Wiener Streetart - Walzer oder Affentanz?
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Lea SauerEin Golfplatz - das ist das erste, was man von Wien zu sehen bekommt, wennt man in das Stadtgebiet einfährt. Spießig. Das ist altbekannt. Wenn man an Wien denkt, denkt man an die ehemalige Monarchie und imposante Altbauten aus vergangenen Tagen? Wo steckt die Wiener Zukunft? Gibt es eine alternative Jugend?
„Es ist schwierig mit diesen ganzen alten Gebäuden zu arbeiten". Nicholas Platzer weiß das. Der Dreißiger unterhält seit acht Jahren eine Galerie mit den Werken verschiedenster Streetartkünstler. Zwischen der ein oder anderen Ausstellung engagiert er sich außerdem für die Schaffung zahlreicher Fresken in Wien. „Für die Erlaubnis muss man einen Haufen administrativen Kram erledigen", sagt er mit einer hellbraunen Strähne im Gesicht, während er ein paar Rahmen ordnet. „Man muss sicherstellen, dass die Fresken mit den angrenzenden Bauten zusammenpassen. Das ist oft schwierig bei den alten Gebäuden. Aber ich habe Verständnis dafür, dass das Erbe geschützt werden muss".
Auf der anderen Seite des Schreibtisches sitzt Nathalie Halgand, die Teilhaberin der Gallerie Inoperable. Sie nickt. Erst kürzlich hat sie ein Buch mit Interviews mit zehn Frauen, die die österreichische Streetart-Szene repräsentieren, veröffentlicht. „Einige unter ihnen fühlen sich diskriminiert. In einer Szene, die immer noch von Männern dominiert wird, hörten sie mehr als einmal ein Nein, als sie zusammen mit den Männern in der Nacht losziehen wollten, um Grafittis zu sprühen." Im September wurden einige ihrer Arbeiten ausgestellt. Die dort gezeigten Fotografien setzen beispielsweise der Künstlerin Feba und ihren Grafittis im Hintergrund ein Denkmal. Die Künstlerin Helga konzentriert sich währenddessen auf die Darstellung von weiblichen Oberkörpern hinter Zäunen. Diese fungieren als mögliche Zeugen für eine Frau, die von den allgemeinen sozialen Erwartungen an sie gefangengehalten wird.
Streetart drinnen - unerwarteter Gegensatz
Ein Hamburger mit Heiligenschein thront auf einer Leinwand. Ich befinde mich auf einer anderen Ausstellung von Streetart, die drinnen, mitten in der Akademie der Künste, stattfindet. Laura Schützeneder und Jakob Kattner haben die Ausstellung im Rahmen des Festivals Street Art&graffiti Calle Libre organisiert. Jakob, Mittdreißiger, erzählt mir, dass er bereits eine Videodoku über Streetart in Südamerika gedreht hat. „Ich habe dort viele Künstler kennengelernt und wollte diese hier in Wien vorstellen", erinnert er sich. Die Ausstellung mit über 50 Stücken macht deutlich, dass Streetart auch drinnen im Museum seinen Platz hat. Auf Leinwänden oder Stücke, wie die von Wake, die er auf der Straße gefunden hat. „Während Calle Libre hat uns die Stadt Wien zum ersten Mal entlang der Donau einen Ort zur Verfügung gestellt, an dem es nicht illegal für die Künstler war, zu arbeiten". Ab jetzt soll jedes Jahr ein solches Festival stattfinden, um „zu zeigen, dass Streetart nicht immer gleichzustetzen ist mit Vandalismus und Illegalität", sagt Jakob voller Leidenschaft.
Nachdem es mich bereits überrascht hat, Streetart im Museum zu finden, überrascht es mich noch mehr, Streetart auch an vielen institutionellen Gebäuden zu sehen. Und dann stoße ich auch noch auf ein Forschungszentrum, das sich mit Streetart auseinandersetzt, inklusive eines Archivs, und einer Webseite, auf der Wien die Orte markiert, an denen es erlaubt ist, sich künstlerisch auszutoben.
