Wien: Die österreichische Jugend blickt nach rechts
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Lea SauerIn letzter Zeit konkurrieren Österreicher auf dem Arbeitsmarkt immer öfter mit Immigranten und wenden sich so radikal national-konservativen Gruppen zu.
An diesem verregneten, düsteren Nachmittag des 27. September streifen etwa 40 Leute auf einem fast leeren Wallensteinplatz herum, einem Platz in Wiens Bezirk Brigittenau. Eine handvoll Leute läuft durch Stände, die alte Krimis und anderen Klimbim verkaufen, einer der Stände verkauft Bier und andere Heißgetränke und hausgemachte Kuchen, weiter hinten sing jemand und spielt Gitarre.
Ihr würdet staunen über den fehlenden Schwung, der von diesem sogenannten Blauen Fest ausgeht, einem Familienfest, das von der Lokalpartei der FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) organisiert wird. Laut Reinhard Heinisch, Professor an der Universität Salzburg, ist die FPÖ in der Lage 30-33% der österreichischen Stimmen zu bekommen. Naja, wie dem auch sei, trotz der starken Wählerbasis von 40 000 Parteimitgliedern, scheint dann ein unpolitischer Flohmarkt in der Neubaugasse, der zur selben Zeit stattfindet, attraktiver zu sein, als das Blaue Fest.
Ihr Comeback
Das erste Mal hörte man von der FPÖ in den 80ern, als der charismatische Jörg Haider die Führung übernahm. Dank ihm und einem fruchtbaren Mix aus Populismus und rechtsgerichtete Rhetorik, verbuchte die FPÖ ernstzunehmende Erfolge und zog so 1999 in das österreichische Parlament ein. Das führte zu beispiellosen Empörungswellen in anderen Lândern und brachte die Europäische Union sogar dazu, Österreich Sanktionen aufzuerlegen. Dieser Vorfall markiert den Beginn des Erfolges der FPÖ, aber auch den Beginn ihres Untergangs. Denn die Partei, die ihre Beliebtheit daraus zog, dass sie die Regierung kritisiert hat, ist nun selbst ein Teil von ihr. Die Gefühle kochten hoch, aber alles legte sich wieder, als 2005 Haider und andere Politiker, die noch im Parlament bleiben wollten, die BZÖ (Bündnis Zukunft Österreich) gründeten und die FPÖ ihre Oppositionspartei wurde.
Nach 15 Jahren kehrt die FPÖ nun zu ihren glorreichen Anfängen zurück. Laut Professor Heinisch, einem Experten für die österreichische rechte Politik, gibt es einen bestimmten Grund für die Beliebtheit der Partei: die gängigen Parteien sind nicht in dem Maße in der Lage die neuen Fragen nach Identität, Migration und dem Gefühl, von außen kontrolliert zu werden, zu beantworten, wie es die FPÖ tut. „Außer den Grünen, die sich eher an die städtischen und gebildeten Eliten richten, ist die FPÖ die einzige Partei, die sich bemüht, speziell junge Leute anzusprechen. Die anderen Parteien konzentrieren sich auf ihre traditionellen Wähler, die immer älter werden; die Sozialdemokraten so z.B. auf die Rentner und die Konservativen auf die Menschen in den ländlichen Regionen, auf die Beamten, Katholiken und Bauern", erklärt er. Die Freiheitliche Partei hingegen zählt eher auf die Stimmen junger Leute. Bei den letzten Wahlen war die FPÖ am beliebtesten bei den Wâhlern der Altersgruppe der 16-29-Jährigen. Hauptsächlich wählen Männer geringerer Bildungsschichten die Partei; also die Arbeiterklasse, Studenten technischer Institute und die Auszubildenden. Also im Grunde alle österreichischen Bürger, die in ihren Berufen stark mit Migranten konkurrieren, während sie von überall her zu hören kriegen, wie es früher besser und einfacher war an gute Jobs zu kommen. Der typische Wähler der FPÖ wird auch vom Parteiführer HC Strache personifiziert - einem Zahntechniker und der jüngste Abgeordneter aller politischen Parteien in Österreich.
Österreich den Österreichern
Um die Jugend zu erreichen, nahm der Parteiführer der FPÖ einen HipHop-Song auf, der bereits über eine Million mal geklickt wurde.
„Junge Leute wollen ihre Wurzeln zurück. Die mögen die aktuelle Politik nicht, die sich zu sehr auf die Migranten konzentriert und die einheimischen Österreicher außenvorlässt", sagt Alexander Schierhuber, der Vorsitzende der Jugendbewegung der FPÖ, dem Ring Freiheitlicher Studenten (RFS) und Assistent von Europaparlamentsmitglied Barbary Kappel. Er merkt an, dass junge Menschen sich der FPÖ zuwenden, da sie Angst vor Migration, den Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt und der steigenden Kriminalitätrate haben. Um nur ein Beispiel zu nennen, welche politischen Entscheidungen von ihnen nicht gebilligt werden: erst letztens stellten sie sich dagegen, dass ein Gebäude im Wiener Bezirk Erdberg zeitweise in eine Notunterkunft für syrische Flüchtlinge umgewandelt wird.
Aber nicht nur die FPÖ gewinnt an Beliebheit unter den jungen Österreichern. Die österreichische Rechte stützte sich traditionsgemäß auf die Hilfe von rechtsextremen deutsch-nationalistischen und rein männlichen Burschenschaften. Aber das änderte sich mit Jörg Haider. Aber seit HC Strache den Vorsitz übernahm, sind die Burschenschaften wieder wichtiger. Offiziell sind sie unabhängig, aber Professor Heinrich beteuert, dass Strache in Bezug auf die Herausbildung der Parteistruktur stark von den Burschenschaften abhängig ist.
