'White Christmas' - ungewöhnliches Weihnachtsgeschenk für Einwanderer in Italien
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Jeannette Carolin CorellBis zum 25. Dezember soll die „Säuberungsaktion“ in Coccaglio, einem kleinen Ort der italienischen Provinz Brescia, vollzogen sein. Dabei geht es aber nicht darum, das Haus für das festliche Weihnachtsessen herzurichten, sondern darum, alle Immigranten auszuweisen, die bis zu diesem Datum ihre Aufenthaltserlaubnis nicht erneuern können.
Ein nettes kleines Weihnachtsgeschenk, das die Gemeinde obendrein „White Chrismas“ getauft hat.
'Jetzt schon von Weihnachten reden?', wundere ich mich. Es ist ein gewöhnlicher Novemberabend 2009. Die Fernsehnachrichten berichten von der „Operation White Christmas“ der 8.000 Einwohner zählenden Gemeinde Coccaglio in der Provinz Brescia. Zuerst denke ich, es geht wohl um Marketing-Initiativen für Weihnachten. Schließlich ist diese Gegend - nur eine halbe Autostunde von meinem Wohnort entfernt - die Heimat unzähliger Einkaufszentren und Schaumweinhersteller. Aber weit gefehlt!
White Christmas ist vielmehr eine vorweihnachtliche „Säuberungsaktion“, aber nicht um vor dem Fest die Räume von Staub zu befreien, sondern die gesamte Ortschaft von illegalen Bewohnern zu „reinigen“. Dank dem von der italienischen Regierung genehmigten, sogenannten „Sicherheitspaket“, haben Bürgermeister nun mehr Handlungsfreiheit: Und so beschloss der Gemeinderat von Coccaglia, dessen Vertretermehrheit der rechtslastigen Lega Nord angehört, diese Freiheit zu nutzen, um bei allen Einwohnern mit abgelaufenen Aufenthaltsgenehmigungen an die Tür zu klopfen. Und wenn die Verlängerung noch nicht beantragt wurde, finden diese Einwanderer - die fast ein Viertel der Gesamtbevölkerung ausmachen - die Aufhebung ihres Wohnrechts unter dem Weihnachtsbaum.
In Italien wird die Aufenthaltsgenehmigung nur auf Vorlage eines Arbeitsvertrags verlängert. In Anbetracht der enormen Arbeitslosenzahl in Coccaglio ist deshalb zu erwarten, dass die Gemeinde mit der Initiative „fette Beute“ macht. Der Sicherheitsreferent Claudio Abiendi erklärte, es handle sich hierbei um eine einfache Routineprüfung, die auf keinen speziellen Sicherheitsalarm zurückgehe, sondern unterstreichen solle, dass „Weihnachten das Fest unserer Wurzeln und nicht der Aufnahme Fremder ist“.
Dies in einem Ort, in dem 1.500 AusländerInnen, 400 Gäste und eine unbestimmte Zahl illegaler Einwanderer leben, wie im vergangenen Mai der damalige Bürgermeisterkandidat Franco Claretti (Lega Nord) dem Tagesblatt Brescia Oggi mitteilte. Ganz im Sinne des Wahlversprechens mit den Schwerpunkten „Sicherheit und Familie“ - dem Slogan, der mittlerweile in keinem Mitte-Rechts-Programm fehlen darf - handelt es sich also um Vorbeugung, die nun nach dem Sieg der Liste von Claretti bei den Verwaltungswahlen im vergangenen Juni in die Praxis umgesetzt wird. In Übereinstimmung mit den Erklärungen des Sicherheitsreferenten versicherte auch der Bürgermeister am vergangenen 18. November der Tageszeitung Repubblica: „Es geht hierbei nicht um Kriminalität, wir wollen nur anfangen, aufzuräumen.“
Aber hätte man der Initiative nicht wenigstens einen anderen Namen geben können? Dies fragte sich sogar Lega-Chef Umberto Bossi, obwohl er den Pragmatismus von Coccaglio als nachahmungswürdiges Beispiel von Effizienz lobt. Der vermeintliche Bezug des Namens „White Christmas“ zu rassistischen Inhalten sei rein zufällig, das Hauptziel immer das gleiche: „Entschiedene Bekämpfung der illegalen Einwanderung mit Hilfe von Kontrollen, auch nachts, durch die Lokalpolizei; Überprüfung von Wohnungen auf Einhaltung der Hygienevorschriften; nächtliche Streifen sowie die Erhöhung der Anzahl von Überwachungskameras auf 20-25“ - wohlgemerkt in einer Gemeinde mit einer Gesamtfläche von 12 Quadratkilometern.
Am 28. November 2009 fand daraufhin vor dem Gemeinderat von Coccaglio eine antirassistische Protestdemo gegen „allgemeine Lynchjustiz“ statt. Unter dem Slogan „United Colors of Christmas“ versammelten sich 2.500 Personen und während ich nach Hause fuhr, dachte ich an Weihnachtslieder und die Briefe an das Christkind aus meiner Kindheit, in denen ich darum bat, allen Menschen ein Zuhause zu geben. Hierzulande hingegen schreiben nun Polizisten „blaue Briefe“ an die „Bösen“, also alle Einwohner von Coccaglio mit abgelaufener Aufenthaltsgenehmigung, die sie nicht verlängern können, weil sie ihren Arbeitsplatz verloren haben. Und schlimmstenfalls verlieren sie ihr Dach über dem Kopf. Dieses Mal hätte ich es wohl vorgezogen, mit Werbung für Weihnachtseinkäufe bombardiert zu werden.
Fotos: About PassionFruit Popscicle/Flickr
Translated from White Christmas a Coccaglio: un insolito regalo di Natale