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Wien: Einwanderer und Lesben vom Planet10

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Politik

Angesichts der zunehmend erstarkenden Präsenz der Rechtsextremen, der drittstärksten politischen Kraft in Österreich, organisieren sich Bürgergruppen und kämpfen für die Integration diskriminierter Gemeinschaften. Unterwegs in Wien, um einen Planeten kennen zu lernen - den Satelliten des Gestirns namens Freiheit.

Linda, eine Nigerianerin in den Vierzigern, lebt in Wien. Sie ist eine Farbige, Immigrantin und lesbisch: Gleich drei Gründe, um Opfer von Diskriminierung zu werden. „Als Lesbe werde ich von meiner eigenen Gemeinschaft diskriminiert.“ Außerdem, „wenn du die Sprache nicht sprichst und farbig bist, ist es unmöglich, ein Haus zum gleichen Preis wie die anderen zu mieten“. Vor drei Jahren ist sie zu Planet10 gekommen, was sie als „eine von Frauen gegründete politische Organisation“ definiert, die „verschiedene Menschen mit verschiedenen Ideen“ vereint. „Sie haben sich zusammengetan, um einen Planeten mit dem gemeinsamen Ziel zu gründen: die Umverteilung des Reichtums und der Ideen“.

Ein Haus wie alle anderen

Wir fahren nach Favoriten, in ein Wiener Stadtviertel, in dem besonders viele Einwanderer leben. „In anderen Vierteln sind die Leute nicht sehr nett zu ihnen“, kommentiert eine Passantin. Nachdem wir mehrfach unseren Stadtplan zu Rate gezogen haben, kommen wir endlich beim Haus von Planet10 an, das keiner kennt, nicht einmal die Nachbarn in der Straße. Es ist ein Gebäude wie alle anderen, mit dem Unterschied, dass die Außenwände voller Plakate in mehreren Sprachen sind, die sich dagegen wehren, dass das Erlernen der deutschen Sprache obligatorisch ist.

Als wir über die Türschwelle treten, tauchen wir in eine Parallelgesellschaft ein, geführt von Helga, einer der Gründerinnen. Sie bietet uns Tee und selbst gebackene Plätzchen an und zeigt uns die drei Etagen des Hauses, auf denen sich Wohnzimmer, Garage, Küche (voller Protestmeldungen), Arbeitszimmer, ein zum Konzertsaal umgebautes Erdgeschoss sowie vier Zimmer erstrecken. Hier gehört alles allen und nichts gehört niemandem.

An der Grenze zur (Il)Legalität

2009 haben sich sechs Frauen aus verschiedenen Vereinigungen, die die „Ausländerpolitik“ verurteilten und deren Aktionen nicht immer komplett „legal“ waren, entschieden, ein Haus zu kaufen. „Einen Ort, an dem die Menschen etwas tun können“, erklärt Helga. Sie haben Geld zusammengelegt, um das Anwesen kaufen zu können.

Dieser Ausgangspunkt ist eine der Besonderheiten von Planet10: „Zwei Personen haben uns Spenden zukommen lassen. Es handelte sich hier um Erbschaften ihrer Familien, die im nazistischen Deutschland und Österreich Geschäfte gemacht hatten. Die Erben hatten entschieden, mit diesem Geld etwas Gutes zu tun.“ Sie selbst haben ein Darlehen über 150.000 Euro sowie 10.000 Euro von Helgas Mutter dazugegeben. 

Planet10 verfolgt eine homofreundliche, feministische, antirassistische und antifaschistische Politik. „50% der Gründer von Planet10, sind homosexuell“, erzählt Linda. Helga fügt hinzu, dass „am Anfang von alldem eine Gruppe Frauen stand, Feministinnen und selbstverständlich Lesben. Denn in Österreich sind Lesbianismus, Politik und Feminismus eng verknüpft“. Das Wichtigste ist, „die Einwanderer zu unterstützen, in welcher Form auch immer“, erzählt Linda.

Währenddessen kommt ein junges Mädchen auf uns zu und bringt drei Gläser Wasser: „Sie sind bestimmt durstig.“ In der Gruppe gibt es eine klare Hierarchie, gerecht aufgeteilt zwischen Immigranten und Österreichern. „Es soll nicht so sein, dass nur die Österreicher den Einwanderern helfen“, unterstreicht Helga. „Wir wollen nicht für die Ausländer entscheiden, wir wollen zusammen entscheiden“, bekräftigt Linda. 