Eine der jüngsten und bekanntesten politischen Bewegungen ist die Identitäre Bewegung Österreich (IBÖ). Im Jahre 2012 gegründet, zählt sie heute 100 offizielle Mitglieder und viele inoffizielle Anhänger. Ihr Hauptanliegen ist der Kampf gegen die muslimische Migration. Sie sehen sich selbst nicht als Bewegung des rechten Flügels, sondern eher als Initiative des Volkes. "Wir sind weder links noch rechts, wir unterstützen keine parlamentarischen Parteien, weil die, insbesondere die Linken, die Probleme von Migration, ethnischen Spannungen, Globalisierung und Liberalismus nicht lösen können", erklärt Alexander Markovics, der Vorsitzende der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ).
Probleme und Chancen
Die extreme Rechte ist in Österreich so sehr erforscht wie in keinem anderen europäischen Land. Das hat geschichtliche Gründe. Vergleichbare Organisationen in anderen Ländern werden üblicherweise von linksgerichteten Parteien kommentiert oder von Think Tanks untersucht, aber in Österreich gibt es dafür ein eigenes Forschungszentrum, das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) - eine Stiftung, die auch den Holocaust und Neo-Nazitum untersucht. Jeder kann eine unbequeme Vergangenheit ohne Probleme überstehen. Die ersten Vorsitzenden der FPÖ waren Altnazis. Ebenso waren es aber auch die Vorsitzenden der anderen Parteien. Als ich Schierhuber nach seinem Vorgänger Norbert Burger frage, den Anführer der 70er Jahre Bewegung und von der DÖW als Neonaziterrorist klassifiziert, antwortet er: „Das waren andere Zeiten damals, aber Norbert Burger war kein Terrorist, er war ein Freiheitskämpfer in Südtirol." Der Professor Anton Pelinka der Central European University in Budapest gibt an, dass es allein in Österreich mehrere tausend Neonazis gibt. „Sie sind Hardcore-Neonazis, die der FPÖ nahestehen oder ihr angehören, aber was die Wähler anbelangt, so machen sie nur eine geringe Zahl aus. Das Problem ist auch nicht, dass die FPÖ Neonazis anspricht, sondern dass die FPÖ durch ihre oftmals vage Haltung in Bezug auf Nazitum (oftmals junge) Wähler anzieht", fügt er hinzu. Andere wollen diesen Vorwürfen etwas entgegensetzen. Zum Beispiel IBÖ. Die betonen auf ihrer Webseite, dass jede Nazi-Anschuldigung überflüssig ist.
„Die FPÖ ist in den letzten Jahren gemäßigter geworden, denn die Partei weiß selbst, dass die Österreicher eine kotroverse und radikale Partei nicht ins Parlament wählen würden. Genau das ist aber das Ziel der FPÖ. Man kann sie nicht mit der ungarischen Jobbik (Bewegung für ein besseres Ungarn) oder der griechischen Chrysi Avgi (goldene Morgendämmerung) vergleichen,” sagt Professor Heinisch. Aber können sie die Wahlen damit gewinnen? Können sie damit so erfolgreich werden, wie die Front National in Frankreich oder die UKIP in Großbritannien? Professor Heinisch glaubt, dass alles von den anderen größeren Parteien abhängt, die bis jetzt eher dazu beitragen, dass die Opposition sich radikalisiert. Sie setzen nämlich auf politische Blockade und Kleinbürgerpolitik. In seinen Augen ist Strache, im Vergleich zu Haider, politisch weniger talentiert. Den Erfolg aus 1999 zu wiederholen, wird schwierig. „Die österreichischen Parteien sind älter als das Land selbst. Österreich wurde schon zweimal gegründet. Einmal 1918 und 1945. Deswegen sind sie so daran gewöhnt, die politische Macht zu haben, dass sie davor zurückschrecken, fundamentale, aber notwendige Entscheidungen zu treffen. Vielleicht werden sie erst anfangen, neue Köpfe und Ideen zu haben, wenn sie mit die Aussichten auf Unterstützung völlig zurückgehen. Bis jetzt war der Verlust für die größeren Parteien vielleicht einfach noch nicht groß genug. Die Sozialdemokraten haben z.B. drei Parlamentswahlen hintereinander gewonnen. Und das obwohl sie sich nur an eine bestimmte Bevölkerungsgruppe richten - an die Rentner. Vielleicht wird das beim nächsten Mal aber nicht mehr ausreichen", erklärt Professor Heinisch.
Nichtsdestotrotz werden Parteien wie die FPÖ und andere konservative Bürgerinitiativen, wie die Identitäre Bewegung Österreich, die Stimmen der Österreicher, die auf dem Arbeitsmarkt in Konkurrenz zu den Migranten stehen, gewinnen können. So lange, wie die weniger radikalen Parteien ihnen keine interessante Alternative bieten.
DIESER ARTIKEL IST TEIL UNSERER REPORTAGEREIHE “EUTOPIA: TIME TO VOTE”. IN PARTNERSCHAFT MIT DER HIPPOCRÈNE-STIFTUNG, DER EUROPÄISCHEN KOMMISSION, DEM FRANZÖSISCHEN AUSSENMINISTERIUM UND DER EVENS-STIFTUNG.
Translated from Wiedeń: austriacka młodzież spogląda w prawo