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Willkommen beim Spießrutenlauf

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Während die Diplomaten halb Europas die Messer wetzen, beginnt für die italienische Präsidentschaft eine dreimonatige Kraftanstrengung.

Am 4. Oktober wird in Rom die Regierungskonferenz eröffnet, in deren Verlauf der Verfassungsentwurf geprüft wird, dem der Europäische Konvent im Juli zugestimmt hat. Bekanntlich stellt dieser Entwurf, der am 18. Juli von Valery Giscard D’Estaing der italienischen EU-Präsidentschaft vorgelegt wurde, noch keine solide Basis für einen Bundesstaat dar, der auf internationalem Terrain handlungsfähig wäre, wie sich das viele Europäer wünschen. Er gilt jedoch nicht nur als ein wichtiger Schritt im Hinblick auf eine verstärkte politische Integration der europäischen Länder, sondern festigt auch die Gesamtstruktur der EU und ermöglicht ihr somit die Erweiterung um zehn osteuropäische Staaten. Die Osterweiterung, die zuweilen ungerechtfertigterweise als ganz normaler Prozess gesehen wird, ist in Wirklichkeit die größte und bedeutendste außenpolitische Herausforderung in der Geschichte der EU. Daher wurde im Dezember 2001 in Laeken der Europäische Konvent ins Leben gerufen mit dem obersten Ziel, die für dieses historische Ereignis nötigen Strukturen in Europa zu schaffen.

Wird es dem Entwurf, der den mehrheitlichen Konsens der 105 Mitglieder des Konvents erhalten hat, gelingen, den Spießrutenlauf durch die nächste Regierungskonferenz heil (d.h. mit kleinen, aber nicht wesentlichen Veränderungen) zu überstehen? Wir können es nur von ganzem Herzen hoffen. Es ist mittlerweile allen bewusst, dass im Falle eines Aufschnürens der Ergebnisse in der Regierungskonferenz der Entwurf des Konvents mit Sicherheit verschlechtert würde, da die gemeinschaftlichen Aspekte zusätzlich zum Vorteil der nationalen Regierungen geschwächt würden (diese sind in der Regierungskonferenz im Gegensatz zum Konvent unangefochtene Protagonisten).

Eine kürzlich vom Istituto Affari Internazionali (Convention Watch, second issue) durchgeführte Untersuchung, die in den kommenden Tagen unter www.euconline.net veröffentlicht wird, zeigt, dass fast alle Regierungen, die an der Regierungskonferenz teilnehmen, bereit sind, den vom Konvent verabschiedeten Entwurf ohne große Änderungen anzunehmen. Gleichzeitig lassen sie jedoch verlauten, dass sie im Falle eines Aufschnürens des Entwurfes nicht zögern würden, ihre Forderungen zu dem einen oder anderen Punkt vorzubringen.

Die italienische EU-Präsidentschaft, welche die Arbeit der Konferenz koordinieren wird, hat bereits angekündigt, gemeinsam mit den fünf anderen Gründungsländern (zu denen sich überraschenderweise England hinzugesellt hat) dafür zu kämpfen, dass der Giscard-Entwurf so weit wie möglich in seiner ursprünglichen Form beibehalten wird. Um dieses Ziel leichter zu erreichen hat der italienische Außenminister Franco Frattini angekündigt, dass die Regierungskonferenz die Methode des „konstruktiven Dissenses“ anwenden wird. Es wird also nur dann über ein Thema diskutiert, wenn ein entsprechender Ersatzvorschlag unterbreitet wird und der Proponent dessen Vorzüge erklärt. Auf diese Weise wird das Chaos vermieden, das ausbrechen würde, wenn jedes Land bei dieser Gelegenheit seine eigene Wunschliste einreichen würde.

In der Vorbereitungsphase der Regierungskonferenz ist Italien als EU-Vorsitz auch dabei, intensiv mit Spanien und Polen zu verhandeln, um deren Opposition gegen die Abänderung des Abstimmungssystems zu entschärfen. Die beiden Länder fühlen sich durch das neue und einfachere System der „doppelten Mehrheit“ (die Hälfte der Staaten und drei Fünftel der Bevölkerung), das vom Konvent vorgeschlagen wurde, benachteiligt.

Polen erscheint auch in der Liste der „ aufständischen“ Staaten, was die Aufhebung der sechsmonatigen Ratspräsidentschaft und die neue Zusammensetzung der Kommission betrifft: Ab 2009 würde sie nur mehr aus 15 Mitgliedern mit eigenem Aufgabenbereich und Stimmrecht und weiteren 10-15 nicht stimmberechtigten Mitgliedern bestehen. Gegen diese beiden Vorschläge stellt sich nun auch die Eu-Kommission unter Prodi gemeinsam mit allen Kleinstaaten außer den Beneluxstaaten. Die kleineren Staaten, unter denen sich auch viele der neuen Mitgliedsstaaten befinden, sind nämlich der Meinung, dass sie durch die geplante Neuordnung im Vergleich zu den größeren Staaten geschwächt würden.

Die Politik der Kommission, die in ihrer Stellungnahme eine weitere Ausweitung des Prinzips der qualifizierten Mehrheit vorschlägt, hat neben der konkreten Beeinflussung der Diskussion im Rahmen der Regierungskonferenz das Ziel, möglichen Spontanvorschlägen der einzelnen Staaten, die plötzlich im Laufe der Verhandlungen eingebracht werden könnten, entgegenzuwirken. Immerhin wird vermutet, dass hinter der Eintracht der Eröffnungsfeierlichkeiten Diplomaten mancher Länder daran arbeiten, den gesamten Entwurf durcheinander zu bringen. Doch vielleicht sind das nur bösartige Gerüchte...

Auch wenn der „Economist“ behauptet, dass die Regierungskonferenz eigentlich nur die 15 Minuten dauern sollte, die notwendig sind, um sämtliche Seiten des Vertragsentwurfs zu zerreißen, gibt es doch auch Stimmen im London, die dem Entwurf des Konvents Überlebenschancen einräumen. Das wäre wünschenswert angesichts der politischen Lage, die die letzten mühseligen Monate auf europäischer Ebene gekennzeichnet hat. Wobei allerdings nicht außer Acht gelassen werden darf, dass selbst wenn die Erweiterung endlich abgeschlossen ist, Europa noch einen weiten Weg vor sich hat.

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