Auf 3 Etagen: Wohnzimmer, Garage, Küche, Arbeitszimmer, Konzertraum und 4 ZimmerEine der wichtigsten Hilfestellungen, die sie den Ausländern geben, ist die Unterkunft. Vier Personen leben in der obersten Etage des Hauses zu einem Mietpreis von 300 Euro. Sie dürfen dort ein Jahr lang bleiben, bis sie genügend Geld für eine Mietkaution gespart haben. Eine von ihnen ist Melike, eine 25-jährige Türkin: „Vorher lebte ich im Laden von jemandem, der eine Mansarde hatte.“ Melike studiert Pädagogik und es ist nicht klar, ob sie eine Aufenthaltsgenehmigung für Österreich hat oder nicht. „Ich werde sie nicht danach fragen“, erklärt Helga, die das Gespräch ins Englische dolmetscht, „denn für uns ist das nicht wichtig“.

Frauen, Einwanderinnen und Lesben

Helga ist eine der sichtbarsten Persönlichkeiten der Gruppe. Die 45-jährige kräftige Frau hat eine Seite ihres Kopfes rasiert, die andere Seite bedeckt eine lange weiße Mähne mit schwarzen Strähnen. Sie ist Grafikdesignerin, gehört zu einer Gruppe Punkmusiker, und erzählt uns von Planet10 mit einer großen Portion Humor, wobei sie gewisse Informationen zur Gruppe verschleiert: „Wir unterstützen Aktionen, seien sie legal oder nicht, die den Leuten helfen, hier zu bleiben, zu arbeiten, sich in die Gesellschaft zu integrieren… nein, eigentlich machen wir keine illegalen Aktionen“, erklärt sie lachend.

Sie wurde im Süden Österreichs geboren. Planet10 hat aber offensichtlich nichts mit ihrer Familiengeschichte zu tun: „Mein Vater war Nazi, und sobald die FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) an Bedeutung gewann, hat er für sie gestimmt.“ Sie erinnert sich, dass die Anfänge von Planet10 nicht einfach waren. „Wir haben uns zum ersten Mal kurz vor den Wahlen zusammengefunden. Wir sind ins Stadtzentrum gegangen und haben Plakate angebracht, auf denen wir mehr Rechte für die Menschen gefordert haben, denn in Österreich hat ein Drittel der Bevölkerung kein Wahlrecht.“ Wegen dieser Demonstration landete sie vor Gericht, aber die Konservativen und die Sozialdemokraten konnten ihr nichts nachweisen.

In der dritten Etage begegnen wir Elsa, einer 27-jährigen Frau aus Zimbabwe, die eine Tüte mit Essen in der Hand hält. Einen Hamburger später kommt sie herunter und erzählt uns ihre Geschichte: „Anfangs war alles sehr schwer. Denn um Deutsch zu lernen, brauchst du Papiere. Hier fühle ich mich zu Hause.“ Sie putzt in Büros und hilft freiwillig in einem Flüchtlingszentrum. Sie ist zufrieden, ein Teil der Gruppe zu sein, auch wenn „meine Familie nicht weiß, dass ich hier lebe“. Sie ist nicht die einzige, die diese Information vor ihren Angehörigen geheim hält.

Die Mitglieder von Planet10, das sind etwa 20 Leute, fühlen sich oft unverstanden. „Es gibt Personen, in deren Gegenwart ich nicht einmal das Projekt erwähne, weil ich glaube, dass sie es nie verstehen würden“, erzählt Helga. Stille erfüllt den Raum. Linda unterbricht sie nach einigen Sekunden: „Mein Vater denkt, dass ich verrückt bin.“ Manche denken sogar, dass „dies ein Ort ist, an dem die Leute nur rauchen und trinken.“

Alle drei sind mit der Arbeit der Gruppe zufrieden. Während unseres Gesprächs kommen wir unweigerlich auf den Aufstieg der Rechtsextremen in Österreich zu sprechen. „Es wird immer schlimmer. Diese Seite des lokalen Rassismus bei den Leuten entspringt der Nazi-Gesellschaft“, betont Helga. Sie versichert, dass sie nie Probleme mit rechtsextremen Gruppierungen hatten und klopft dabei auf Holz. Helga findet „die Wiener sehr rassistisch“, aber sie will auch nichts davon hören, dass „wir im Planet10 die Immigranten vor der ganzen Welt verstecken“. Sie ist Realistin und hat zweifellos im Laufe der Jahre ein wenig von ihrer Hoffnung verloren: „Es ist klar, dass man die Gesellschaft nicht ändern kann“, sagt sie, „aber man kann entscheiden, was man tun möchte“.

Dieser Artikel ist Teil der cafebabel.com Reportagereihe Multikulti on the Ground 2011-2012.

Illustrationen: Teaserbild (cc)chantel beam photography/flickr; Im Text ©Cristina Cartes

Translated from Viena: ¿mujer, inmigrante y lesbiana? Cambia de ciudad, cambia de planeta