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„Wir Europäer sind von den Wahlen ausgeschlossen“

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Die meisten der in Frankreich lebenden Europäer dürfen bei den Präsidentschaftswahlen nicht abstimmen. Doch sie bilden sich trotzdem ihre Meinung – und kritisieren die nationalistischen Töne im Wahlkampf.

„Ich zahle hier seit 21 Jahren Steuern, darf aber nicht wählen. Das ist doch Unsinn!“ Wenn Richard Sammel über die Präsidentschaftswahlen in Frankreich spricht, gerät er in Rage. Seit den Achtziger Jahren wohnt Sammel in Frankreich, seine beiden Töchter gehen hier zur Schule. Vor zehn Jahren hatte er die französische Staatsbürgerschaft beantragt, doch damals musste man die deutsche Nationalität noch ablegen, um Franzose zu werden. Deshalb darf er nun bei den kommenden Wahlen nicht abstimmen.

Sammel, 46, bezeichnet sich selbst als „Europäischen Schauspieler“. Den Heidelberger zog es immer da hin, wo es die besten Angebote gab. Sechs Jahre hat er in Italien gelebt, jeweils ein Jahr in Spanien und England. Noch heute reist er für seine Filmrollen durch ganz Europa.

Doch beim Wahlkampfspektakel ist der Schauspieler Sammel diesmal nur Zuschauer. Während die Sozialistin Ségolène Royal mit dem Slogan La France Présidente [„Frankreich Präsidentin“] Wähler gewinnen will, macht der ehemalige konservative Innenminister Nicolas Sarkozy mit seinen Forderungen nach einer harten Einwanderungs- und Sicherheitspolitik von sich reden.

„Es geht inhaltlich um nichts“, beklagt Sammel. „Bei den Wahlen 2005 in Deutschland war das anders. Da wurde um die liberale Arbeitsmarktreform Hartz IV gestritten. Da konnte ich dafür und dagegen sein. Aber hier? Ségolène Royals einzige Botschaft ist ‚Ich bin eine Frau.’ Und Sarkozys Sprüche über die Probleme in den Vororten sind reine Taktik, um rechtsextreme Wähler zu gewinnen.“

Mit den Füßen abstimmen

2004 lebten In Frankreich nach Angaben des nationalen Statistik-Institues INSEE circa 1,9 Millionen Europäer. Sie bilden die größte Gruppe an Einwanderern, noch vor den Nordafrikanern. Dennoch besteht über ihre genaue Zahl Unsicherheit, denn seit 2004 brauchen Bürger der Europäischen Union keine Aufenthaltserlaubnis mehr, um sich in Frankreich niederzulassen. Fest steht nur, dass die meisten Europäer keine französische Staatsbürgerschaft haben und deshalb bei Präsidentschaftswahlen kein Wahlrecht besitzen.

Manche stimmen deshalb mit den Füßen ab. So wie Sabine, die 26jährige Belgierin. Als der Rechtsextremist Jean-Marie Le Pen bei den Wahlen 2002 überraschend in die zweite Runde kam, schloss sie sich den zahlreichen Demonstrationen gegen Le Pen an. „Das war die einzige Möglichkeit, mich auszudrücken. Wir Europäer sind sonst ausgeschlossen“, sagt sie heute. Sabine ist in Frankreich geboren. Da beide Eltern Belgier sind, hätte sie sich mit 18 für die französische Staatsbürgerschaft entscheiden müssen. Doch sie wollte die belgische Staatsbürgerschaft nicht verlieren.

Obwohl sie nicht wählen darf, ist Sabines wichtigstes Anliegen die Beteiligung der Bürger an der Politik. Sie arbeitet für die Presseabteilung eines Bürgermeisteramtes in einem Vorort von Paris. „Die Klientelpolitik, die dort betrieben wird, ärgert mich. Die Bürgermeisterin macht mal dieser, mal jener Interessengruppe ein Geschenk“ erzählt sie verbittert. „Mit Demokratie hat das nichts zu tun.“

Doch Sabine glaubt, dass Ségloène Royal anders ist. Sie hat eine Bürgerdebatte besucht, die die sozialistische Kandidatin im Vorfeld des Wahlkampfes veranstaltet hat – und war überzeugt. „Es war sehr interessant und leidenschaftlich. Ségolène ist nahe am wirklichen Leben der Leute dran.“

Trikolore statt Sternenbanner

Dass es im französischen Wahlkampf vor allem um die nationale Identität und nicht um Europa geht, kommt bei den Europäern in Frankreich naturgemäß schlecht an. Nicolas Sarkozy hat angekündigt, bei einem Wahlsieg ein „Ministerium für Immigration und nationale Identität“ zu schaffen. Die Sozialistin Royal hat daraufhin die Franzosen dazu aufgerufen, sich eine Trikolore ins Haus zu hängen. „In England, Italien und Deutschland wird wenigstens über Europa geredet“, bedauert Richard Sammel. „Man muss hier endlich begreifen, dass man seine kulturelle Identität nicht aufgeben muss, wenn man europäisch ist“.

