschaftsregierung". Die EZB wird offiziell zu einer Institution der EU mit dem gleichen Status wie etwa die Kommission oder das Europäische Parlament (EP). Was die wirtschaftlichen Grundsätze betrifft, so wird ihre einschränkende Wirkung für die Euro-Gruppe verstärkt: Für die Mitglieder der Euro-Zone können spezifische Grundsätze eingeführt werden und es wird eine engere Abstimmung angestrebt.

Übrigens sind die wesentlichen Verfügungen des Stabilitätspakts (die Konvergenzkriterien, das Verfahren bei Überschreitung der Haushaltsgrenzen) ebenso wie die Existenz der Euro-Gruppe in einem Protokoll, welches der Verfassung anhängt, festgeschrieben und somit relativ unberührbar. Das Sanktionsverfahren entwickelt sich weiter: Bisher beschränkte sich die Kommission darauf, den Rat auf "Ausrutscher" in der Haushaltspolitik einzelner Staaten hinzuweisen. Der Rat entschied dann, ob er den entsprechenden Staat ermahnte oder nicht. Mit Inkrafttreten der Verfassung wird die Kommission nun direkt Verwarnungen an schuldige Staaten ausgeben können. Wenn Sanktionen verfügt werden sollen, dann entscheidet der Rat gemäß dem Vorschlag der Kommission und nach einem neuen Abstimmungsproporz, bei dem 55% aller Mitglieder der Euro-Gruppe, die mindestens 65% der Bevölkerung umfassen, dafür stimmen müssen (vorher war das Prinzip der Einstimmigkeit vorherrschend, welches den Franzosen und Deutschen erlaubte, den Sanktionen zu entkommen). Die Kommission sieht ihre Rolle als Hüterin der Verträge und des gemeinschaftlichen Interesses somit gestärkt.

Der Euro wird zur Währung der EU und einem ihrer Symbole. Die Währungspolitik wird zur exklusiven Kompetenz der Euro-Gruppe, die ihren informellen Status gefestigt sieht und deren Sitzungen nun auch die Präsidenten von Kommission und EZB beiwohnen. Ihre spezifische Zuständigkeit für die Euro-Zone wird verstärkt: In bestimmten Bereichen alleiniges Entscheidungsrecht, was zur Erweiterung ihrer Autonomie führt.

Schließlich wird auch die Rolle des Europäischen Parlaments im Bereich der Haushaltspolitik ausgebaut: Bei der Verabschiedung des Jahreshaushalts braucht der Rat nun die Unterstützung des Parlaments, wohingegen er sich früher in vielen Bereichen über das EP hinwegsetzen konnte. Damit wird die demokratische Kontrolle innerhalb der EU vergrößert. Bei der Verabschiedung des Finanzrahmens, der auf sechs Jahre ausgerichteten Haushaltsplanungen, entscheidet jedoch immer noch der Rat und zwar einstimmig.

Die Verfassung verstärkt also verschiedene Instrumente, wie die gemeinsamen wirtschaftspolitischen Grundsätze und die Euro-Gruppe, um die Effektivität der wirtschaftlichen Organisation der EU zu verbessern, ohne jedoch die vorhandenen Strukturen komplett zu reformieren: Sie verstärkt vielmehr die Fähigkeit der EU zur Koordination und Aktion, insbesondere innerhalb der EU, was logisch erscheint. Kurzum, der durch die Verfassung angestoßene Prozess ist mehr eine langsame Evolution als eine Revolution in Richtung einer europäischen Wirtschaftsregierung. Die politischen Instrumente bleiben nahezu unverändert, aber werden besser strukturiert. Bezüglich der wirtschaftlichen Integration lautet das Schlüsselwort in der Verfassung: Koordination. Werden unsere Regierungen es schaffen, damit die Tür zum Wachstum zu öffnen?

Translated from Economie : évolution plutôt que révolution