Willkommen im Pentagon - Bratislavas Mythischer Junkie-Höhle
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NinaDie Schönheit einer Stadt lässt sich nicht nur an ihren touristischen Attraktionen messen, sondern auch an jenen Orten, die man besser nicht ohne Messer besuchen sollte. Viele Jahre lang war das Pentagon, die mythische Junkie-Höhle der Stadt, eine entstellende Narbe in Bratislavas Gesicht. Wie sieht der Drogensupermarkt der slowakischen Hauptstadt heute aus?
Vor meiner Abreise habe ich zwei zusätzliche Packungen Camel in meine Tasche gepackt- damit plante ich, Drogenabhängigen eine Freude zu machen, wenn sie mir ihre Lebensgeschichten anvertrauen würden. Junge Journalisten tendieren dazu, romantisch zu sein, und ich wusste noch nicht, dass die Heroinsüchtigen vom Pentagon nicht so freundlich sein würden wie die Hausbesetzer von Warschau, mit denen sich der polnische Journalist Cezary Ciszewski fatal verbrüdert hatte. Cezary hatte Ende der 90ger Jahre das Experiment gamacht ein halbes Jahr unter Junkies zu leben, um schließlich selbst einer zu werden.
Tomáš, ein Mitglied unseres lokalen Teams, der mir versprochen hatte, mich bei der Expedition zu begleiten, hoffte bis zum letzten Moment, dass ich meine Meinung ändern und den Besuch im berühmt berüchtigten Pentagon in Vrakuňa (einem Bezirk von Bratislava - Anm. d. Redaktion) abblasen würde. Als ich ihn am Morgen anrufe, höre ich am anderen Ende der Leitung: „Willst du also noch immer dorthin gehen? Stört dich der Regen nicht?" Nichts stört mich.
Bratislava ist eine kleine Stadt; obwohl Vrakuňa mit dem Bus nur 20 Minuten vom Zentrum entfernt liegt, fühlt es sich an, als ob ich in die Tiefe der Vorstädte fahre. Die Landschaft verändert sich allmählich - die schönen slowakischen Gebäude weichen riesigen Parkhäusern, Garagen und Supermärkten. Dennoch finde ich dort, entgegen meiner Erwartungen, keine Slums, sondern eine post-kommunistische und ziemlich saubere Wohngegend. Ich steige an der Haltestelle Toryská aus, wo Tomáš mich bereits erwartet. Als er mich sieht, zeigt er sofort mit dem Finger auf ein Gebäude, dass sich deutlich von den anderen unterscheidet. Das ist also das Pentagon - ein grauer Schrei inmitten der farbigen Siedlungen, wie ein Tattoo mit einem Schreibfehler auf Vrakuňas Arm. Die Masse des grauen Betons erdrückt mich und die Flügelstruktur des Gebäudes scheint mich wie eine insektenfressende Blume zu verschlingen. Die Hauswände sind mit weißen Satellitenschüsseln bedeckt - ein Hauch von illusorischem Wohlstand nach der Wende. Sperrholz und Karton starren aus einigen leeren Augenhöhlen der Fenster. In anderen trocknen Kinderkleider. Man hat uns bereits bemerkt. Die Haut an unserem Rücken glüht vor den tausenden Blicken wachsamer Augen - sie sind unsichtbar, aber scharf wie Nadelstiche.
„Heroin? Vierter STock, auf der rechten Seite"
Die Probleme im Pentagon begannen nach dem Fall des Kommunismus, als die Wohnungen im Gebäude in die Hände privater Besitzer kamen. Da eine beträchtliche Anzahl der neuen Besitzer Drogendealer waren, verwandelte sich mit der Zeit das ehemalige Studentenheim in den größten Supermarkt für harte Drogen in Bratislava. Gemäß einem 2010 in Pravda erschienen Artikel von Milan Čupka über das Pentagon, gab es in dem Gebäude Stockwerke, wo von acht Wohnungen drei Drogenshops mit einer Kapazität von über 50 Kunden pro Tag waren. Die Kunden lassen sich in diejenigen, die die Ware zum Mitnehmen kaufen, und denjenigen, die die Drogen vor Ort konsumieren und zum Schrecken der Bewohner für Stunden auf den Treppen herumlungern, unterscheiden. Die Drogenhöhlen des Pentagons sind angeblich Familiengeschäfte. Selbst wenn eine Person ins Gefängnis geht, stellen die übrigen Familienmitglieder sicher, dass das Angebot nicht unterbrochen wird. Einige der lokalen Händler leben mit behinderten Personen, die das Stadthaus nicht zur Räumung zwingen kann, zusammen, um ihr Geschäft zu sichern.
Auf den ersten Blick wirkt es, als ob auf dem Rasen im breiten Hof vor dem Pentagon ein großes Picknick unter der Nachbarschaft veranstaltet würde. Als wir uns jedoch nähern, stellen wir fest, dass die Leute, die auf den Tüchern liegen, bewusstlos sind und diejenigen, die sitzen, nach einer Vene für eine Injektion suchen. Neben dem einen Baum steht ein prächtiger, blühender Rosenstrauch, in dessen Schatten eine etwa 40-jährige Frau sitzt, die durch das Heroin in tiefer Lethargie versunken ist.