„Die Franzosen scheinen im Moment große Angst zu haben“, anlaysiert Martina Colombier die nationalistichen Töne im Wahlkampf. Die 48jährige Österreicherin, die seit zwanzig Jahren in Frankreich lebt, hält den Wahlkampf für „peinlich. Es geht um viel, aber es wird nichts konkretes gesagt. Eine trübe Suppe, in der alle schwimmen und nur darauf schauen, nicht unterzugehen“ bemerkt die Deutschlehrerin mit beißendem Spott. „Weil man sich über nichts mehr einigen kann, hisst man jetzt die Trikolore und spielt die Marseillaise“.

Auch die Forderungen Sarkozys und Le Pens nach einer Verschärfung der Einwanderungs- und Sicherheitspolitik finden bei den europäischen Immigranten, mit denen wir sprechen, wenig Anklang. Doch diese Abneigung wird nicht von allen geteilt. Einer Studie des Ifop-Institutes zufolge wollen 17 Prozent der Wähler italienischer Abstammung Le Pen wählen. Im Fall der spanischen und portugiesischen Migranten liegt der Anteil bei elf bzw. acht Prozent.

In den Sechzigern strömten vor allem Menschen aus dem armen Südeuropa nach Frankreich, um in der boomenden Industrie zu arbeiten. Für sie, genauso wie für ihre Kinder und Enkel, ist es kein Tabu mehr, rechts zu wählen. Viele von ihnen sind für ein hartes Durchgreifen in den Vororten und haben Angst, dass ihnen andere Einwanderer ihren Platz in der Gesellschaft streitig machen könnten.

„Sarkozy ist gefährlich“

„Sarkozy will die Hälfte der Gesellschaft ausschließen oder ausbeuten“, glaubt dagegen Guy Benfield (Foto). „Er ist wie Thatcher: Gefährlich und fähig“. Seit acht Jahren lebt der 37jährige in Paris, wo er für eine Internetseite arbeitet. Er hat in den Niederlanden und Italien gearbeitet und sagt, er fühle sich „mehr europäisch als englisch“. Wie die ehemalige englische Premierministerin Margaret Thatcher werde Sarkozy versuchen, liberale Reformen in Frankreich durchzusetzen. „Wenn er Erfolg hat, wird die Arbeitslosenquote in Frankreich wie nach Thatchers Reformen dramatisch ansteigen“, prophezeit der junge Engländer.

Sein Landsmann David Spencer denkt da anders. Zwar sei auch er eigentlich links und wünsche sich nicht Sarkozy als Präsidenten, aber „seine Ideen würden die Bedingungen für die Wirtschaft in Frankreich verbessern“, so Spencer, der in Paris in der Werbeindustrie arbeitet. Der Engländer kritisiert vor allem die Begrenzung der regulären Arbeitszeit auf 35 Stunden, die die linke Regierung unter Lionel Jospin Ende der Neunziger eingeführt hatte. „Frankreich ist im Vergleich zu England viel zu bürokratisch“.

Auch Martina Colombier hätte nichts gegen Reformen. Die Kritik der Deutschlehrerin richtet sich vor allem gegen die Carte Scolaire, der zufolge die Eltern ihre Kinder dort in die Schule geben müssen, wo sie wohnen. „Jeder weiß, dass reiche Eltern ihre Kinder auf Privatschulen geben, damit sie nicht in einer schlecht ausgestatteten staatlichen Schule unterrichtet werden“, sagt sie und fügt hinzu: „Es wäre doch besser zu sagen: ‚Wir sind ein Land mit Unterschieden’, anstatt sich ständig in die Tasche zu lügen. Doch die Franzosen glauben an ihre Ideale der Gleichheit und Brüderlichkeit. Und wenn ich ihnen dann sage, dass die Realität eine andere ist, sagen sie: ‚Das kannst du als Ausländerin nicht verstehen’“.