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Weiter Richtung "United States of Europe"

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Der Konvent hat das Fundament für eine europäische Föderation gelegt. Mehrheitsprinzip, Stärkung des Parlaments und Bürgerinitiative weisen den Weg zu tieferer Integration.

Am 28. Oktober 2004 haben die Staats- und Regierungschefs den Verfassungsvertrag angenommen, den der europäische Konvent ausgearbeitet hatte. Der Vorsitzende des Gremiums, Valérie Giscard D’Estaing spielte immer wieder auf den geschichtlichern Vorgänger an: Den Konvent von Philadelphia von 1787, der die bedeutendste Verfassung der Demokratiegeschichte und in der Folge die amerikanische Föderation hervorgebracht hat. Stellt die Europäische Verfassung also einen Schritt in Richtung „United States of Europe“ dar? Abgesehen von der symbolischen Wirkung, die der Begriff „Verfassung“ in sich birgt, enthält der Vertrag einige Bestimmungen, die die Vision einer Europäischen Föderation fördern könnten.

Die EU erhält einen rechtsverbindlichen, einklagbaren Grundrechtskatalog, und zwar an prominenter Stelle, im Teil II des Verfassungsvertrags. Nahezu jeder demokratische Staat hat eine Verfassung, die Grundrechte für seine Bürger festschreibt. Während ein Großteil der Literatur nach wie vor behauptet, dass die EU kein Volk (demos) hat und daher kein Staat sein kann, ist die Aufnahme eines Grundrechtskatalogs von besonderer Bedeutung.

Mehr Demokratie, keine Gewaltenteilung

Das einzig direkt demokratisch legitimierte Unionsorgan, das Europäsche Parlament, erfährt eine weitere Aufwertung: Es wird, neben dem Ministerrat, zum allgemeinen Mitgesetzgeber. Nur in explizit angeführten Ausnahmefällen (vor allem in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik) hat es kein Mitentscheidungsrecht. Es hat zwar kein Initiativrecht, was es von einem nationalen Parlament deutlich unterscheidet. In bestimmten Fällen kann es jedoch Gesetzgebung anregen. Wenn man schon den Vergleich mit dem Nationalstaat anstrengt, darf man dabei nicht vergessen, dass der Großteil der nationalen Gesetze (etwa 90%) auf Regierungsvorlagen beruht. Die EU ist gekennzeichnet von einem eigenwilligen System der „checks and balances“: die legislative, exekutive und judikative Gewalt sind aufgeteilt und die entsprechenden Organe kontrollieren einander. Auf EU-Ebene gibt es zwar keine klassische Gewaltenteilung im Sinne Montesquieus. Das Prinzip des institutionellen Gleichgewichts erfüllt aber dieselbe Funktion und hat sich bis dato gut bewährt, wie etwa der Rücktritt der Santer-Kommission aufgrund eines drohenden Misstrauensvotums des Europäischen Parlaments im Jahr 1999 gezeigt hat.

Das institutionelle Gleichgewicht erfährt eine einschneidende Korrektur durch den Verfassungsvertrag, da der Europäische Rat erhebliche Befugnisse gesetzgeberischer Natur erhält, ohne dass eine entsprechende Kontrollmöglichkeit durch das Parlament vorgesehen ist. Dies ist bedenklich und veranlasst den Europarechtsexperten Stefan Griller, von einem „institutionellen Viereck“ und einem neuen „supranationalen Intergouvernementalismus“ zu sprechen.

Klare Kompetenzen

Es ist im Verfassungsvertrag jedoch gelungen, einige Klarstellungen bezüglich der Kompetenzen vorzunehmen: Erstmals gibt es eine Art Zuständigkeitskatalog. Für die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Union und Mitgliedstaaten gilt weiterhin der Grundsatz der so genannten „begrenzten Einzelermächtigung“: Die Union darf nur tätig werden, wenn dies explizit im Verfassungsvertrag vorgesehen ist. Die Union hat somit keine „Kompetenz-Kompetenz“: Es steht ihr nicht zu, über die Zuständigkeitsverteilung zu entscheiden. Dies unterscheidet sie maßgeblich von einem Bundesstaat.

Dass die qualifizierte Mehrheit zum Entscheidungsgrundsatz in noch mehr Politikbereichen wird, ist eines der Hauptmerkmale, welche die EU von einer klassischen internationalen Organisation unterscheidet, und deutet in Richtung Bundesstaat. Der Einstimmigkeitsgrundsatz wurde aber nicht vollkommen aufgegeben. Gerade in sensiblen Politikbereichen, wie der GASP und der Steuerpolitik waren die Mitgliedstaaten nicht bereit, ihr nationales Veto aufzugeben. Jedoch werden das Recht der Bürger, am demokratischen Leben der Union teilzunehmen und der Grundsatz, dass die Entscheidungen so offen und bürgernah wie möglich getroffen werden, im Verfassungsvertrag festgeschrieben. Außerdem wird eine „Bürgerinitiative“ möglich: Mindestens eine Million Staatsangehörige einer „erheblichen Anzahl“ von Mitgliedstaaten können die Kommission auffordern, einen Vorschlag zu Themen zu unterbreiten, zu denen es nach ihrer Ansicht eines Rechtsakts der Union bedarf, um die Verfassung umzusetzen.

Trotz einzelner Schwachpunkte hat die Verfassung hat großes Potential und könnte den ersten Schritt in Richtung einer Europäische Föderation darstellen.