"Wir sind alle Europäer"
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2007 sollen Rumänien und Bulgarien der EU beitreten. Doch die Union ist in der Krise. Gheorghe Tinca, Botschafter Rumäniens in Prag, zeigt sich im café babel-Gespräch dennoch optimistisch.
Vor zwei Wochen äußerte der ungarische Europaabgeordnete István Szent-Iványi in Orient Espresso seine Ansichten zum bevorstehenden Beitritt Rumäniens und Bulgariens in die EU. Diese Woche begründet Gheorghe Tinca, Botschafter Rumäniens in der Tschechischen Republik, warum seiner Ansicht nach die Rumänen dem Beitritt freudig entgegensehen. Tinca, 64, war von 1996 bis 1999 der der erste Verteidigungsminister Rumäniens, der nicht vom Militär kam.
Der 1. Januar 2007 sollte ein historischer Tag für Ihr Land sein: Der Tag des EU-Beitritts. Doch die EU hüllt sich in Schweigen, besonders nach der großen „Erweiterungswelle“ 2004 und der darauffolgenden öffentlichen Debatte. Worin sehen Sie den Grund für dieses Schweigen? Worin liegt der Unterschied zur vorigen Erweiterung?
Ich glaube nicht, dass Europa schweigt. Sicher, die Situation ist nicht dieselbe wie 2004, als zehn Länder beitraten. Die EU steht dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens gelassener gegenüber, weil man urspünglich sowieso mit 12 Ländern über einen Beitritt verhandeln wollte. Bulgarien und Rumänien mussten einige Schwierigkeiten überwinden und mehr Kriterien genügen als einige der zehn anderen Länder. Deshalb treten diese beiden Länder der EU zwei Jahre später bei.
Am 25. Oktober hat die Kommission die jüngsten Fortschrittsberichte veröffentlicht. Von noch zu lösenden Problemen abgesehen, erkennt sie den Fortschritt der beiden Kandidaten an und bestätigt den 1. Januar 2007 als festes Beitrittsdatum.
Wie nehmen die Bürger Rumäniens die Situation wahr? Was erwarten sie? 2004 wurden die Menschen in den neuen Mitgliedsstaaten umso skeptischer, je näher das Beitrittsdatum rückte.
Skeptische Leute gibt es überall, aber in Rumänien deutlich weniger als anderswo. Die Rumänen fühlen schon lange, dass sie als Nation zu Europa gehören. Und sie haben die westlichen Länder immer als Beispiel gesehen, zu Freiheit und Wohlstand zu gelangen. Nun nähern wir uns dem Beitritt zur Europäischen Union und die Rumänen fühlen, dass die jahrzehntelang gehegte Hoffnungen in Erfüllung gehen.
Vor dem EU-Beitritt waren viele Tschechen skeptisch. Sie dachten, dass viele Vorteile verschwinden würden und dass der Staat Tschechien neue Verpflichtungen erfüllen müsste. Jetzt, mehr als ein Jahr nach dem Beitritt, erkennen die Tschechen, dass keine Vorteile verloren gingen und dass sich ihre Situation verbessert hat. Wir Rumänen und wahrscheinlich auch die Bulgaren finden diese tschechische Erfahrung sehr interessant und sehen keinen Grund zur Skepsis.
Für viele Europäer sind Bulgarien und Rumänien zwei unbekannte Länder in Osteuropa, die sich ähneln. Worin liegt der größte Unterschied zwischen beiden? Könnten diese Unterschiede zu Problemen in der EU führen?
Viele Europäer sind sich der Unterschiede zwischen Tschechen, Slowaken und Slowenen nicht bewusst. Sie haben Probleme, diese Länder auf einer Karte zu finden und verwechseln ihre Hauptstädte. Viele Europäer erinnern die Namen von Produkten aus diesen Ländern, aber sie kennen kaum Persönlichkeiten des kulturellen Lebens. Trotzdem sind Tschechien, die Slowakei und Slowenien Mitglieder der EU, die, soviel kann ich vorhersagen, in der Zukunft sehr aktiv sein werden.
Unwissen hilft also niemandem und ist in diesem Fall irrelevant. Viele Amerikaner kennen nicht die Namen ihrer 51 Staaten – was sie nicht hindert, in einem starken und einigen Land zu leben.
Zum Schluss interessiert uns ihre persönliche Meinung: Was gibt es in Bulgarien und Rumänien einzigartiges, und wie könnte dies die EU bereichern?
Es ist schwierig, in Europa etwas wirklich Einzigartiges zu finden. Wir Europäer teilen die gleichen Werte, die gleiche Zivilisation und viele kulturelle Traditionen. Sicher gibt es Trennlinien zwischen Norden und Süden, Osten oder Westen. Aber wir sind alle Europäer. Ich sage dies im vollen Bewusstsein der Tatsache, dass die Ahnen der Rumänen schon im 1. Jahrhundert nach Christus auf dem selben Land für das Römische Reich kämpften, auf dem wir heute leben.
Wenn das rumänische Volk eine Eigenheit hat, dann ist das der Überlebensinstinkt. Er half uns, mit unserer Religion, unserer Sprache, mit unseren positiven wie negativen Eigenschafen zu überleben. Im Lauf der Jahrhunderte zogen viele Völker, auch Slawen, durch unser Land. Wir übernahmen viel von ihnen und gaben ihnen etwas im Austausch zurück. Aber wir blieben stets die Selben. Wenn es für Europa in der Zukunft ums Überleben geht, können wir also einiges an Erfahrung beitragen.