Im Museumsviertel gibt es außerdem eine ganze Passage über Streetart mit Informationen zu den Mosaiken von Invader und den drei Affen von Busk, die über die Stadt verteilt zu sehen sind. Aber der Ort, der noch am meisten underground ist, bleibt immer noch das Ufer des Flusses, übersät mit zahlreichen Grafittis. Besonders zwischen den Metrostationen Schwedenplatz und Friedensbrücke. „An denen fahre ich jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit mit dem Fahrrad vorbei", erzählt eine blonde Frau der Touristeninformation. Das macht deutlich, wie sehr das Phänomen Streetart schon in das normale Stadtleben integriert ist.
Wien vs. Vorurteile: 1-0
Die Atmosphäre ist surreal. Man sieht nur um die dreißig Bleistifte, wie sie über Papier flitzen und Köpfe, wie sie sich immer wieder heben und senken, um dann weiterzuzeichnen. In der Mitte nur das Model der Sketch Art Gruppe. Jeden Donnerstag um 19 Uhr trifft sich die selbstverwaltete Gruppe seit fünf Jahren zwischen den Sofas und Tischen eines Wiener Cafés, um Porträts zu zeichnen. „Jedes Mal ändern wir das Thema und die Modelle", erklärt mir Tiana Maros, die Organisatorin. „Wir arbeiten auf Englisch, weil viele der Gruppe aus Kanada oder den USA kommen." Hier kommen verschiedene Wurzeln und die unterschiedlichsten Beweggründe zusammen. Es gibt die, wie z.B. die Kanadierin Jade Amazon, die Kunst studiert haben und sich hier ausprobieren können. „Ich selbst komme aus Salzburg. Ich bin Autodidaktin und will andere junge Leute kennenlernen, die sich für Sketchart interessieren", erzählt hingegen Carina Salchegger. Und dieses geteilte Interesse für Sketchart bringt die jungen Leute zusammen, in einen freundschaftlichen Austausch.
„Die ehrenamtliche Organisation 'das weisse Studio haus' fördert die Kunst junger Streetartkünstler", erklärt mir Alexandra Grausam, die Direktorin des Zentrums. „Bei unseren Projekten gibt es 16 Künstler von hier. Jeder bekommt ein eigenes Atelier zum Arbeiten. In der Regel für volle zwölf Monate. Und es ist jeden Samstag möglich, die Ateliers zu besuchen. Wir betreiben seit 2007 auch einen Ausstellungsraum und seit 2013 zählen wir vier Artists in Residence zu uns. Insgesamt hat das weisse studio haus bereits 17 internationale Künstler empfangen. Sie haben die Möglichkeit hier in Wien ein dreijähriges Projekt zu realisieren und werden von uns finanziell unterstützt. Rah ist eine von ihnen. Die kanadische Videokünstlerin interviewt die Wiener LGBT-Community und setzt ihnen so ein Denkmal. Sie ist gerade erst angekommen, findet die Atmosphäre aber „anregend" und fühlt sich hier „sehr motiviert". Neben ihr auf dem Sofa im studio haus merkt Juliana Herrero an: „In Anbetracht der Tatsache, dass die Ausgaben für dieses Atelier sehr gering sind, ist diese Austauschmöglichkeit für junge Künstler unbezahlbar." Die Koordinatorin des Projekts, Katharina Brandl, fügt hinzu: „Es ist schön, engen Kontakt zur jungen Kunstszene zu haben und der Stadt Wien etwas zurückzugeben." Wien vs. Vorurteile: 1 - 0.
DIESER ARTIKEL IST TEIL UNSERER REPORTAGEREIHE “EUTOPIA: TIME TO VOTE”. IN PARTNERSCHAFT MIT DER HIPPOCRÈNE-STIFTUNG, DER EUROPÄISCHEN KOMMISSION, DEM FRANZÖSISCHEN AUSSENMINISTERIUM UND DER EVENS-STIFTUNG.
Translated from Vienna, il valzer della street art