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Weltuntergang: Testament einer europäischen Jugend

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Katha Kloss

Gesellschaft

Wie die Bevölkerung eines ganzen Planeten, werde auch ich morgen tot sein. Doch eigentlich tangiert mich diese Geschichte mit dem Weltuntergang eher periphär. Denn dank dir, Europa, bin ich schon jetzt scheintot.

Guten Abend Europa. Wenn ich dir heute schreibe, dann dank der vereinten Energien der gesamten europäischen Jugend. Ich fühle mich so ähnlich wie Son-Goku, der Mangaheld aus Dragonball, der versucht Energie für ein Genkidama zu sammeln, um Cell, Freezer oder Picolo zu töten. Ich sage dir das hier und jetzt, denn in letzter Zeit war es mir nicht mehr möglich zu schreiben. Eigentlich ist mir nach gar nichts mehr so richtig.

Empörte der Kokosnuss

Siehst du Europa, mir geht’s dreckig. Es ist nicht so, dass ich ständig traurig bin, das ist das Schicksal eines jeden, der sich gehen lässt. Ich fühle mich eher wie die Ritter der Kokosnuss von Monty Python: verzweifelt und zerstückelt. Und das, obwohl ich mich wacker geschlagen habe.

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Erinnere dich an den letzten Frühling. Nicht dieses Jahr, sondern 2011. Ich war super ausgerüstet. Mit meinen Kumpanen haben wir die Plätze Europas besetzt und gegen Sparprogramme gewettert. „Die Empörten“, so wurden wir in den Medien genannt, die gemütlich auf der Welle der Twitter-Trends mitritten. Das hat eine ganze Weile gedauert – wir haben dir den ein oder anderen libertären Slogan entgegen geschmettert, wir haben dir auch eins mit dem ein oder anderen linken Leitartikel ausgewischt. Und du? Warst zurückhaltend, hattest eine Mordsangst. Wir brachten deine wunderbaren Fundamente zum Zittern, während Standard&Poor’s – die Risikokontrolleure – deine Säulen mit immer neuen Triple A-Schlägen zu Fall bringen wollten. Daraufhin hast du dich gerecht, wie eine Rabenmutter. Du hast uns die Beine genommen. Aber uns blieben noch die Arme.

Der Bewegung der Empörten ging irgendwie die Puste aus und der Begeisterung der Jugend, auf die Älteren bauen zu können, wurde plötzlich der Wind aus den Segeln genommen. Das erste Zeichen der neuen Desillusionierung kam aus Frankreich: In einer Umfrage der Tageszeitung Le Monde vom November 2011 heißt es: 63% der Franzosen denken, dass der heutige Jugendliche egoistisch ist, 53% befinden, er sei zu faul.

Generationeller Graben hin oder her – plötzlich wurde überall von dieser wundersamen Generation Y gesprochen. Der vorletzte Buchstabe im Alphabet steht für Improvisationskünstler und Problembewältiger. Doch diese Generation lässt sich nicht in ganz Europa über einen Kamm scheren. Spricht man in Polen von dieser Generation Y, dann denkt man an Geeks, e-democracy und digitale Kultur. Bei der Generation P in Russland handelt es sich wiederum um die sowohl brillanten als auch werbefixierten Kinder der Ex-Sowjets.

Ohne Arme keine Kekse

Ich muss schon zugeben, eine gewisse Zeit lang hat man mir Aufmerksamkeit geschenkt. Und auch wenn wir ohne Beine nun nicht mehr zu Demos marschieren konnten, so konnten wir uns zumindest noch als 2.0-Krüppel zusammenschließen, um Pseudo-Revolutionen auszulösen. In etwa wie die italienische Facebook-Gruppe Isola dei cassaintegrati (in etwa: Insel der Stand Byler), En España, acabada la carrera tienes tres salidas: por mar, tierra y aire in Spanien (in etwa: Nach dem Diplom gibt es drei Auswege: zu Wasser, zu Luft, zu Lande) oder Pôle Pote Emploi (in etwa: Mein bester Freund die Arbeitsagentur) in Frankreich. 

Einige deiner Volksvertreter waren auch nicht zimperlich und haben einen gewissen kreativen Elan gelobt. Während der französischen Präsidentschaftskampagne hatte der zukünftige französische Präsident noch versprochen, er wolle „wieder für den französischen Traum begeistern“. Nicht schlecht. Aber es kommt noch besser: François Hollande will in seiner fünfjährigen Legislaturperiode den Akzent auf „seine große Causa - die Jugend“ setzen.

Einige Monate später, fliegen dem jungen Franzosen die neuesten Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik entgegen: „Zukunftsverträge“ und „Generationsvertrag“… genial! Ja, wenn man einem Rentner für 650 Euro monatlich dabei helfen will, eine Mail in Blindkopie zu verschicken oder ein Praktikum für 450 Euro in einer schnieken Werbeagentur machen will, das man während einer Runde Poker gewonnen hat.

Ich muss es dir jetzt einfach mal so sagen Europa: Was die Jugend angeht, hast du echt nichts bewegt in den Ländern, deren Staatsoberhäupter obendrein das Charisma leerer Kühlschränke haben. Nach Frankreich hat auch Montis Italien begriffen, dass dem italienischen bambino die Hände gebunden sind. Deshalb geht man die Sache lieber traditionell an, Berlusconi und so… Aber wie dem auch sei, eine junge Italienerin hat der Arbeitsministerin trotzdem einen Brief geschrieben, dass es nicht genial ist, als dreisprachige ehemalige Uno-Praktikantin nun in einer Bar zu arbeiten oder von einer Dönerbude als überqualifiziert abgewiesen zu werden. Antwort der Ministerin? Du bist ganz einfach zu « choosy ». Übersetzung: du bist zu wählerisch, stell dich nicht so an, die Zeiten sind nicht rosig. Du kannst dir sicherlich vorstellen, Europa, dass mir in diesem Moment die Arme abgefallen sind. 

Vielleicht verstehst du jetzt besser, warum es mir schwer gefallen ist, dir zu schreiben, ohne Arme, ohne Beine, nur mit einem Stift im Mund. Selbst ohne Oberkörper habe ich es noch irgendwie geschafft, mich für den Wettbewerb Unemployee of the year von Benetton einzutragen. Doch ich hätte nicht das typische Angestelltengesicht, hat man mir beim Vorstellungsgespräch offenbart. Das soll mal einer verstehen. Klappe zu, Affe tot.

Illustrationen: Teaserbild (cc)jomme/flickr; Im Text  (cc)captaintim/flickr; Video (cc)flyingwebsite/YouTube

Story by

Matthieu Amaré

Je viens du sud de la France. J'aime les traditions. Mon père a été traumatisé par Séville 82 contre les Allemands au foot. J'ai du mal avec les Anglais au rugby. J'adore le jambon-beurre. Je n'ai jamais fait Erasmus. Autant vous dire que c'était mal barré. Et pourtant, je suis rédacteur en chef du meilleur magazine sur l'Europe du monde.

Translated from Fin du monde : la jeunesse sans queue ni tête