Der Gestank einer Urin-Nitrogen-Wolke, der in der Luft liegt, umgibt das Gebäude. In der einen Ecke bemerke ich eine Nische. Sofort packt mich die Neugier, zu sehen, was sie verbirgt, und bevor Tomáš mich stoppen kann, dringe ich in den Abgrund der Hölle, voller Injektionsspritzen und menschlicher Exkremente, ein.
Nadeln und argentinische Tangos
Neben den Drogensüchtigen und Dealern ist das Pentagon, die Schande von Vrakuňa, auch das Zuhause von gewöhnlicheren Bewohnern. Auf dem Parkplatz im Hof sehen wir eine Familie, die ihre Einkäufe aus dem Auto packt, und eine alte Frau, die ihren Müll wegwirft. In einem der Fenster sitzt ein Vater mit seinem ungefähr zweijährigen Kind. Aus einem anderen erklingt Musik, vielleicht sogar ein argentinischer Tango. Dennoch sind diese Bewohner nicht die auffälligsten Vertreter der Pentagoner Gesellschaft. In der einen Ecke untersuchen Junkies Möbel, die vor dem Gebäude abgestellt wurden. Das Waschbecken wird auf dem Schrottplatz landen. Die Bretter werden verkauft. Einer der Männer zieht nervös an Schranktüren, die sich nicht öffnen lassen. Als ich ihn genauer ansehe, bemerke ich einen schmutzigen BH-Träger, der aus seinem T-Shirt hervorschaut. Ich realisiere, dass dieser Mann eine Frau ist. Alle drei Mitglieder dieser Truppe sind offensichtlich über etwas verärgert, und wir beschließen, sie nicht weiter anzustarren und wegzugehen. Die Drogenabhängigen vom Pentagon sind so angezogen, als ob sie in einer früheren Zeit leben würden. Baseball-Mützen, um die Hüften gebundene Sweatshirts, T-Shirts mit Aufdrucken von Rambo, Michey Mouse, der University of Oklahoma und Hello Kitty. Ich werde für einen Moment sentimental.
Wir möchten mit den Bewohnern des Pentagons reden, aber anscheinend werden sie von unserem Magnetfeld abgestoßen. Nach einer langen Suche treffen wir auf zwei junge Männer. Ich bitte Tomáš, sie auf slowakisch über die mit dem Pentagon assoziierten Mythen zu befragen. Sie sagen, dass der Ort einst schrecklich und gefährlich gewesen sei, aber heute habe sich die Situation deutlich verbessert. Kämpfe auf offener Straße seien das Schlimmste gewesen. Wir fragen sie über den Ruf von einem Drogensupermarktes. Sie antworten, dass wir am richtigen Ort seien, falls wir harte Drogen kaufen wollen. „Stimmt es, dass die Gebäude fast nur von Drogendealern und Junkies bewohnt werden? Wir haben auch einige Familien gesehen", fragen wir. „Halb-halb", sagen sie. „Die eine Hälfte des Gebäudes wird von Familien, die Miete zahlen, bewohnt, die andere wird von Junkies besetzt, die nicht nur keine Miete zahlen, sondern auf die Gehsteige scheißen", antworten sie. Und wieso unternimmt die Stadt nichts? Die beiden können es nicht sagen.
Die slowakische Internetseite informiert, dass die Behörden von Vrakuňa einige Initiativen unternommen haben, um die Situation im und ums Pentagon zu verbessern. In deren Rahmen sammeln Sozialarbeiter Nadeln und Spritzen, um Kinder, die dort spielen, vor Krankheiten zu schützen. All dies hat die Sicherheit außerhalb des Gebäudes verbessert und die Anzahl der Kämpfe und Schießereien reduziert, nicht aber die fürchterlichen Innereien des Pentagons bekämpft. Auf slowakischen Foren lese ich, dass Leute davon abraten, Wohnungen in diesem Bezirk zu kaufen, und geben dafür als Hauptgrund die Präsenz von „sozial Randständigen" an. Diese Warnungen sind wahrscheinlich effektiv, da die Miete im Pentagon und auf der gesamten Stavbárska-Straße nur die Hälfte von den in Bratislava üblichen Mietpreisen beträgt.
Wir können nicht mehr Zeit im Pentagon verbringen, da unsere Anwesenheit, und insbesondere die unserer Kamera, die Bewohner des Gebäudes stört. Mehr als das Tageslicht hassen die Menschen hier Neugier und Besucher aus der realen Welt. Als ein Mann mit Tribal-Tattoos auf Schulter und Wade auf uns zukommt und droht, dass er „unsere verdammte Kamera in Stücke" zerschmettere, sobald er uns schnappt, realisieren wir, dass es Zeit ist, schleunigst zu gehen. Und nicht eine einzige Camel habe ich jemandem angeboten.
Translated from Witaj w Pentagonie - mitycznej ćpalni Bratysławy