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Was darf die Satire? Alles!

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Kultur

Was Lachen, Humor und Satire in der europäischen Gesellschaft bedeuten.

Lachen, das können nur Menschen. Sich biegen, winden, kringeln vor Lachen. Prusten, kichern, beben. Alles menschlich - oder? Henri Bergson ging in seiner berühmten Analyse „Das Lachen“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch genau davon aus: Lachen, das sei dem Menschen vorbehalten. Doch mittlerweile konnten verhaltensbiologische Studien zeigen, dass auch Tiere gelegentlich lachen: Menschenaffen imitieren Mimik. Sie können zurücklächeln und Mäuse stimulieren sich gegenseitig, bis sie ganz leise kichern.

Was nach heutigem Ermessen jedoch genuin menschlich bleibt, ist die Fähigkeit zur Abstraktion, zum Auslachen, zu Humor - und zu Satire. Philosophen, Linguisten, Psychologen, Neurologen - Gelehrte beschäftigen sich seit der Antike mit dem Phänomen des Humors, auch Bergson konzentrierte seine Thesen bei näherer Betrachtung auf das soziale Phänomen des Auslachens statt auf den neurophysiologischen Vorgang des Lachens, eines sich kontrahierenden Zwerchfells. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gibt es daher unzählige Theorien über den Humor. Doch eine umfassende Erklärung für etwas so Alltägliches scheint unnahbar - komisch, oder?

Aristoteles und Freud zusammen gegen einen Dritten

Aristoteles vermutete, dass Menschen über andere lachen, um sich über sie zu stellen.

Aristoteles vermutete, dass Menschen über andere lachen, um sich über sie zu stellen. Doch die Überheblichkeitstheorie kann nur einen Bruchteil dessen erklären, was Menschen tatsächlich zum Lachen bringt. Sigmund Freud, der bis heute die Versuche einer wissenschaftlichen Definition von Lachen und Humor prägt, beschrieb Humor zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Mittel, um eigene innere Spannungen aufzulösen. Schließlich formulierte Victor Raskin Ende der 1980er Jahre an der Purdue University in den USA die GTVH, die General Theory of Verbal Humor.

Was wie eine Relativitätstheorie des Humors klingt, reduziert Humor auf funktionale sprachliche Widersprüche: Seit Raskin dominieren die Linguisten die Humorforschung damit, Humor in logische Sprachstrukturen einzuordnen und somit erklärbar, anders gesagt vorhersehbar zu machen. Im Witz gebe es immer zwei Komponenten, die im Grunde nicht zusammenpassen. Sie lassen einen zunächst so lange im Unklaren, bis die Pointe schließlich diese Spannung verblüffend auflöst. Dann muss man lachen. Ein Beispiel von Komiker und Kabarettist Karl Valentin, der als Zeitgenosse über Hitler sinnierte: „Gut, dass Hitler nicht Kräuter heißt.“ Hier zögert der Zuhörer und wundert sich über diese scheinbar sinnlose Feststellung, bevor Valentin fortfährt: „Sonst müsste man ihn mit “Heil Kräuter„ grüßen!“

Satire: Politische Poesie?

Humor und Witz sind an Semantik - das heißt an Bedeutungen sprachlicher Zeichen gebunden - und somit hängen sie nicht immer, aber doch oft, an der eigenen Muttersprache. Satire und Karikatur wiederum sind besondere Subformen des Humors: Sie sind besonders scharfzüngige Ausdrucksformen eines humoresken Gedankens, oft politisch konnotiert und in jedem Falle zeitgebunden. Beide decken mit einer gewissen Mischform aus Kunst und Journalismus absurde, zeitgenössische Merkmale einer Gesellschaft auf, inmitten derer sie als Kulturprodukt erscheinen.

Anders gesagt: Humor und Witz liegen oft im Privaten. Satire aber wurde veröffentlicht und ist reproduzierbar. Der große deutsche Philosoph Georg Friedrich Hegel verdammte Satire in seinen Schriften als etwas, das weder wahrhafte Poesie noch wahrhafte Kunstwerke hervorbringe. Obwohl sie diesen Anspruch habe, dringe sie erst gar nicht zur Wahrheit vor, sondern versickere, so Hegel, in einer Art belanglosem Sumpf der Verdrießlichkeit.

Satire braucht Freiheit

Innerhalb Europas ist die Kultur der Satire daher - nicht zuletzt aufgrund solch einflussreicher Verdikte - eine überaus vielfältige: In Italien wurden um den Maler Annibale Caracci bereits im 16. Jahrhundert die ersten Kunstwerke von solch boshafter Hässlichkeit geschaffen, dass von ihnen überhaupt erst die Bezeichnung `Karikatur´ (italienisch=caricare=überladen) in die europäischen Sprachen floss. In Frankreich schuf Honoré Daumier im 19. Jahrhundert eine Vielzahl an politischen Karikaturen von Politikern, Industriellen und Bürgerlichen - für eine Darstellung des Königs Louis Philippe musste er sogar hinter Gitter.

Satire und Zensur - wohl kaum etwas in der Pressegeschichte hängt enger zusammen, und nirgendwo hat diese unliebsame Wechselbeziehung eine so ausgeprägte Geschichte wie im deutschsprachigen Raum. Während der Weimarer Republik konnten sich Tucholsky, Grosz und nicht zuletzt Valentin endlich für eine kurze Zeit austoben.

Spätestens mit dem Eintritt in die Europäische Union müssen die jeweiligen Länder aber mittlerweile Presse- und somit auch Satirefreiheit garantieren. Denn, wie stellt es Tucholsky in einem seiner berühmtesten Artikel aus dem Jahr 1919 ein für alle mal fest: „Was darf die Satire? Alles.“